Hans Niessl kritisiert Regierung: "Kurz hätte sieben Jahre Zeit gehabt"

Hans Niessl
Hans NiesslAPA/ROBERT JAEGER
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Burgenlands Landeshauptmann fordert von der Bundesregierung mehr Taten bei der Entschärfung des Migrationsproblems: "Mir wäre es lieber, es würde weniger präsentiert und mehr umgesetzt."

Der burgenländische Landeshauptmann Hans Niessl (SPÖ) fordert von der Bundesregierung während der EU-Ratspräsidentschaft mehr Anstrengung bei der Entschärfung des Migrationsproblems. "Dass wir eine europäische Lösung brauchen, wird seit drei Jahren diskutiert. Es wird viel geredet, es gibt wöchentlich einen neuen oder alten Vorschlag, und es wird wenig umgesetzt", kritisierte Niessl im APA-Interview.

Der Landeshauptmann befürchtet, dass es am Ende von Österreichs EU-Vorsitz "wieder nichts Substanzielles" geben werde. "Mir wäre es lieber, es würde weniger präsentiert und mehr umgesetzt. Wir müssen vom Reden schon lange ins Tun kommen. Dass man Kriegsflüchtlingen helfen soll, steht außer Zweifel, aber wie man die Wirtschaftsmigration in den Griff kriegt, da fehlen die Ansätze." Im Burgenland hätten Polizei und Bundesheer 21 Jahre lang die Schengen-Außengrenze geschützt. Das habe funktioniert. "Es gilt nicht zu sagen, man kann die Schengen-Außengrenze nicht kontrollieren. Wenn man will, dann kann man es."

Dass der Ausbau der EU-Grenzschutzagentur Frontex nun bis 2020 und nicht erst bis 2026 erfolgen soll, beeindruckt Niessl wenig: "Jetzt haben wir 2018. Heißt das, dass bis 2020 die Außengrenzen nicht geschützt werden?" Auch den Vorschlag nach Erstaufnahmestellen außerhalb der EU, höre er seit drei Jahren. "Es werden sich keine Länder dafür finden."

Ein weiteres Problem, über das gar nicht erst geredet werde, seien die vielen illegal aufhältigen Migranten in Österreich. "Vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, dass das rund 250.000 Menschen sind. Das ist eine Stadt wie Graz. Kein guter Zustand."

Keine Alternative zu Grenzkontrollen

Für Niessl gibt es deshalb vorerst keine Alternative zu Kontrollen an Österreichs Grenzen. "Derzeit kommen täglich circa 50 Flüchtlinge nach Österreich, das sind 300 bis 400 pro Woche. Ganz wenige kommen über das Burgenland, weil dort die Grenzkontrollen von Polizei und Bundesheer so gemacht werden, dass die Schlepper erwischt werden. Würde man Polizei und Bundesheer von der burgenländischen Grenze abziehen, werden sich die Schlepperrouten sofort ändern. So lange die Außengrenzen nicht geschützt werden, müssen wir es selbst tun."

Kritik übt Niessl an Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). "Kurz ist seit 2011 in der Bundesregierung. Er hätte mindestens sieben Jahre Zeit gehabt, als Außenminister in der EU Lösungen für den Außengrenzschutz zu finden." Das erste Monat unter Österreichs EU-Ratsvorsitz nannte Niessl einen "kompletten Reinfall".

Die Regierung sieht Niessl auch in Sachen Personenfreizügigkeit innerhalb der EU gefordert. Der burgenländische Landeshauptmann bekräftigt seinen jüngsten Vorstoß und plädiert dafür, dass Branchen, die von hoher Arbeitslosigkeit betroffen sind, von der Personenfreizügigkeit ausgenommen werden. Übersteigt die Arbeitslosigkeit einen gewissen Prozentsatz, soll es "temporär" keine Freizügigkeit geben. Als Richtwert schweben Niessl acht bis neun Prozent Arbeitslosigkeit pro Sparte und übers Jahr gerechnet vor. In der Vergangenheit sei etwa die Baubranche von solchen Werten betroffen gewesen. Da könne man dann nicht mehr Bauarbeiter aus dem EU-Ausland holen, so Niessl.

Von der Bundesregierung fordert der Landeshauptmann, mit der EU "neue Verhandlungen" in diese Richtung aufzunehmen. "Es besteht Handlungsbedarf. Wenn es in manchen Branchen eine große Arbeitslosigkeit gibt, wird durch die Personenfreizügigkeit der Druck am Arbeitsmarkt noch größer und das Lohn- und Sozialdumping noch stärker. Das ist zwar derzeit nicht relevant, aber es können durchaus Zeiten kommen, wo die Arbeitslosigkeit wieder ansteigt."

Kritik am Arbeitszeitgesetz

Kritik übte Niessl auch am neuen Arbeitszeitgesetz. "Die Gewinne der Unternehmer steigen, die Einkommen stagnieren, und die Arbeitnehmer sollen flexibler arbeiten. Das ist eine Umverteilung von unten nach oben. Der Protest ist berechtigt." Für Pendler werde es in Zukunft noch schwerer. Die Regierung habe sich unter Beihilfe der Industriellenvereinigung für das "Ausschalten der Sozialpartner und den Abgang der Konsensdemokratie" entschieden. Es gehe vor allem darum, den Einfluss der Gewerkschaft zurückzudrängen, weil man offensichtlich der Wirtschaft verpflichtet ist, so der derzeitige Vorsitzende der Landeshauptleutekonferenz.

Im Umgang mit den Bundesländern agiere die Regierung "im Ansatz" ähnlich. "Die Mehrheit der Länder hat einen ÖVP-Landeshauptmann. Mit den Ländern geht die Bundes-ÖVP vorsichtiger um als mit den Sozialpartnern. Ich glaube da möchte man es sich nicht verscherzen. Aber wenn die Bundesregierung die Bundesländer nicht als gleichwertigen Partner sieht, dann werden wir uns deutlich wehren. Das große Plus der Landeshauptleute ist: Wir denken nicht parteipolitisch, sondern nach Länderinteressen. Das wird der Bundeskanzler noch erkennen."

Für die anstehenden Verhandlungen in Sachen Kinderbetreuung oder Mindestsicherung fordert Niessl denn auch Beweglichkeit aufseiten des Bundes. Alles in allem brauche es mehr Mittel für die Kinderbetreuung und ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr für Kinder mit Defiziten und mehr Mittel für den Ausbau ganztägiger Schulen sowie die sprachliche Frühförderung und Ausbildung. Niessl plädiert zudem für mehr Schulautonomie. "Es kann nicht der Minoritenplatz sagen, ihr müsst ein halbes Jahr 20 Stunden in Deutschklassen gehen. Es kann sein, dass es Kinder gibt, die dort 15 Stunden hin müssen, und vielleicht andere, weil sie schon weiter sind, nur fünf Stunden brauchen. Warum wird das verordnet?"

Mindestsicherung: "Spielraum für Länder"

Bei der geplanten Reform der Mindestsicherung sieht der Landeshauptmann die Bundesländer noch zu wenig eingebunden. "Ich persönlich bin der Meinung, dass wir eine österreichweite Lösung brauchen, aber diese österreichweite Lösung muss den Ländern auch Spielraum geben." Vor allem bei den Wohn- und Mietkosten sowie den Lebenshaltungskosten, die in den Ländern unterschiedlich hoch sind, müsse es eine "Mitgestaltungsmöglichkeit" der Bundesländer geben.

(APA)

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