NS-Lieder mitsingen kann strafbar sein

Udo Landbauer
Udo LandbauerAPA/HELMUT FOHRINGER
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Vizekanzler Heinz-Christian Strache stellt sich hinter seinen Parteifreund Udo Landbauer, distanziert sich aber von den Burschenschaften. Van der Bellen wiederum glaubt, dass die Mitglieder von den Liedern gewusst haben.

Wien. Wegen des einschlägigen Liederbuchs der Verbindung Germania zu Wiener Neustadt, der auch der niederösterreichische FPÖ-Spitzenkandidat, Udo Landbauer, angehört, hat nun die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufgenommen. Im Raum steht der Vorwurf der Wiederbetätigung. In dem 300 Seiten starken Liederbuch, das die Burschenschaft aufgelegt hat, sind unter anderem diese Zeilen abgedruckt: „Da trat in ihre Mitte der Jude Ben Gurion: ,Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million.‘“ Und an anderer Stelle: „Da schritt in ihre Mitte ein schlitzäugiger Chines': ,Auch wir sind Indogermanen und wollen zur Waffen-SS.‘“

Die Ermittlungen richten sich gegen unbekannt. Geprüft werde ein Verstoß gegen § 3g des Verbotsgesetzes, hieß es seitens der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt zur „Presse“. Dieser Paragraf umfasst als Generalklausel alle Arten von Wiederbetätigung, die nicht bereits aus anderen Gründen strafbar sind. Die Strafdrohung beträgt ein bis zehn Jahre Haft. Strafbar kann sich nicht nur derjenige machen, der die Verantwortung dafür trägt, dass die NS-Texte im Liederbuch gelandet sind. Sondern jeder, der mitsingt, sofern er die NS-Zeit gutheißen möchte.

Die Verjährungsfrist beträgt zehn Jahre. Die Staatsanwaltschaft muss also prüfen, wie mit dem Buch, das laut Burschenschaft 1997 in dritter Auflage erschienen ist, in den vergangenen zehn Jahren umgegangen wurde.

Nur die Spitze des Eisbergs?

Philip Wenninger, stellvertretender Germania-Obmann, versicherte der Austria Presse Agentur, dass die fragwürdigen Zeilen in den Büchern geschwärzt worden seien. „Das liegt so im Verein nicht auf.“ Derzeit werde an einer neuen Auflage gearbeitet, denn das sei „nicht zeitgemäß und nicht in Ordnung“. Insgesamt umfasse das Buch 500 bis 600 Lieder, manche davon aus dem 19. Jahrhundert, außerdem Heimat- und Soldatenlieder sowie Lieder von Reinhard Mey.

Der Pennäler Ring hat die Germania zu Wiener Neustadt am Mittwoch trotzdem „mit sofortiger Wirkung“ suspendiert. „In unserem Verband ist kein Platz für Antisemitismus, in welcher Form auch immer“, war ÖPR-Vorsitzender Udo Guggenbichler um Klarstellung bemüht. Er entschuldigte sich für den „bedauernswerten Vorfall“. Andreas Peham vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands vermutet jedoch, dass es sich nur um die „Spitze des Eisbergs“ handelt. Seit den 1950er-Jahren sei ihm kein Text in dieser „blutrünstigen, grauslichen, offenen Form“ bekannt. Ein Problem sei aber auch, dass in den Verbindungen Verschwiegenheit herrsche und man bei der Aufklärung auf Aussteiger angewiesen sei. Peham hofft nun auf einen „Reinigungsprozess“.

Auch Heinz-Christian Strache distanzierte sich gestern – und zwar nicht nur von den Texten: „Burschenschaften haben nichts mit der FPÖ zu tun“, sagte der Vizekanzler nach der Sitzung des Ministerrats. Das zitierte Lied sei „wirklich widerlich“ und hätte „in unserer Gesellschaft“ nichts verloren.

Seinen niederösterreichischen Spitzenkandidaten nahm Strache jedoch in Schutz: Udo Landbauer habe ihm versichert, dass er die Texte nicht kannte – und das sei glaubhaft. Denn im Jahr 1997, als das Liederbuch gedruckt wurde, sei Landbauer elf Jahre alt gewesen. „Er hat mir versichert, dass er die Texte nicht kannte.“ Vom Koalitionspartner kam hingegen Kritik: Für Kanzleramtsminister Gernot Blümel (ÖVP) ist der Text „absolut indiskutabel“. Die Verantwortlichen sollten zur Verantwortung gezogen werden.

Van der Bellen: "müssen das gewusst haben"

Bundespräsident Alexander Van der Bellen glaubt nicht, dass der niederösterreichische FPÖ-Spitzenkandidaten Udo Landbauer nichts von den Nazi-verherrlichenden Liedern der Burschenschaft "Germania" gewusst habe. "Das müssen ja alle Mitglieder dieser Burschenschaft gewusst haben, was in diesem Liederbuch gestanden ist, auch der Vize-Obmann muss das gewusst haben", so Van der Bellen in Straßburg.

Er habe seinen "Augen nicht getraut", als er diese Texte gelesen habe und dass es möglich sei "auf diese Weise in einem Lied den Massenmord zu verhöhnen", sagte der Bundespräsident gegenüber dem ORF am Rande eines Besuchs im Europarat. Die Frage nach einem Rücktritt Landbauers bezeichnete er als "eine wichtige Frage", aber genauso wichtig seien die Fragen, "was ist das überhaupt für ein Verein, wie viel Wiederbetätigung liegt hier vor?". Er wolle sich nicht in den niederösterreichischen Landtagswahlkampf einmischen, so Van der Bellen. "Mir geht es um übergeordnete Fragen, wie ist es möglich, dass heute in einem regulären Verein ein solches Gedankengut offensichtlich vertreten wird."

Landbauer: „Liberale Burschenschaft“

Die Germania zu Wiener Neustadt, mit 70 Mitgliedern eine der kleineren Burschenschaften, hat erst im Vorjahr ihr 100-jähriges Bestehen gefeiert. Gegründet wurde sie 1917, aus einem Stammtisch heraus. Aufgenommen werden nur Männer, die in Wiener Neustadt zur Schule gehen. Das Religionsbekenntnis sei egal, man brauche auch keine österreichische Staatsbürgerschaft, sagt Vizeobmann Philip Wenninger. „Es muss aber jemand sein, der sich zu Österreich bekennt und die deutsche Sprache spricht.“

Udo Landbauer, gestern auf Wahlkampftour in Niederösterreich (siehe Bericht oben), verteidigte die Verbindung, obwohl er seine Mitgliedschaft ruhend gestellt hat: Die Germania zähle zu den liberalen Burschenschaften. „Die haben sogar mich aufgenommen, obwohl ich ein halber Perser bin.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.01.2018/APA)

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