Türkis-blaue Klausur: Viel Harmonie – und einige Misstöne

Die Regierung zelebriert ihre Einigkeit im Schloss Seggau. Doch das Arbeitslosengeld sorgt für Verwirrung.

Seggauberg. Die Wahl des Ortes für die Regierungsklausur dürfte nicht ganz unabhängig vom Motto erfolgt sein: „Schloss Seggau ist ein Ort der Begegnung. Hier finden Menschen Bedingungen vor, die sie inspirieren und ermutigen, Innovationen und Perspektiven für die Zukunft zu entwickeln“, wird auf der Homepage geworben. Passend für ÖVP und FPÖ, denn genau das, ein erstes Kennenlernen, wollte die türkis-blaue Koalition bei ihrer Klausurpremiere erreichen.

Dieses „neue Miteinander“, wie es Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) bezeichnet, versucht die Regierung in der Südsteiermark zu zelebrieren. Es sei wichtig, dass sich das neue Team „im menschlichen Bereich näherkommt“. Das „Kennenlernen ist ein wichtiges Prinzip“, sagt Strache fast philosophisch. Wenn alles nach seinem Plan verläuft, sollen sie zumindest fünf Jahre zusammenarbeiten. So wurde zu Beginn der zweitägigen Klausur in der Südsteiermark, abgesehen von den beiden Beschlüssen zur Familienbeihilfe und zur Arbeitslosenversicherung (siehe Seite 1), vor allem auf eines Wert gelegt: Atmosphäre.

Gemeinsam tritt Strache also mit Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) noch vor den ersten Arbeitssitzungen vor die Medien. Das neue Jahr sei ein arbeitsreiches, meint Kurz. Jetzt gehe es darum, die Theorie, also das Regierungsprogramm, in die Praxis umzusetzen. „Denn einen Mangel an Konzepten hat es noch nie gegeben. Wenn es an etwas gefehlt hat, dann an der Umsetzung.“ Die soll nun starten. Am Freitag wird die Regierung in einem außertourlichen Ministerrat die ersten beiden Gesetzesentwürfe ins Parlament schicken.

„Wir sind ein Orchester“

Strache formuliert die Botschaft lieber in Metaphern: „Wir sind ein rot-weiß-roter Schnellzug.“ Kein Minister werde in dieser Koalition ein Solo hinlegen und aus der Linie ausscheren. Denn: „Wir sind ein Orchester.“ Dann bleibt es musikalisch: „Um die Spider Murphy Gang zu zitieren: Jetzt wird in die Hände gespuckt“, sagt der Vizekanzler und spricht damit den eigentlichen Interpreten, Geier Sturzflug, unabsichtlich einen Hit ab.

Für Strache, mehr als ein Jahrzehnt in der Opposition, ist die Rolle des harmoniesuchenden Vizekanzlers eine neue. Die Taktik, mit einer Klausur den Startschuss für eine Regierung zu geben, ist es allerdings nicht. Im Gegenteil, sie ist so etwas wie Tradition: Neue Regierungen ziehen sich zu Beginn ihrer Amtszeit gern für ein, zwei Tage zurück. Einige Kilometer von Wien entfernt, aber inklusive Medienbeobachten. So versuchen die Minister gleich zwei Botschaften zu senden: Man will die Wahlversprechen einhalten. Und zwar möglichst ohne Konflikt innerhalb der Parteien.

Dass dies unter Rot-Schwarz nicht immer friktionsfrei funktionierte, versucht Kurz für sich und seine Botschaft zu nutzen. Eine Maßnahme wie die Kürzung der Familienbeihilfe sei jahrelang von der ÖVP geplant gewesen. „Mit der SPÖ war das aber nicht möglich.“ Jetzt sorge die neue Regierung „endlich für mehr Gerechtigkeit“. Da ist sie also wieder, die viel betonte Einigkeit.

Kurz widerspricht Hartinger

Ganz so harmonisch wie vorgegeben war es im Schloss Seggau allerdings nicht immer. Die Neuregelung des Arbeitslosengeldes sorgt weiter für Verwirrung. Die zuständige Sozialministerin, Beate Hartinger-Klein (FPÖ), hat zuletzt mit der Aussage, dass Langzeitarbeitslose „dauerhaft Anspruch auf Arbeitslosengeld“ haben und nicht in die Mindestsicherung fallen sollen, für Aufsehen gesorgt. So ist das, wie Kurz im Schloss betont, gar nicht paktiert.

Doch was ist nun tatsächlich geplant? „Es gilt immer das, was im Regierungsprogramm steht und was wir gemeinsam verhandelt haben“, sagt der Kanzler und widerspricht damit der Ministerin. Das Arbeitslosengeld neu werde ein „gerechteres“ sein. Menschen, die länger in das System einbezahlt haben, sollen auch länger vom Arbeitslosengeld profitieren. Und vice versa. „Gemeinsame Linie“ sei es jedenfalls, dass man die Notstandshilfe reformieren wolle, so Kurz.

Die Sozialministerin konnte man dazu nicht befragen. Die zeigte sich, wie die meisten anderen Regierungsmitglieder, den Journalisten vor ihrer Arbeitssitzung nicht. Schloss Seggau ist wohl nicht immer ein Ort der Begegnung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2018)

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