Kern: "Wenn sich die ÖVP davonmacht, kann ich sie nicht anbinden"

Bundeskanzler Christian Kern und die Schwierigkeiten mit der ÖVP: „. . . trotzdem müssen wir zusammenarbeiten.“
Bundeskanzler Christian Kern und die Schwierigkeiten mit der ÖVP: „. . . trotzdem müssen wir zusammenarbeiten.“(c) APA/BKA/ANDY WENZEL (ANDY WENZEL)
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Der Bundeskanzler hält Österreichs EU-Präsidentschaft und eine Nationalratswahl zum regulären Termin im Herbst 2018 für vereinbar. Die FPÖ sei der schärfste Konkurrent für die SPÖ.

Die ÖVP rückt Sie mit einer Broschüre in Nähe des Kommunismus. Wird vom Koalitionspartner der Wahlkampf eingeläutet?

Christian Kern: Der Inhalt dieser Broschüre richtet sich von selbst und ist natürlich unseriös. Aber wir können diskutieren, was dort geschrieben steht: Wenn die ÖVP meint, wir hätten ein Problem damit, Leistung zu fördern, dann frage ich: Wie definieren wir Leistung und Leistungsträger? Für uns sind nicht jene fünf Prozent, die von Dividenden und Zinsen leben, die Leistungsträger. Und ich frag die ÖVP, ob es leistungsgerecht ist, für einen 40-Stunden-Job nicht einmal 1500 Euro zu verdienen.

Dass Sie als Marxist gezeichnet werden, stört sie gar nicht?

Das ist doch alles nicht ernst zu nehmen. Wir haben Vorschläge erarbeitet, um Österreich nach vorne zu bringen. Die ÖVP strengt sich an, mich herabzuwürdigen.

Also doch Wahlkampf?

Das sehe ich nicht so. Dass SPÖ und ÖVP unterschiedliche Menschenbilder haben, ist bekannt. Trotzdem müssen wir in einer Koalition zusammenarbeiten. Aber wenn jemand in der ÖVP aus falschem persönlichen Ehrgeiz eine Neuwahl vom Zaun brechen will, sollte er den Mut haben, das offen zu sagen.

Interpretieren Sie die Broschüre als Plan P für Provokation?

Die Regierungsarbeit ist nicht immer Quell der Freude. Aber ich will bis Herbst 2018 Ergebnisse liefern. Dazu stehe ich. Ich erkenne Anzeichen in der ÖVP, in eine Neuwahl abzubiegen. Vizekanzler Reinhold Mitterlehner zähle ich nicht zu dieser Gruppe.

Ist Mitterlehner noch das Gravitationszentrum der Partei?

Die ÖVP war immer eine sehr heterogene Partei. Die Meinungsbildung in der SPÖ ist deutlich einfacher.

Auch nach diesem Wiener Parteitag (mit deutlichen Streichungen für Michael Häupl; Anm.)?

Da bin ich mir allemal sicher.

Gibt es für Sie einen Punkt, wo Sie sagen: „Es reicht!“

Wir haben uns in einem erneuerten Regierungsprogramm auf ein Programm geeinigt. Diesem fühle ich mich verpflichtet.

Aber mit dem Pizzaaustragen haben auch Sie Ihren Wahlkampf-Beitrag geliefert.

Wir führen in Österreich oftmals politische Insider-Diskussionen. Dieses Video wurde von 1,1 Millionen auf Youtube und Facebook angeklickt. Ich habe einen Abend investiert, um die Aufmerksamkeit auf Zukunftsfragen zu lenken. Und das ist uns gelungen. Die Flüchtlingsfrage ist wichtig. Sie wird und muss gelöst werden. Gleichzeitig deckt diese Debatte alle anderen alltagsrelevanten Fragen zu.

In der Flüchtlingsfrage wirft Ihnen der linke Flügel in der Partei Populismus vor. Müssen Sie die Partei nach rechts rücken, um Wahlen zu gewinnen?

Ich finde mich in dieser Links-Rechts-Einordnung nicht zurecht. Österreich hat angesichts der Flüchtlingsfrage sehr viel geleistet. Doch wir müssen trachten, die Menschen zu integrieren. Wir müssen aus humanitärer Sicht an die Grenzen unserer Möglichkeiten gehen, nicht darüber hinaus. Ich bin sehr für eine solidarische Gesellschaft, aber ich will keine zerfallende Gesellschaft. Ich nenne das nicht populistisch, sondern Realpolitik.

Ist Ihr realpolitischer Kurs eine Zerreißprobe für die SPÖ?

Überhaupt nicht. Auch nicht in den Debatten mit dem äußerst links stehenden Teil unserer Partei. Ich erkenne auch in der Wiener SPÖ keinen ideologischen Konflikt. Es geht um persönlichen Animositäten.

Mit einer Wiener Partei in diesem Zustand können Sie wohl keine Wahl gewinnen.

Die Diskussionen in Wien schwelen seit Monaten. Im selben Zeitraum kletterten wir in Umfragen wieder auf 30 Prozent. Natürlich wäre mir lieber, wir hätten diesen Konflikt nicht. Worauf ich nur hinweisen will: Die Menschen können sehr wohl zwischen den Ebenen unterscheiden.

In den meisten Bundesländern befindet sich die SPÖ in keiner guten Verfassung.

Natürlich haben wir viel Arbeit vor uns: Aber ich sehe uns auf einem guten Weg, wenn ich an die Personalentscheidungen denke.

Wer soll in Wien die Partei nach Michael Häupl führen?

Ich werde mich sicher nicht über mögliche Kandidaten äußern. Wir werden in Wien in aller Ruhe entscheiden.

Michael Häupl argumentierte immerzu klar und eindeutig gegen eine Zusammenarbeit mit der FPÖ. Ist dies nicht Ursache für den Konflikt in der Wiener SPÖ?

Ich haben bislang niemanden getroffen, der mit erklärt hätte, wir sollen mit der FPÖ eine Koalition bilden. Ich kenne auch keine diesbezügliche Aussage der handelnden Personen in der Wiener Partei.

Das heißt: Peter Kaiser kann seine Arbeit am Kriterienkatalog für eine Koalition beenden.

Mit ist es wichtig, unsre Werte zu bewahren, nicht unsre Dogmen. Unsre Werte werden die Richtschnur unsres Handelns bleiben.

Obwohl Österreich in der zweiten Jahreshälfte 2018 den Ratsvorsitz übernimmt, wollen Sie erst im Herbst 2018 Wahlen?

Nach der Reform von Lissabon hat der nationale Ratsvorsitz nicht mehr diese Bedeutung. Ich erinnere an das jetzige Vorsitzland Malta. Dort hat Ministerpräsident Joseph Muscat jetzt während des Vorsitzes vorgezogene Parlamentswahl angekündigt. Der weiß am besten, ob das vereinbar ist.

Gibt es für Sie eine Denkvariante, gemeinsam mit dem Vizekanzler vor die Kameras zu gehen, um das vorzeitige Ende der Legislaturperiode zu verkünden.

Ich schließe diesen Weg für mich aus. Aber wenn sich die ÖVP davonmacht, kann ich sie nicht anbinden.

Sie sind ein Jahr Bundeskanzler: Welche Illusionen haben sie verloren?

Mir macht die Arbeit große Freude. Ich hätte mir aber gewünscht, dass wir mehr Energie in Zukunftsfragen investieren. Wir sollten uns von ideologischen Scheingefechten verabschieden und überlegen, welche Antworten wir auf das Verschwinden von Arbeitsplätzen durch die Globalisierung und Automatisierung geben, wie wir gestärkt aus dieser Zeitenwende hervorgehen.

Was hätten sie gerne im ersten Jahr erreicht?

Beim Bildungsthema, wo es besonders viel Widerstand gibt, hätte ich mir mehr gewünscht. Und heftigen Gegenwind gibt es, wenn es um die Verschlankung des Staates geht.

Außenminister Sebastian Kurz ist zugleich auch Integrationsminister. Ein Konstruktionsfehler?

Wenn es noch einmal zu einem Koalitionsvertrag mit der ÖVP kommen sollte, würde ich sicher Änderungen in der Ressortverteilung vornehmen. Die Zuordnung von Kompetenzen ist nicht immer logisch und schafft Reibungsverluste. In der Ressortverteilung sind Gründe zu finden, warum es in der Koalition nicht immer optimal funktioniert.

Eine Frage an den SPÖ-Vorsitzenden: Vor einem Jahr haben Sie innerhalb der SPÖ eine Aufbruchsstimmung ausgelöst. Auf der Funktionärsebene rührte sich wenig: Die SPÖ erinnert an einen Kanzlerwahlverein.

Ich möchten keinen Kanzlerwahlverein hinterlassen, sondern die SPÖ wieder zu einer gesellschaftspolitisch relevanten Bewegung machen. Die SPÖ benötigt eine inhaltliche und personelle Öffnung.

Wer wird in der kommenden Wahlauseinandersetzung Ihr schärfster Konkurrent sein?

Der Wahlkampf wird eine heftige inhaltliche Auseinandersetzung über die Zukunft Österreichs werden. Letzten Endes wird es also zu einer Auseinandersetzung mit der FPÖ kommen. Wir werden der Politik der FPÖ ein proeuropäisches, offenes und progressives Weltbild entgegensetzen.

ZUM INTERVIEW

Bundeskanzler Christian Kern gab das Interview den Bundesländerzeitungen „Oberösterreichische Nachrichten“, „Salzburger Nachrichten“, „Tiroler Tageszeitung“, „Vorarlberger Nachrichten“ und „Kleine Zeitung“ in Zusammenarbeit mit der „Presse“, für die Dietmar Neuwirth teilnahm.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.05.2017)

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