Die sogenannte Selbstausschaltung

Dollfuss hatte die „Selbstausschaltung des Parlaments dafür genützt, der Parteiendemokratie ein Ende zu bereiten.
Dollfuss hatte die „Selbstausschaltung des Parlaments dafür genützt, der Parteiendemokratie ein Ende zu bereiten.(c) imago/United Archives Internatio
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Der März, der österreichische Tragödienmonat: Wie 1933 der erste Demokratieversuch scheiterte.

Deutsch-Österreich 1918: Der Staat, den fast keiner wollte. Wirtschaftlich kaum lebensfähig, politisch in der Folge geprägt von den Konflikten der ideologisch weit auseinanderdriftenden Sozialdemokraten und Christlichsozialen. Mit den Schüssen von Schattendorf und dem Justizpalastbrand 1927 als dem ersten unrühmlichen Höhepunkt. Ehe im März 1933 das Unheil endgültig an Fahrt aufnahm.

Den Hintergrund für den Untergang des ersten Demokratieversuchs in der Geschichte Österreichs bildete ein Eisenbahnerstreik: Die Auszahlung der Märzgehälter sollte nicht auf einmal, sondern in drei Raten erfolgen. Die Gewerkschaft lehnte dies ab und rief einen Streik aus. Der christlichsoziale Kanzler Engelbert Dollfuß wollte nicht nachgeben.

Am 4. März 1933 fand daher eine Sondersitzung des Nationalrats statt: Die oppositionellen Sozialdemokraten verlangten, dass die Bezüge zur Gänze ausbezahlt werden und die Streikinitiatoren unbehelligt bleiben. Es kam zur Abstimmung über den roten Antrag: Er wurde mit 91 Nein-Stimmen zu 70 Ja-Stimmen abgelehnt.

Dann kam ein zweiter Antrag, von den ebenfalls oppositionellen Großdeutschen, gegen die Streikenden keine Maßnahmen zu ergreifen, zur Abstimmung: Dieser wurde mit 81 Ja-Stimmen zu 80 Nein-Stimmen angenommen.

Allerdings lagen nach der Auszählung zwei dem Abgeordneten Simon Abram, einem Sozialdemokraten, zuzuordnende Stimmzettel vor, dafür keiner vom Abgeordneten Wilhelm Scheibein, ebenso Sozialdemokrat. Warum auch immer.

Der sozialdemokratische Nationalratspräsident Karl Renner ließ dies durchgehen. Er argumentierte, dass ja beide persönlich ihre Stimme abgegeben hätten. Die Christlichsozialen protestierten dagegen. Bei 80:80 hätte der Antrag als abgelehnt gegolten.

Renner legte daraufhin den Vorsitz zurück: Er könne diesen nicht weiterführen, wenn seinen Entscheidungen widersprochen werde. Es gab allerdings auch eine taktische Überlegung dahinter: Sollte es zu einer Abstimmungswiederholung kommen, dann könnte Renner als nunmehr einfacher Abgeordneter mitstimmen.

Nun übernahm der Zweite Nationalratspräsident, der Christlichsoziale Rudolf Ramek, den Vorsitz: Er erklärte die Abstimmung für ungültig und sprach sich für eine Wahlwiederholung aus. Nun legten sich die Roten vehement quer (aber auch mancher Schwarze) – und Ramek den Vorsitz zurück. Woraufhin der Dritte Präsident, der Großdeutsche Sepp Straffner, den Vorsitz übernahm, um ihn umgehend zurückzulegen, um ebenfalls mitstimmen zu können.

Androhung von Waffengewalt

Doch dazu kam es nicht mehr. Am Abend des 4. März gingen die Abgeordneten auseinander, eine Wiederaufnahme der Sitzung am 15. Oktober verhinderte Dollfuß mit Androhung von Waffengewalt. Er hatte die „Selbstausschaltung des Parlaments“, so die Dollfuß-Diktion, dafür genützt, der Parteiendemokratie ein Ende zu bereiten.

Am 30. April 1934 wurde die am 4. März 1933 unterbrochene Sitzung dann noch einmal aufgenommen – allerdings nur, um den Übergang von den Ersten Republik in die Ständesstaatsdiktatur auch offiziell zu legitimieren.

Laut dem Historiker Franz Schausberger hätte das Drama am 4. März 1933 noch verhindert werden können, indem der Wahlwiederholung unter dem Vorsitz Rameks stattgegeben worden wäre: Sozialdemokraten und Großdeutsche hätten ja wohl wieder für den großdeutschen Antrag gestimmt. Die Opposition hätte erneut den Sieg davongetragen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2018)

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