Die Chronik einer Geheimdienstaffäre

Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT).
Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT).(c) Die Presse (Petra Winkler)
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Haben sich Mitarbeiter des Verfassungsschutzes (BVT) kriminell verhalten – oder gibt es eine große Intrige der FPÖ? Das BVT steht so oder so vor dem Aus.

Wien. Eine Geheimdienstaffäre erschüttert die heimische Innenpolitik: Nach einer Hausdurchsuchung im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) sind drei Beamte suspendiert. Medien erheben Vorwürfe gegen die FPÖ, weil nicht die zuständige Einheit die Hausdurchsuchung durchgeführt hat, sondern die Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität (ESG), die von einem FPÖ-Funktionär angeführt wird.

Weiterer Vorwurf: Es seien Ermittlungsergebnisse zur rechtsextremen Szene beschlagnahmt worden. Stimmt nicht, stellte das Justizministerium am Freitag klar. Dennoch untersucht das Ressort die Vorgangsweise der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft. Auch der Sicherheitsrat und der Nationalrat werden sich in Sondersitzungen mit der Angelegenheit befassen: Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss könnte folgen. Das BVT jedenfalls ist schwer beschädigt. Die Chronologie einer undurchsichtigen Affäre:

Ein seltsames Dossier

Ihren Ausgang nahm die Affäre im vergangenen Jahr: Ein anonymes Dossier über die Zustände im BVT wurde an Justiz und Medien verschickt. Geschrieben offensichtlich von einem Insider, der hochrangigen Mitarbeitern schwere Verfehlungen vorwirft. Im Zentrum steht Michael Kloibmüller, ehemaliger Kabinettschef von Ex-Innenminister Wolfgang Sobotka und Präsidialchef. Die Vorwürfe darin: Falsch abgerechnete Spesen, veruntreute Lösegelder von Geiselnahmen und sexuelle Übergriffe. Der Autor des Dossiers ist nicht bekannt, vermutet wird ein der „Presse“ namentlich bekannter ehemaliger Abteilungsleiter des BVT.

Auch der „Presse“ wurde im vergangenen Jahr dieses Dossier zugespielt. Recherchen ergaben: Viele der darin erhobenen Vorwürfe waren schlicht unhaltbar, die Qualität des Dossiers war schlecht. „Die Presse“ hat – wie auch andere Medien – die Inhalte des Dossiers nicht veröffentlicht. Und auch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft schienen ins Leere zu laufen.

Substanziell war lediglich ein Detail, das im Herbst an die Öffentlichkeit kam: Demnach hat sich das BVT von der Staatsdruckerei 30 von den dort produzierten nordkoreanischen Pässen besorgt und drei davon an Südkorea weitergegeben. Ein „Presse“-Informant vermutet, dass gar nicht Südkorea, sondern ein mit Südkorea „befreundeter Nachrichtendienst“ um diese Blanko-Pässe ersucht hat. Es liegt nahe, dass damit ein US-Geheimdienst gemeint ist. Das Innenministerium hat die Weitergabe der Pässe im Vorjahr als völlig normalen Vorgang dargestellt: Südkorea habe die Pässe zu „Studienzwecken“ bekommen.

Es gibt noch einen weiteren Handlungsstrang in dieser BVT-Affäre: Gabriel Lansky, Rechtsanwalt der angeblichen Opfer des früheren kasachischen Botschafters, Rachat Alijew, war Spionage vorgeworfen worden. Der Vorwurf erwies sich nach Ermittlungen durch das BVT als nicht haltbar, doch der Verfassungsschutz – und da konkret BVT-Chef Peter Gridling – soll die Daten der Überwachung Lanskys nicht, wie gesetzlich vorgesehen, gelöscht haben. Damit steht der Vorwurf des Amtsmissbrauchs im Raum.

Hausdurchsuchungen

Wie gesagt, die Sache schien schon eingeschlafen zu sein. Bis in der Vorwoche, genauer gesagt am 27. Februar, eine Journalrichterin des Landesgerichts Wien einen nicht ganz alltäglichen Antrag der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft auf den Tisch bekommt: eine Hausdurchsuchung im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung sowie in Privatwohnungen. Warum diese plötzliche Aktivität? Laut Justizministerium gab es Zeugenaussagen, die in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang damit standen und die aktuelles Handeln wegen des Vorwurfs des Amtsmissbrauchs erforderten.
Die Hausdurchsuchung im BVT fand am kommenden Morgen statt – und zwar laut Schilderung von Medien unter bemerkenswerten Umständen: Die ESG soll mit 80 Mann, mit schusssicheren Westen und automatischen Waffen angerückt sein. Das könne man nicht bestätigten, es seien auf keinen Fall Waffen gezogen worden, erklärte am Freitag der Generalsekretär des Justizministeriums, Christian Pilnacek, in einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz.

Warum diese Truppe zum Einsatz kam, dafür gibt es zwei Erklärungsschienen. Die eine wird im Innen- und auch im Justizministerium vertreten und lautet: Das sei die einzige Chance gewesen, die Sache im Vorfeld geheim zu halten. Beim Einsatz einer anderen Einheit hätte das BVT schon vorher gewusst, dass eine Hausdurchsuchung droht. Die andere kommt von Kritikern von Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) und weist auf eine politische Connection hin: Chef der ESG ist Wolfgang Preiszler, FPÖ-Gemeinderat in Guntramsdorf und angeblicher Vertrauter von Peter Goldgruber, Kickls Generalsekretär im Innenministerium.

Daten über Rechte

Kritik an dem Einsatz gibt es aber nicht nur wegen der Beteiligung eines FPÖ-Funktionärs, sondern auch, weil angeblich sensible Daten beschlagnahmt worden sind: die Aufzeichnungen des Verfassungsschutzes über die rechtsextreme Szene – angesichts der Diskussion über die Tätigkeit rechter Burschenschafter und ihrer Verbindungen in Ministerkabinette, auch in jenes von Kickl, ein brisanter Vorwurf. Dabei habe es gegen die zuständige Beamtin im Rechtsextremismusreferat gar keine Anschuldigungen gegeben, sie sei nur als Zeugin geführt worden.

Stimmt nicht, sagt Generalsekretär Pilnacek. Es seien weder Rechtsextremismusdaten noch Falldaten kopiert worden, sondern nur ein privater Ordner auf dem Computer der betreffenden Beamtin. Grund dafür sei, dass diese ein privates Naheverhältnis zu einem der beschuldigten Beamten habe. Die Sicherstellung der Daten sei durch die anwesende Staatsanwältin und einen IT-Experten erfolgt. Nicht durch die Polizisten. Insgesamt sei ein Volumen von 19,1 Gigabyte beschlagnahmt worden. Die Polizeikräfte hätten nie Zugriff auf diese Daten gehabt und hätten sie auch jetzt nicht: Das beschlagnahmte Material befinde sich in einem besonders gesicherten Raum der Staatsanwaltschaft. Zutritt zu diesem Raum hätten nur die fallführende Staatsanwältin und der zuständige IT-Experte.

Umfärbung im BVT?

Strafrechtlich steht die Angelegenheit erst am Anfang. Drei Beamte im BVT sind suspendiert, und es könnte bald zu einem Wechsel an der Spitze des Geheimdiensts kommen. Der Vertrag von BVT-Chef Gridling läuft noch bis 20. März und hätte sich eigentlich – da eine Nichtverlängerung sechs Monate vorher angezeigt werden muss – schon verlängert. Jetzt gäbe es die Gelegenheit für eine Umbesetzung und damit auch für eine Umfärbung des Diensts. Einen neuen stellvertretenden Direktor hat Kickl erst diese Woche präsentiert. Nun könnte die FPÖ den ÖVP-nahen Gridling ablösen und einen ihr nahestehenden BVT-Chef einsetzen, heißt es.

BVT ohne Zukunft?

Die Frage ist allerdings, welche Zukunft das BVT überhaupt noch hat. Schon bisher galt der Innenministeriumsgeheimdienst als Schlangengrube: Es gibt ein schlechtes Arbeitsklima, interne Intrigen, gegenseitige Anzeigen. Auch ausländische Geheimdienste sollen sich über die Unprofessionalität des BVT beschweren. Gerade die Zusammenarbeit mit ausländischen Diensten dürfte unter dieser Affäre schwer leiden. Schon im Jänner hat die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, ihren österreichischen Amtskollegen, Sebastian Kurz, davor gewarnt, dass westliche Dienste die Zusammenarbeit mit Österreich einstellen wollen. Anlass waren die Kontakte des Koalitionspartners, FPÖ, nach Russland und die Angst vor der Weitergabe von Geheimdienstdaten.
Dass es nun eine Hausdurchsuchung gab, sei nicht vertrauensfördernd; dass die Causa mit den Nordkorea-Pässen an die Öffentlichkeit kam, sei verheerend. Das BVT, erklärt ein Insider, sei tot. Es werde von anderen Geheimdiensten nur noch die notwendigsten Informationen bekommen. Eine Zusammenarbeit wäre aber essenziell – etwa im Kampf gegen IS-Sympathisanten und Jihad-Kämpfer. Die Infos dazu seien meist vom Ausland gekommen, heißt es.

Durchaus möglich also, dass es jetzt zu einer völligen Neuaufstellung des BVT kommt und möglicherweise Aufgaben an den Heeresgeheimdienst HNA gehen. Einen Anlauf für eine Neuaufstellung hat Kickls Vorgänger Wolfgang Sobotka (ÖVP) schon im Vorjahr unternommen: Er wollte das BVT in einen echten Geheimdienst umwandeln. Einen Dienst, der nicht erst bei Straftaten aktiv wird, sondern schon im Vorfeld Gefahrenforschung betreibt.

("Die Presse", Printausgabe, 10.03.2018)

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