Der schwarz-blaue Stand der Dinge

Am Freitag trafen die Chefverhandler um Sebastian Kurz (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ) aufeinander – und sichteten die Berichte der Fachgruppen.
Am Freitag trafen die Chefverhandler um Sebastian Kurz (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ) aufeinander – und sichteten die Berichte der Fachgruppen.APA/HANS PUNZ
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In einigen Punkten waren sich ÖVP und FPÖ schnell einig – etwa bei den Verschärfungen im Asylwesen. Die heiklen Fragen werden aber erst debattiert: direkte Demokratie, Pflichtmitgliedschaften und Europa.

Wien. Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache gönnten sich am Freitag eine kleine Verschnaufpause – nicht von den Koalitionsverhandlungen, aber von den Medien. Vor der Sitzung der Steuerungsgruppe wurden dieses Mal ÖVP-Wien-Chef Gernot Blümel und FPÖ-Vize Norbert Hofer vorgeschickt. Ihre Botschaft: Man komme gut voran, das Klima sei gut. Danach widmete man sich den Zwischenberichten aus den 25 Fachgruppen. Zeit, um eine Zwischenbilanz zu ziehen. Was ist der schwarz-blaue Stand der Dinge?

1. Staat und Gesellschaft: Mehr Mitbestimmung für die Österreicher – aber wie viel? Und wie positioniert man sich zu Europa?

Der Themenbereich Staat und Gesellschaft ist nicht nur der umfangreichste, sondern auch der heikelste. Immerhin umfasst er direkte Demokratie, Europa- und Außenpolitik. Und hier gibt es zwischen ÖVP und FPÖ besonders viel Gesprächsbedarf. Die Freiheitlichen wollen die Hürden für Volksabstimmungen massiv senken, was der ÖVP nicht ganz geheuer ist (siehe Bericht auf Seite 1). Ähnlich verhält es sich bei den Pflichtmitgliedschaften in den Kammern: Die FPÖ ist für eine Abschaffung, die ÖVP eher dagegen.

Das EU-Kapitel ist auch wegen der Außenwahrnehmung heikel: Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat mehrmals betont, dass er nur eine proeuropäische Regierung angeloben werde. Beide Parteien sind für EU-Reformen, hin zu einem subsidiären Europa. Allerdings möchte sich Sebastian Kurz gegen weiterführende FPÖ-Pläne – Stichwort Öxit – absichern. Und zwar schriftlich. In welcher Form, ist offen.

Im Cluster Nummer eins wird auch über Medienpolitik verhandelt – einiges sickerte zuletzt durch: Die GIS-Gebühr könnte reduziert, die Presseförderung erhöht werden. Auch eine ORF-Reform ist im Gespräch.

2. Sicherheit, Ordnung und Heimatschutz:

Weniger Flüchtlinge und weniger Sozialhilfe, dafür mehr Polizisten.

Im Sicherheitsbereich gibt es besonders viele Überschneidungen zwischen beiden Parteien. Kein Wunder also, dass hier die ersten Einigungen präsentiert werden konnten. Solang die EU-Außengrenze nicht gesichert wird, wollen ÖVP und FPÖ die Grenzen national kontrollieren. Anerkannte Flüchtlinge sollen nicht mehr nach sechs, sondern – wie Zuwanderer – erst nach zehn Jahren die Staatsbürgerschaft beantragen können. Außerdem sollen sie eine geringere Mindestsicherung erhalten.

Apropos: Die Sozialhilfe soll bundesweit einheitlich geregelt werden und maximal 1500Euro für Familien betragen. Für bestimmte Leistungen – Mindestsicherung, Kinderbetreuungsgeld – könnte eine fünfjährige Wartefrist eingeführt werden. Bei der Familienbeihilfe werden Änderungen für EU-Bürger angedacht, deren Kinder im Ausland leben. Auch das von der ÖVP lang geforderte Sicherheitspaket mit mehr Überwachungsmöglichkeiten soll kommen, wobei die FPÖ bei der technischen Umsetzung noch skeptisch ist. Dafür ist man sich bei der Polizei einig: Die Präsenz im öffentlichen Raum soll erhöht, das Personal aufgestockt und das Besoldungsrecht reformiert werden.

3. Fairness und neue Gerechtigkeit: Werden die neun Gebietskrankenkassen unter einem Bundesdach fusioniert?

Eine Reform des Gesundheitssystems ist mittlerweile auch schon paktiert. Sozialversicherungen sollen zusammengelegt werden – die Frage ist, welche. Denn konkreter sind ÖVP und FPÖ bisher nicht geworden. Präventiv haben einige Bundesländer schon einmal Widerstand gegen eine Fusion der neun Gebietskrankenkassen unter einem gemeinsamen Bundesdach angekündigt. Offenbar ist das Thema in den Koalitionsverhandlungen. Derzeit gibt es jedenfalls 21 Sozialversicherungsträger in den drei Sparten Pensions-, Unfall- und Krankenversicherung.

Mit Spannung werden die Reformpläne für das Pensionssystem erwartet. Auch hier gibt es bislang nicht mehr als eine gut klingende Absichtserklärung: Dass nämlich das faktische Pensionsantrittsalter an das gesetzliche herangeführt werden soll.

Offen ist, ob das Rauchverbot in der Gastronomie – wie geplant – mit 1. Mai 2018 eingeführt wird. Die FPÖ ist als selbst ernannte Raucherpartei dagegen, weshalb die ÖVP nun von allen Seiten unter Druck kommt: Die Ärzte warnen; die Gastronomen fürchten Umsatzeinbußen. Möglich ist aber auch, dass die FPÖ das Thema nur einsetzt, um an anderer Stelle mehr herauszuholen.

4. Standort: Steuern senken, Schulden reduzieren – aber wie genau? Eventuell muss die „Aktion 20.000“ eingestellt werden.

Im Finanzbereich wurden bislang nur „Metaziele“ definiert. So soll die Staatsschuldenquote von 82 „in Richtung“ 70 Prozent und die Steuer- und Abgabenquote von 43,2 auf 40 Prozent gesenkt werden – zugunsten von Arbeitnehmern, Familien und Unternehmern, wie es hieß. Die Details dazu sind ÖVP und FPÖ aber noch schuldig.

Der gemeinsame Kassasturz ergab für heuer ein strukturelles Defizit von 0,46 Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP). Für 2018 erwarten die Koalitionspartner in spe ein Defizit von 1,5 Prozent – wegen der Nationalratsbeschlüsse kurz vor der Wahl und jener Maßnahmen, die im Jänner 2017 Eingang ins überarbeitete Regierungsprogramm gefunden haben. Um die EU-Vorgabe, ein strukturelles Defizit von 0,5 Prozent, erfüllen zu können, bestehe daher „Handlungsbedarf“. Auch dieser ist aber noch nicht näher definiert.

Nur so viel sagten Gernot Blümel und Norbert Hofer am Freitag: Die Beschäftigungsaktion „20.000“, die Langzeitarbeitslosen über 50 zugutekommt, müsse aufgrund der Budgetsituation „noch einmal evaluiert“ werden. Heißt: Eventuell wird sie eingestellt.

5. Zukunft: Eine Bildungspflicht für alle, Deutschklassen für manche – aber was geschieht in der Klimapolitik?

Im Schulbereich haben sich die Verhandler bereits auf eine sogenannte Bildungspflicht verständigt. Am Ende der Schullaufbahn sollen Mindeststandards in Lesen, Rechnen und Schreiben erfüllt werden. Für Kinder mit Sprachdefiziten soll es eigene Deutschklassen geben. Auch Umwelt und Landwirtschaft werden in diesem Cluster verhandelt – Näheres steht allerdings auch hier noch nicht fest.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2017)

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