Nationalrat reformiert 30 Jahre altes Sachwalterrecht

Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP)
Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) (c) APA (GEORG HOCHMUTH)
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Die neue Regelung wird am 1. Juli 2018 in Kraft treten. Damit soll die "alte" Sachwalterschaft - mit völliger Rechtlosigkeit der "Besachwalteten" - vermieden werden.

Der Nationalrat hat am Donnerstag mit den Stimmen aller Fraktionen das Erwachsenenschutzgesetz beschlossen und damit das 30 Jahre alte Sachwalterrecht reformiert. Auch die Grünen gaben sich letztlich mit der von Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) gegebenen Finanzierungszusage zufrieden. Für die Inhalte, aber auch den offenen Prozess der Gesetzwerdung, gab es von allen Seiten großes Lob.

Die neue Regelung, die am 1. Juli 2018 in Kraft tritt, soll die Sachwalterschaft alten Stils - mit völliger Rechtlosigkeit der "Besachwalteten" - so weit wie möglich vermeiden. Aus ihr wird die Erwachsenenvertretung, die bei größtmöglicher Beibehaltung der Selbstbestimmung konkret auf die Bedürfnisse der betroffenen Person zugeschnitten wird. Das Gesetz bietet dazu unterschiedliche Arten der Vertretung einer vertretungsbedürftigen volljährigen Person.

Vorgesehen ist zunächst der gerichtliche Erwachsenenvertreter, der den Sachwalter ersetzt. Seine Befugnisse sollen aber auf bestimmte Vertretungshandlungen beschränkt werden und nicht pauschal für "alle Angelegenheiten" gelten. Gedacht ist sie als ultima ratio, sie wird zunächst auf drei Jahre befristet. Mit der gesetzlichen Erwachsenenvertretung übernimmt das Gesetz die schon bisher mögliche Vertretung durch nächste Angehörige. Neu ist die gewählte Erwachsenenvertretung, die einer volljährigen Person die Möglichkeit gibt, im Bedarfsfall selbst einen Vertreter zu bestimmen, der sofort für sie tätig werden soll.

Als vierte Möglichkeit gibt es die Vorsorgevollmacht mit uneingeschränktem Wirkungsbereich. Voraussetzung ist hier der Eintritt des "Vorsorgefalls", also des Verlusts der Entscheidungsfähigkeit. Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich dabei im Wesentlichen auf die Genehmigung von Entscheidungen bei medizinischen Behandlungen, soweit zwischen Vertreter und vertretener Person ein Dissens erkennbar wird, sowie auf den Fall einer dauerhaften Wohnortverlegung ins Ausland.

Aus 86 Millionen Euro wurden 24 Millionen Euro 

Für Kritik in der Gesetzwerdung hatten die Kostenschätzungen in dem Gesetz gesorgt, aus 86 Millionen im Erstentwurf waren schließlich nur 24 Millionen Euro im Zweitentwurf geworden. Brandstetter betonte aber auch im Nationalratsplenum, dass die Finanzierung "wirklich gesichert" sei. Für die Änderungen gebe es "sehr wohl sachliche Begründungen", außerdem gebe es die Freigabe des Finanzministeriums, Rücklagen in Ausmaß von 160 Millionen Euro aufzubrauchen. Brandstetter betonte, dass Autonomie und Selbstbestimmung der betroffenen Person künftig so lange wie möglich erhalten bleiben werde. In der Vergangenheit sei es vor allem um den Geschäftsverkehr, nicht um die Interessen des Betroffenen gegangen, so Brandstetter in Richtung FPÖ, von der noch am ehesten leise Kritik an der Neuregelung kam.

Ansonsten herrschte Lob vor. SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim sprach von "einem der ganz entscheidenden Gesetze der letzten Jahre", seine ÖVP-Kollegin Michaela Steinacker von einem großen Meilenstein. Auf Oppositionsseite lobte Harald Stefan die Gesetzwerdung unter Einbindung aller maßgeblichen Interessensgruppen. Albert Steinhauser von den Grünen sah das Potenzial für einen "Meilenstein der Justizpolitik", Nikolaus Scherak (NEOS) begrüßte das Ende für ein antiquiertes Gesetz, und Christoph Hagen (Team Stronach) "wesentliche Verbesserungen für die Situation der betroffenen Menschen".

Von einem großen Schritt für das Menschenrecht auf Selbstbestimmung sprach Caritas-Präsident Michael Landau in einer Aussendung. "Hier wird Neuland betreten, damit Menschen mit Unterstützungsbedarf ihr Leben autonomer gestalten können." Das "mutige Gesetz" brauche nun "die Zusammenarbeit aller und ausreichend Mittel", betonte Landau in seiner Reaktion.

(APA)

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