Kerns Mondflug in der Box-Arena

REDE ZUR ZUKUNFT OeSTERREICHS: BK KERN.
REDE ZUR ZUKUNFT OeSTERREICHS: BK KERN.APA/BARBARA GINDL
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Kanzler und SPÖ-Chef Christian Kern stieg in eine Art Box-Arena und referierte zwei Stunden. Für vieles gab es Applaus, für manches auch nicht.

Wien. Es wurde plötzlich stockfinster. Einzig das auf der riesigen Leinwand gestartete Video spendete noch Licht: Man sah österreichische Berglandschaften, sich drehende Stahlzahnräder und einen tickenden Sekundenzeiger. Dazu ertönte Elvis Presleys „A litte less conversation“. Als das Licht anging, stand plötzlich Bundeskanzler und SPÖ-Parteichef Christian Kern auf der runden rot-weiß-roten Bühne. Lauter Applaus ertönte. Kern versteht es, sich zu inszenieren.

Am Mittwochabend gab es – trotz musikalisch gegenteiliger Ankündigung – dann doch noch einmal mehr Gerede als Action. Eine Stunde sollte der Auftritt Kerns, den er unter den Titel „Worauf warten? Zeit, die Dinge neu zu ordnen“ stellte, laut Plan dauern. Es wurden fast zwei. Zwei Stunden, in denen Kern frei in sein Headset sprach, nur selten blickte er auf die am Pult liegenden Unterlagen. Außer Kern wurde niemand auf die Bühne gelassen – weder Vorredner noch Moderator. Einzig das Wasserglas durfte ein junger Mann des Öfteren auswechseln. Dabei bestand keine Gefahr, dem Parteichef die Show zu stehlen.

Der rote Klassiker: die Erbschaftssteuer

Die SPÖ hatte für die erste Grundsatzrede ihres Parteichefs einen besonderen Ort ausgesucht: Wels, jene traditionell rote Arbeiterstadt in Oberösterreich, die kürzlich an die Freiheitlichen verloren ging. Zu Beginn seiner Rede in der Messehalle schickte der Kanzler deshalb ein ausführliches „Mea culpa“ an die eigene Basis und auch an jene, die der SPÖ den Rücken gekehrt haben, voraus: „Nicht ihr habt euren Weg verlassen, wir haben unseren Weg verlassen. Es ist unser Fehler – nicht eurer. Von heute an werden wir unseren Kurs wechseln“, sagte Kern und blickte auf die gut gefüllten Tribünen. 1500 Parteimitglieder, Funktionäre und auch interessierte Welser, die von der SPÖ extra per Postwurf eingeladen wurden, waren in die an eine Mischung aus TV-Studio und Boxkampfarena erinnernde Halle gekommen.

Ihnen wurde der neue „Plan A“, ein mehr als 140 Seiten umfassendes Konzept, präsentiert. Ein Querschnitt über eine Vielzahl von Themen und viele Versprechen – von 200.000 Jobs bis 2020 über einen Mindestlohn von 1500 Euro bis hin zu einer Energiewende. Letzteres verglich er mit dem „Moon Shot“, dem Mondflug, den sich die USA in den 1960er-Jahren zum Ziel setzte. Ähnlich groß wolle auch er denken.

Egal über welches Thema Kern sprach, er versuchte stets, seine eigenen Erfahrungen zu betonen: Er erzählte von seinen Eltern, deren „einziges Ziel es war, seiner Schwester und ihm ein besseres Leben zu ermöglichen“, von seiner Zeit als Firmenboss, in der er mit „vielen exzellenten Frauen“ zusammenarbeiten durfte, und von seinen Begegnungen mit Bürgern als Bundeskanzler. Er wolle der Alleinerzieherin Christine, dem verunsicherten René aus Judenburg und der arbeitslosen Lisa aus Simmering helfen. Für diese Geschichten gab es stets Applaus.

Den vielleicht größten Beifall verdiente sich Kern mit einem roten Klassiker, der Erbschaftssteuer. Die soll den Pflegeregress ersetzen, was so manchen im Auditorium laut jubeln ließ. Auch der Vorschlag, die Arbeitnehmer-Freizügigkeit in der EU teilweise zu beschränken, wurde beklatscht. Konkret sollen Bürger aus jenen Staaten, deren Lohnniveau nicht einmal 80 Prozent des österreichischen erreicht, nur dann in Österreich tätig sein können, wenn keine heimische Arbeitskraft zur Verfügung steht.

Klare Grenzsetzung bei Zuwanderung

Nur bei einem Thema blieb es auffallend still: bei den geforderten Zugangsbeschränkungen an den Universitäten. Die SPÖ wolle zwar keine sozialen Zugangsschranken für die Unis, jedoch: „Wir müssen auch akzeptieren, dass das Leistungsprinzip mit sozialdemokratischen Vorstellungen zusammenpasst“, sagte Kern und brach damit mit der traditionellen SPÖ-Linie. Das ist wohl als Zugeständnis an den Koalitionspartner zu sehen. Auch bei der Arbeitszeit-Flexibilisierung signalisierte der Bundeskanzler dem Koalitionspartner Entgegenkommen.

Zwischendurch sicherte sich Kern auch ein paar Lacher der Genossen. Etwa als er erzählte, dass er während des Weihnachtsurlaubs Rechnungshofberichte las, und sofort hinzufügte: „Es war nicht so trostlos, wie es klingt. Wir waren auch Ski fahren.“ Kern wirkte locker. Zwischendurch nachdenklich und manchmal zornig. Die Fäuste ballte er etwa, als er über die hohe Arbeitslosigkeit sprach.
Nur beim letzten Thema, der Zuwanderung, wirkte er angespannt. Während er darüber sprach, verließ er sein Rednerpult kaum. Es ist ein heikles Thema in der SPÖ – hier drohen Wähler abhandenzukommen und interne Konflikte aufzubrechen. Kern schlug gestern einen durchaus restriktiven Kurs ein. Für ihn ist klar, dass die weitere Zuwanderung „leider“ zu begrenzen sei, solange die Integration der schon in Österreich Lebenden nicht abgeschlossen sei. Gleichzeitig wandte er sich allerdings dagegen, Integrationspolitik als Instrument zur Profilierung einzelner Politiker oder Parteien zu sehen – eine der wenigen Spitzen gegen den Koalitionspartner.

Nach fast zwei Stunden gab es Standing-Ovations und lang anhaltenden Applaus. Der Kanzler genoss es, hielt das Plan A-Heft in die Höhe und zog unter den Klängen von „A little more action please“ wieder aus.

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