Thomas Drozda: "Ich lebe so, wie es mir entspricht"

Die Presse/ Clemens Fabry
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SPÖ-Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda über das Scheitern des Christian Kern, die Social-Media-Welt und die Löwelstraße, seine Uhr und William Shakespeare. Und über die Zukunft der Sozialdemokratie in Zeiten der Migrationsbewegungen.

Die Presse: Hat Sie der endgültige Abschied von Christian Kern überrascht?

Thomas Drozda: Naja, es hat sich abgezeichnet. Es gab in den vergangenen Tagen intensive Gespräche, da haben wir alles sorgsam abgewogen.

Wann haben Sie erfahren, dass sein Rückzug fix ist?

Am Samstag in der Früh hat er mir das dann gesagt.

Angeblich wollte Kern bei der EU-Wahl mit einer Allianz aus Liberalen und Grünen antreten – und nicht mehr explizit nur mit einer sozialdemokratischen Liste. Sie und die neue Parteichefin sollen ihm das untersagt haben.

Es gibt sicher viele auf der liberalen und sozialliberalen Seite, die kein Europa der Orbáns und Salvinis, kein Europa der Stacheldrähte wollen. Solche Allianzen kann man allerdings nicht auf österreichischer Ebene schmieden, sondern muss es auf europäischer tun.

Das heißt, Kern wollte so eine Allianz zuerst einmal mit den österreichischen Grünen und den Neos?

Nein, ich weiß aber auch nicht, was die Grünen und die Neos dazu gesagt hätten. Das müssen Sie Kern fragen.

Hat er die EU-Spitzenkandidatur eigentlich an jenem Dienstagnachmittag erfunden, als sein abendlicher Rücktritt vorab publik wurde?

Wie sein Entscheidungsprozess war, das müssen Sie ebenfalls ihn fragen.

Woran ist Christian Kern denn gescheitert?

Er hat in seiner Zeit als Regierungschef vieles zusammengebracht: Ganztagsschulen, Ausbildungspflicht, Maßnahmen für Lehrlinge und und und. Letztlich hat Sebastian Kurz sehr konsequent und stringent über mehrere Jahre seinen Wahlkampf vorbereitet. Und die Regierungszusammenarbeit nach Kräften behindert. Das kann man aus handwerklicher, machiavellistischer Sicht toll finden, aber eigentlich ist eine Regierung dazu da, um zu arbeiten. Darunter hat der Regierungschef dann mehr gelitten als derjenige, der so getan hat, als hätte er mit all dem zuvor nichts zu tun gehabt.

Was kann Pamela Rendi-Wagner besser als Christian Kern?

Sie hat eine andere Biografie als Ärztin. Sie hat einen anderen Zugang zu diversen Fragen. Und sie ist sehr teamorientiert.

Eine schöne Uhr haben Sie da.

Es gibt eine sehr schöne Textzeile in einem Chanson von Michael Heltau: „Ich bin das Kind reeller Leute, bei denen alles etwas wiegt“. Das beschreibt auch meine Biografie sehr gut. Ich habe in den Siebzigerjahren Chancen vorgefunden, die für ein Kind aus einfachen Verhältnissen nicht selbstverständlich waren. Ich war der Erste in meiner Familie, der studiert hat.

Schon bei Christian Kern waren die Uhren ein Thema. Warum ist das bei Sozialdemokraten so?

Die Frage des Lebensstils ist eine persönliche und politisch völlig irrelevante. Ich lebe so, wie es mir entspricht. Ich bin nicht mit Theater, Konzertsälen und Ausstellungen aufgewachsen. Ich war, als ich mit 25 Jahren nach Wien kam, fasziniert von dem kulturellen Angebot. Und ich nütze das. Aber es geht nicht darum in den Vordergrund zu stellen, wie ich lebe. Die viel entscheidendere Frage ist ja: Gibt es diese Chancen, die ich in den Siebzigerjahren hatte, auch für die heutigen Kinder noch?

Damals, in der Ära Kreisky, gab es Ziffernnoten, Sitzenbleiben und Leistungsgruppen. Warum ist heute schlecht, was damals gut war?

Ich glaube, dass sich Systeme in vier Jahrzehnten weiter entwickeln. Es gibt Erkenntnisse der Pädagogik, dass es Alternativen zu Ziffernnoten in Volksschulen gibt.

Aber anscheinend versucht man jetzt einmal einen anderen Weg, nachdem der bisherige dazu geführt hat, dass viele Kinder schlecht lesen, schreiben und rechnen können.

Da unterscheiden wir uns in der Analyse. Meine ist, dass sich in den Schulen zu wenig als zu viel verändert hat. Ich habe mir vor sieben Jahren eine Schule in Israel angesehen: Da haben sie nicht über die Digitalisierung geredet, sondern der Unterricht war digital. Der Stillstand in der Bildungspolitik hat vor allem mit den Verhinderungsaktivitäten der ÖVP-Lehrergewerkschaft zu tun.

Wenn man sich die Beschreibungen der Wiener Pflichtschullehrerin Susanne Wiesinger, einer Sozialdemokratin, ansieht, dann ist das schon auch ein ziemlich vernichtendes Urteil über die bisherige, von der SPÖ maßgeblich mitgeprägten Bildungspolitik.

Ich habe mit harten Urteilen kein Problem. Das bin ich aus all meinen bisherigen Berufen gewöhnt: Man muss die Dinge auch präzise analysieren. Und ich halte nichts vom Wegschauen, wenn es Probleme gibt.

Sie waren unter anderem Geschäftsführer des Burgtheaters. Da wurde Ihnen dann vorgeworfen, Sie hätten von den Malversationen dort gewusst.

Ich habe das Burgtheater zu einem Zeitpunkt übergeben, zu dem es eine funktionierende Liquidität und eine positiv testierte Bilanz hatte. Laut Rechnungshof sind die Probleme erst danach aufgetreten. Ich wurde zu keinem Zeitpunkt von der Staatsanwaltschaft dazu befragt.

Kommen wir zurück zur SPÖ: Ist das historische Mandat der Sozialdemokratie eigentlich aufgebraucht? Die Arbeiter haben es vielfach in die Mittelschicht geschafft, es gibt jedenfalls immer weniger. Auch die Antworten auf die Migrationsfrage waren – europaweit – nicht wirklich überzeugend.

Es geht darum: Wie schafft man unter globalen, digitalen Wettbewerbsbedingungen Aufstiegsmöglichkeiten und faire Rahmenbedingungen für alle? Das ist alles andere als aufgebraucht, sondern aktuell wie nie. Und es gibt auch weiterhin Menschen, die sehr hart arbeiten: in Pflegeberufen ebenso wie am Bau. Ich kann mit dem „Es gibt eh keine Arbeiter mehr“ wenig anfangen.

Aber diese wählen heute eher FPÖ und ÖVP. Vor allem wegen der Migrationsthematik.

Die Migrationsthematik hat man sich nicht ausgesucht. Die Dimension der Verunsicherung, die damit einhergeht, haben wir sicher unterschätzt. Aber wir sind an einem Punkt, an dem wir eine klare Grundlage – Integration vor Neuzuzug mit dem Migrationspapier – haben. Aber da muss man auch sagen: Die Maßnahmen der Regierung, Lehrer streichen, Sozialarbeiter streichen, sind kontraproduktiv für die Integration.

Gibt es eigentlich irgendetwas, das Sie gut finden an der Regierung?

Die Regierung raubt den Menschen Chancen, etwa beim Aus für die Aktion 20.000. Die Anschläge Kickls auf die Pressefreiheit sind inakzeptabel...

Was Sie an der Regierung gut finden, war eigentlich die Frage.

Ad hoc kann ich sagen: Die Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge für Geringverdiener, das halte ich für vernünftig. Und der Familienbonus hätte potenziell vernünftig sein können – wenn man die Familienbeihilfen für alle erhöht und auch Kindergärten und Ganztagsschulen ausgebaut hätte.

Das neue Parteiprogramm der SPÖ trägt sehr stark die Handschrift von Christian Kern. Umstritten war unter anderem die Mandatsbegrenzung auf zehn Jahre. Wird das nun so beschlossen auf dem Parteitag am 24. November?

Das Programm wird so bleiben und auf dem Parteitag eine große Mehrheit finden.

Was wollen Sie denn ändern in der Löwelstraße? Allein von der Anmutung her ist das nach wie vor ziemlich altvaterisch hier.

Die Zentrale hier hat sicherzustellen, dass wir nach der nächsten Wahl Nummer eins sind. Ich bin der Meinung, dass die Löwelstraße nicht die zehnte Landesorganisation ist, sondern die Zentrale für Analyse, Strategie, Meinungsforschung, Fokusgruppen – und für Social Media. Wenn ich mir ansehe, was die Freiheitlichen hier erreicht haben, dann müssen wir dem eine positive Social-Media-Welt entgegensetzen.

Hatten Sie je mit Jörg Haider zu tun?

Nein, nie. Für mich ist das fast eine Figur aus der Literatur. Vollkommene Hybris. Gleichzeitig hinter dem Schein das Sein, das Verheerungen für das Land Kärnten bedeutet hat. Und eine nachhaltige Beschädigung des geistigen und gesellschaftlichen Klimas. Er war sicher das Role Model des europäischen Rechtspopulismus.

Ist die FPÖ heute berechenbarer?

Sie ist sicher schlichter. Aber sie ist indem, was sie praktisch tut, brandgefährlich.

Können Sie jetzt eigentlich Shakespeare in fünf Sprachen rezitieren?

Ehrlich gesagt, es gibt Zuschreibungen, die mich mehr kränken als die Mutmaßung, ich wäre ein profunder Shakespeare-Übersetzer. Der ich im Übrigen nicht bin.

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