Mindestsicherung: Auch klassischen Familien drohen laut Armutskonferenz Kürzungen

Clemens Fabry
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Schon ab dem ersten Kind könnten Familien mit der geplanten Reform weniger Geld beziehen, warnt die Armutskonferenz. Die Regierung weist die Kritik zurück.

Die Reformpläne der Regierung bei der Mindestsicherung bedeuten für die allermeisten der betroffenen Familien Kürzungen. Darauf verweist die Armutskonferenz angesichts erster Modellrechnungen. Auch Alleinerzieherinnen werden entgegen der Darstellung der Regierung in vielen Fällen nicht von der Neuregelung profitieren: Ihnen drohen im Westen und in Wien Verluste.

Insgesamt sind in Österreich 83.818 Kinder auf Mindestsicherung angewiesen (Stand 2016). Mehr als die Hälfte der 307.533 Bezieher lebt in Familien mit Kindern. Von den nun geplanten Kürzungen werden allerdings - anders als von der Regierung suggeriert - nicht nur Großfamilien betroffen sein. Im Gegenteil: Die Armutskonferenz verweist darauf, dass klassische Paar-Familien in allen Bundesländern schon ab dem ersten Kind weniger Geld erhalten werden.

"Leute können ja nicht delogiert werden"

Scharfe Kritik an den Plänen kommt von Martin Schenk von der Armutskonferenz. Er hält den Wegfall der Mietzuschüsse für eine "Katastrophe". "Was passiert dann mit den Leuten? Die können ja massenweise delogiert werden", sagt Schenk gegenüber der APA. Außerdem kritisiert er, dass die Regierung ihre Vorschläge ohne Einbindung der Praktiker erstellt habe. Selbst Schwarz-Blau I habe zu den Hilfsorganisationen Kontakt gehalten.

Die Regierung bezeichnete die Berechnungen der Armutskonferenz am Donnerstag als "sachlich" nicht zutreffend. In diesen Zahlen würden die Mietzuschüsse der Länder fälschlicherweise in die Mindestsicherung miteinberechnet, sagte Regierungssprecher Peter Launsky-Tieffenthal.

Auch die pauschale Behauptung der Regierung, dass Alleinerzieherinnen von der Reform profitieren werden, lässt sich laut APA durch die bisher vorliegenden Zahlen nicht belegen. Zwar könnten Alleinerzieherinnen mit zwei Kindern in fünf Bundesländern künftig mehr Geld erhalten. In den westlichen Ländern Salzburg, Tirol und Vorarlberg sowie in Wien kommen aber auch auf sie Verluste zu, wenn mit der Reform die derzeit gewährten Mietzuschüsse wegfallen.

Zu den Zahlen im Detail: Dass Mehrkind-Familien durch die Neuregelung Geld verlieren würden, liegt daran, dass die Kinderzuschläge für das zweite Kind auf 130 Euro sinken, ab dem dritten würden nur noch 43 Euro ausgezahlt. Allerdings würden auch Familien mit zwei Eltern und nur einem Kind künftig weniger erhalten. Denn das erste Kind würde zwar etwas höhere Zuschüsse bekommen (216 statt z.B. 155 Euro in der Steiermark), die Eltern aber weniger (1.208 statt 1.295 Euro). Der Verlust der Eltern frisst damit das Plus beim ersten Kind auf.

Unklare Berechnungsgrundlage

Für Alleinerzieherinnen würden diese Kürzungen abgefedert: Sie sollen einen zusätzlichen Bonus erhalten, der für das erste Kind 100 Euro ausmacht und dann mit der Anzahl der Kinder sinkt. Laut Regierung könnte eine Alleinerzieherinnen mit zwei Kindern damit statt bisher 1.174 Euro künftig 1.383 Euro erhalten. Das Problem dabei: auf welches Bundesland sich das Beispiel bezieht, konnte das Sozialministerium auf APA-Anfrage nicht sagen.

APA

Schon jetzt können Alleinerzieherinnen mit zwei Kindern nämlich in mehreren Ländern höhere Zuschüsse erhalten als die von der Regierung für diesen Fall künftig maximal erlaubten 1.383 Euro. Denn Wien, Salzburg, Tirol und Vorarlberg zahlen zusätzliche Mietzuschüsse aus. Eine Alleinerzieherin mit zwei Kindern wird damit in Innsbruck je nach Höhe der tatsächlichen Mietkosten mit bis zu 1.841 Euro unterstützt - deutlich mehr als die von der Regierung geplanten 1.383 Euro. In Vorarlberg sind es bis zu 1.702 Euro, in Salzburg 1.647 und in Wien 1.452 Euro.

Eine Verbesserung wäre die Neuregelung zwar im Burgenland (1.196 Euro), in Kärnten (1.148), in der Steiermark (1.173), in Niederösterreich (1.260) und in Oberösterreich (1.345). Allerdings lebt in diesen Bundesländern nicht einmal ein Drittel der alleinerziehenden Eltern mit Mindestsicherung. Die überwiegende Mehrheit lebt in jenen Ländern, die derzeit (noch) höhere Unterstützungsleistungen auszahlen.

(APA)

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