Kern: Österreich kippe in Richtung „Orbanismus“

Das Verhältnis zur FPÖ sieht Kern nach der rot-blauen Annäherung von vor eineinhalb Jahren deutlich abgekühlt.
Das Verhältnis zur FPÖ sieht Kern nach der rot-blauen Annäherung von vor eineinhalb Jahren deutlich abgekühlt.(c) APA/HERBERT NEUBAUER
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Vor dem 1. Mai. Bundes-SPÖ-Chef sieht sich nun „auf einer Linie“ mit dem neuen Wiener SPÖ-Chef, Michael Ludwig.

Wien. In der Auseinandersetzung zwischen liberalen und illiberalen Demokratiemodellen kippe Österreich zunehmend auf die Seite des „Orbanismus“, meint SPÖ-Chef Christian Kern in einem Interview mit der Austria Presse Agentur vor den 1.-Mai-Feiern. Die SPÖ hingegen stehe für eine politische Alternative, für eine „gerechtere und ausgeglichenere Welt“.

In der Frage des Gesundheitssystems gebe es von der Regierung etwa keine Antwort auf die Frage des Ärztemangels, sondern ein 500-Millionen-Euro-Geschenk für Großbetriebe, so Kern in Anspielung auf die geplanten Einsparungen bei der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA), die zu niedrigeren Versicherungsbeiträgen bei Unternehmen führen sollen. „Das Geld wird im Gesundheitssystem bitter fehlen.“ Bei der Pflege verweigere die Regierung die Finanzierung.

Statt Geldgeschenken an Unternehmer und Wegschauens bei Sozialbetrug sollte man lieber in Bildung und den Ausbau von Kinderbetreuung und Ganztagsschulen investieren. Kritik übt Kern auch an der von der Regierung angestoßenen Privilegiendebatte bei den Sozialversicherungen. „Was da passiert ist, ist wirklich schändlich. Einen Wischzettel mit bösartigsten Anschuldigungen zu verbreiten, der im Wesentlichen aus Verleumdungen besteht, ist eines Kanzlers und eines Vizekanzlers wirklich unwürdig. Ich fordere die Regierung auf, mit dem Anpatzen dieser Institutionen aufzuhören.“

Dass die Regierung nun wie unter Schwarz-Blau I gemäß dem Motto „Speed kills“ unterwegs sei, sieht Kern nicht so. „Der Unterschied zur Schüssel-Ära ist, Schüssel hat eine Reihe von Dingen vorgeschlagen und umgesetzt. Jetzt reden wir über viele Dinge.“ Es gebe zu den meisten Themen keine Konzepte von ÖVP und FPÖ, sondern nur Überschriften. „,Pressekonferenz kills‘ ist das neue Motto der Regierung, aber nicht Speed.“

Das Verhältnis zur FPÖ sieht Kern nach der rot-blauen Annäherung von vor eineinhalb Jahren deutlich abgekühlt. „Da hat wirklich noch einmal eine Entwicklung stattgefunden, die mit der Positionierung der FPÖ in der Regierung zu tun hat. Es gibt eine echte Machtübernahme der deutschnationalen Burschenschafter, und es gibt antisemitische Ausritte.“ Die Angriffe auf den liberalen US-Milliardär George Soros seien etwa ein „Code von Antisemiten“. Und wenn FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache darauf wie beim jüngsten Ö1-Gespräch mit Kern mit dem Vorwurf des „Brunnenvergifters“ reagiere, dann sei auch das ein antisemitischer Code.

„Da gibt's dann zwei Möglichkeiten: Es ist kapitales Unwissen, oder es ist politischer Vorsatz. Ich unterstelle ihm kein Unwissen. Diese Partei gleitet zunehmend ab und übernimmt eins zu eins die Politik der ÖVP, dafür dass sie ein paar Jobs mit deutschnationalen Burschenschaftern besetzen dürfen. Früher hat man gesagt, sozialpolitisch würde man zwischen SPÖ und FPÖ Parallelen finden können. Die kann ich nicht mehr erkennen. Sozialpolitisch, aber auch demokratiepolitisch könnte die Distanz wahrscheinlich nicht größer sein.“

Auf die Frage, wie er dann mit einer rot-blauen Koalition im Burgenland leben könnte, meint Christian Kern: Im Burgenland habe Hans Niessl die FPÖ im Griff. „Das läuft nicht so wie im Bund. Da wird nicht jeden Tag einer antisemitischer oder rassistischer Ausführungen überführt.“ Auf einer Linie sieht sich Kern mit dem neuen Wiener SPÖ-Chef, Michael Ludwig: „Wir haben die Zusammenarbeit neu ausgerichtet. Wir sind noch einmal ein gutes Stück enger zusammengerutscht. Ich bin optimistisch, dass es vor dem Hintergrund gelingen wird, Wien zu verteidigen und gemeinsam eine starke Opposition zu bilden.“

Kern: Ludwig „sicher kein Rechter“

Den Eindruck, dass er bei der Wahl zum Wiener SPÖ-Chef Andreas Schieder und nicht Ludwig unterstützt habe, weist Kern zurück. „Nein, das haben immer nur die Zeitungen geschrieben.“ Ludwig kenne er seit 30 Jahren, er sei ein seriöser, überlegter Mann, „der ein sozialdemokratischer Zentrist ist, aber sicher kein Rechter“. Auf die Frage, ob Ludwig „sein Mann“ sei, meint Kern: „Absolut. Wir müssen uns gegenseitig unterstützen, und das funktioniert auch sehr gut. Man hat das bei der Kopftuchdebatte gesehen, da gab es einen Abstimmungsprozess und am Ende eine gemeinsame Parteilinie, die durchgesetzt wurde.“

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