Was hinter dem Kopftuchverbot steckt

Das Kopftuchverbot soll in einem sogenannten „Kinderschutzgesetz“ verankert werden.
Das Kopftuchverbot soll in einem sogenannten „Kinderschutzgesetz“ verankert werden. (c) imago/Sven Simon (FrankHoermann/SVEN SIMON)
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Kinder unter zehn Jahren sollen kein Kopftuch tragen. Die Regierung will bis Sommer ein Gesetz vorlegen – und braucht die Opposition.

Wien. Die Ankündigung der Regierung, ein Kopftuchverbot in Kindergärten und Volksschulen einzuführen, kam überraschend – selbst für Bildungsminister Heinz Faßmann. Denn das Kopftuchverbot ist auf Chefebene beschlossen worden. Bis zu Beginn der Sommerferien soll es nun allerdings unter Faßmanns Federführung ausgearbeitet werden. Das Kopftuchverbot sei, wie der Minister es formulierte, „eine symbolische Handlung“. Man wolle signalisieren, dass Österreich ein säkularer Staat sei.

Kinder

Das Kopftuchverbot solle, wie es in dem am gestrigen Mittwoch unterzeichneten Ministerratsvortrag heißt, die „Kinder vor Diskriminierung und Stigmatisierung“ schützen. Wie viele Kindergarten- und Volksschulkinder tatsächlich ein Kopftuch tragen, wurde bisher nicht erhoben. „Kinder mit Kopftuch habe ich in den Kindergärten nicht gesehen“, sagt Henning Schluß, einer der Autoren der Wiener Kindergartenstudie, zur „Presse“. Ganz anders fallen die Beobachtungen von Historiker Heiko Heinisch aus. „Seit vielen Jahren nimmt die Zahl der Kinder, die Kopftuch tragen, zu. Außerdem werden die Kopftuchträgerinnen immer jünger.“ Die Situation in den Kindergärten habe sich zuletzt zwar verbessert. „Aber noch vor zwei, drei Jahren habe ich komplette Kindergartengruppen mit Kopftüchern gesehen.“ Privatkindergärten hätten damals sogar mit Fotos von kopftuchtragenden Kindern geworben. In den Volksschulen sei das Kopftuch „kein Massenphänomen“, sagt Lehrergewerkschafter Paul Kimberger. Es ist aber auch keine Rarität. Bei einem Rundruf der „Presse“ gaben sich die meisten Schuldirektoren wortkarg. Einer redet aber: Rund zwei Prozent seiner Schülerinnen, das seien vier Kinder, würden ein Kopftuch tragen, erzählte ein Schulleiter aus dem zehnten Bezirk. Gezwungen würden die Mädchen dazu nicht direkt. „Eine gute Muslima trägt ein Kopftuch“, würden die Eltern allerdings sagen.

Gesetz

Das Kopftuchverbot soll in einem sogenannten „Kinderschutzgesetz“ verankert werden. Über den Inhalt weiß man noch nicht viel. Unklar ist etwa, wie ein Verstoß gegen das Verbot sanktioniert werden soll. Mit Blick auf das Regierungsprogramm scheint die (teilweise) Streichung der Familienbeihilfe denkbar. Es wird – aus juristischen Gründen – wohl kein explizites Kopftuchverbot geben. Im Ministerratsvortrag ist von einem Verbot von „Symbolen und Kleidungsstücken, die etwa bestimmte problematische politische, religiöse oder weltanschauliche Hintergründe haben“ die Rede. Explizit sollen „Kleidungsstücke, die zur Verhüllung (. . .) des Körpers aufgrund des Geschlechts diskriminierend eingesetzt werden“ untersagt werden. Damit versucht man den Vorwurf der Diskriminierung einer einzelnen Glaubensrichtung zu umgehen. Das Gesetz sollte in den Verfassungsrang gehoben werden. Doch selbst dann ist es rechtlich problematisch. „Es ist eine Gleichung mit vielen Unbekannten“, sagt Verfassungsjurist Bernd Christian Funk zur „Presse“. Sollte das Tragen eines Kopftuches eine religiöse Pflicht sein, würde die Religionsfreiheit beschnitten. Das widerspreche der Europäischen Menschenrechtskonvention. Womit Österreich eine Verurteilung in Straßburg drohen könnte.

Politik

Die Regierung will das Gesetz in den Verfassungsrang heben (für Teile ist diese ohnehin nötig). Deshalb braucht es eine Zweidrittelmehrheit im Parlament und damit entweder die Stimmen von der SPÖ oder den Neos. Beide sind gesprächsbereit – unter bestimmten Bedingungen. SPÖ-Chef Christian Kern verlangt ein Integrationspaket und die Rücknahme der Budgetkürzungen im Integrationsbereich. Neos-Chef Matthias Strolz fordert einen Integrationsgipfel. Vorerst verhallten die Wünsche: „Wir sehen da keine große Notwendigkeit, in Verhandlungen zu treten“, sagte Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP).

Glaube

Verhandelt werden soll aber auf jeden Fall mit der Islamischen Glaubensgemeinschaft. Das wird nicht einfach. Denn die wandte sich gestern „mit aller Entschiedenheit“ gegen das Verbot und die „populistische Politik“. Es gebe ohnehin seit Jahren einen innermuslimischen Diskurs. Denn Kopftücher sollten wenn, dann erst ab der Religionsmündigkeit, Thema sein. Diese sei von einer „körperlichen und geistigen Reife“ abhängig und damit individuell. So sieht es die Glaubensgemeinschaft. Andere forderten gestern bereits ein Kopftuchverbot bis 14 Jahre.

AUF EINEN BLICK

Das Kopftuchverbot soll in Kindergärten und Volksschulen gelten. Wie viele unter zehnjährige Mädchen in Österreich ein Kopftuch tragen, ist nicht bekannt, es gibt nur (höchst unterschiedliche) Beobachtungen. „Die Rechtssetzung ist nicht abhängig von der quantitativen Dimension“, sagt dazu Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP). Er soll das Gesetz bis vor den Sommerferien ausarbeiten. Die Regierung wünscht sich eine Verfassungsmehrheit. Dazu braucht sie die SPÖ oder die Neos.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.04.2018)

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