Flüchtlinge: Rom droht Wien indirekt

LOKALAUGENSCHEIN ZU GRENZSICHERUNGSMASSNAHMEN: SOBOTKA UND PLATTER AM BRENNER
LOKALAUGENSCHEIN ZU GRENZSICHERUNGSMASSNAHMEN: SOBOTKA UND PLATTER AM BRENNER(c) APA/EXPA/JOHANN GRODER
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Italien überlegt, humanitäre Visa für Migranten auszustellen – aus Protest gegen die mangelnde Umverteilung von Flüchtlingen. Innenminister Sobotka besuchte den Grenzübergang, der von der Aktion betroffen wäre: den Brenner.

Brenner/Wien. Gebraucht wurde die Infrastruktur nicht. Zumindest noch nicht. Wolfgang Sobotka sah sie sich am Montagnachmittag allerdings trotzdem an: Der Innenminister besuchte gemeinsam mit dem Tiroler Landeshauptmann, Günther Platter (beide ÖVP), den Grenzübergang auf dem Brenner. In einem eigenen Container soll hier, falls eine hohe Anzahl von Flüchtlingen gleichzeitig ankommt, registriert und kontrolliert werden. Vor gut einem Jahr wurden schon Vorbereitungen für einen Zaun getroffen: Im Ernstfall könnten die sogenannten baulichen Maßnahmen, wie das in Österreich genannt wird, relativ schnell errichtet werden.

„Als Innenminister ist es meine Aufgabe, uns auf das Schlimmste vorzubereiten und nicht nur auf das Beste zu hoffen. Bilder wie 2015 können und dürfen sich nicht wiederholen“, sagte Sobotka. Viel los ist derzeit beim Tiroler Übergang allerdings trotzdem nicht: Zwischen 15 und 25 Aufgriffe werden hier täglich gezählt.

Trotzdem gab es am Montag wieder Aufregung um den Grenzübergang: Ab sofort werden laut Sobotka dennoch 20 zusätzliche Polizisten eingesetzt (also insgesamt 100), die im Rahmen der Schleierfahndung den Grenzbereich sichern sollen. Auch ÖVP-Chef und Außenminister Sebastian Kurz stellte wieder klar, dass man den Brenner im Ernstfall schließen müsse. Er warnte Italien vor einem „Durchwinken“. Aus dem Büro von Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) hieß es: „Sollten Migranten Papiere von den italienischen Behörden bekommen, würde diese bei Grenzkontrollen sehr genau geprüft. Wenn eine große Anzahl an Migranten an die Grenze kommt, können jedenfalls Schritte unternommen werden.“

Was ist passiert? Zunächst ein Bericht der „Times“: Demnach sei die italienische Regierung erbost darüber, dass die Umverteilung von Flüchtlingen in Europa einfach nicht funktioniere. Also hätte man sich einen Notfallplan zurechtgelegt: Bis zu 200.000 Migranten könnten temporäre Visa erhalten. So hätten sie eine Aufenthaltsgenehmigung und könnten weiter nach Norden ziehen und ihre Angehörigen in anderen EU-Ländern erreichen.

Außenminister beschwichtigt

Am Ende war die Maßnahme aber das, was die Schließung des Brenners für Österreich ist: eine indirekte Drohung, ein Plan für den äußersten Notfall. „Die Aussicht, dass vorübergehende Visa verteilt werden, ist eine Möglichkeit, über die ich mit Innenminister Marco Minniti gesprochen habe und die jetzt von der Regierung geprüft wird“, zitierte die Austria Presse Agentur aus Medienberichten den Senator Luigi Manconi, Präsident der parlamentarischen Kommission zum Menschenrechtsschutz. Der Minister selbst war allerdings vorerst in italienischen Medien nicht mit einem eigenen Zitat zu finden.

„Auch in dieser schwierigen Zeit muss man einen klaren Kopf bewahren. In Europa gewinnt man nicht mit einem Kraftakt die Aufmerksamkeit der europäischen Leader. Der einzig mögliche Weg ist jener der Diplomatie und des Dialogs“, sagte hingegen die Europa-Abgeordnete der rechtskonservativen Forza Italia, Lara Comi.

Der italienische Außenminister, Angelino Alfano, versuchte am Montagnachmittag etwas zu beschwichtigen: Die Verteilung temporärer Visa „steht nicht auf der Tagesordnung. Wir verfolgen eine globale Strategie, die zu einer europäischen Kooperation im Umgang mit der Flüchtlingskrise führen soll“. Dass die Berichte über Pläne nicht stimmen würden, dementierte er aber nicht.

Sicher ist jedenfalls, dass sich die Lage in Italien immer weiter verschärft: Denn die Zahl der Flüchtlinge, die seit Anfang 2017 über das Mittelmeer nach Italien gekommen sind, ist gegenüber dem Vergleichszeitraum 2016 stark gestiegen. Rund 90.000 Flüchtende erreichten die italienische Küste seit Jahresbeginn. Circa 30 Bürgermeister in der sizilianischen Provinz Messina protestieren gegen neue Migrantenankünfte. Ihre Gemeinden seien nicht in der Lage, die Last weiterer Flüchtlinge zu ertragen, sagten sie.

Migranten: 2011 schon Visa ausgestellt

Es wäre zumindest nicht das erste Mal, dass Italien zu einer solchen Maßnahme greift. Bereits 2011 hatte die Regierung von Silvio Berlusconi Wirtschaftsflüchtlingen aus Tunesien Touristenvisa ausgestellt, mit denen diese auch in andere Schengen-Länder ungehindert einreisen konnten. Da die meisten Migranten Frankreich zum Ziel hatten, kam es zwischen Italien und Frankreich zu einem Zwist. Nach dieser Maßnahme wurde übrigens der Schengen-Vertrag reformiert: Eine leichtere (temporäre) Wiedereinführung von Grenzkontrollen wurde eingeführt.

Auf einen Blick:

Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) besuchte am Montagnachmittag den Brenner. Der Grenzübergang zwischen Österreich und Italien ist seit einigen Tagen wieder Thema: Denn die Zahl der Flüchtlinge, die seit Anfang 2017 über das Mittelmeer nach Italien gekommen sind, ist gegenüber dem Vergleichszeitraum 2016 stark gestiegen. Rund 90.000 Flüchtende erreichten die italienische Küste seit Jahresbeginn. Nun wird befürchtet, dass sie weiter nach Norden ziehen. Im Ernstfall soll der Brenner daher gesichert werden. Vorbereitungen für einen Zaun wurden allerdings schon vor einem Jahr getroffen. Derzeit werden dort allerdings nur 15 bis 25 Menschen pro Tag aufgegriffen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.07.2017)

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