Wo die „Message control“ nicht funktioniert

Begeisterung für Parteichef Sebastian Kurz 365 Tage nach der Wahl.
Begeisterung für Parteichef Sebastian Kurz 365 Tage nach der Wahl.APA/HERBERT NEUBAUER
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Die Regierung Kurz hat auch ein Jahr nach der Wahl in Umfragen hohen Zuspruch. Trotzdem gab es einiges an Turbulenzen, seit dem Antritt der türkis-blauen Regierung.

Wenn diese Regierung eines perfekt beherrscht, so ist es politische Inszenierung und die „Message control“. Strategische Kommunikation besteht darin, jeweils ein „Thema der Woche“ festzulegen – und unangenehme Themen abzuwehren. Das hat in den zehn Monaten von Türkis-Blau recht gut funktioniert – aber nicht uneingeschränkt.

Das erste Mal geriet die Regierung Kurz unter Druck, als im Jänner die „Liederbuch-Affäre“ bekannt wurde. Ein Liederbuch mit antisemitischen Texten wurde bei der Burschenschaft Germania in Wiener Neustadt gefunden und führte angesichts der engen Verbindungen der Burschenschaften mit der Regierungspartei FPÖ zu einer Belastungsprobe für die Koalition. Die FPÖ reagierte, indem der niederösterreichische Spitzenkandidat und Germania-Funktionär Udo Landbauer aus der Politik abgezogen wurde. Inzwischen ist er längst wieder zurückgekehrt. Und die FPÖ setzte eine Historikerkommission ein, die sich mit der Geschichte der Partei befassen sollte.

Während damit das Thema bald vom Tisch war, sorgt ein anderes schon seit Monaten für Turbulenzen: Die Razzia im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung wird von der Opposition dem Innenminister zugerechnet: Sein Generalsekretär bzw. sein Kabinett hätten die Ermittlungen gegen den zivilen Nachrichtendienst orchestriert und die Staatsanwaltschaft dabei unter Druck gesetzt. Der von der Opposition eingesetzte Untersuchungsausschuss fördert auch zunehmend Material an die Oberfläche, das diese These stützt. Und erstmals sind auch feine Risse in der Koalition erkennbar: Die ÖVP war bei den Parlamentssitzungen nur noch widerwillig bereit, den dort selbstbewusst und offensiv auftretenden Innenminister zu unterstützen.


International am Pranger. Kickl war es auch, der gleich für den nächsten Aufreger in der Koalition sorgte: Die Anweisung des Ministeriumssprechers an die Polizei-Pressestellen, Informationen an bestimmte Medien auf das gesetzlich vorgeschriebene Mindestmaß zu beschränken, brachte den Vorwurf der Einschränkung der Pressefreiheit mit sich. Auch international stand Österreich plötzlich am Pranger. Bundeskanzler Sebastian Kurz distanzierte sich erstmals öffentlich vom Koalitionspartner.

Inhaltlich sorgten zwei Vorhaben für gröbere Proteste: Das erste war die von der FPÖ betriebene Aufhebung des an sich schon beschlossenen Rauchverbots in der Gastronomie, gegen das sich eine breite Allianz zusammenfand. Fast 900.000 Personen unterschrieben ein Volksbegehren dagegen, es war eines der erfolgreichsten Volksbegehren in der Geschichte. Türkis-Blau haben aber angekündigt, dabei bleiben zu wollen.

Noch nicht ausgestanden ist dagegen das Thema Arbeitszeitflexibilisierung. Dass der Zwölf-Stunden-Tag bzw. die 60-Stunden-Woche just in dem Moment ins Parlament eingebracht wurde, als der ÖGB-Kongress beendet war, empörte die Gewerkschaft zusätzlich, die mit einer Großdemonstration zeigte, dass sie durchaus noch in der Lage ist, zu mobilisieren. Sie will jetzt bei den Lohnverhandlungen im Herbst mit hohen Forderungen an die Arbeitgeber einen Ausgleich schaffen – Streik nicht ausgeschlossen.

Störfälle

Liederbuch. Antisemitische Liedtexte bei der Burschenschaft Germania sorgen für erste Irritationen in der Regierung.

BVT. Die Razzia im Bundesamt für Verfassungsschutz verstört nicht nur die FPÖ, auch die ÖVP ist über die Entwicklung nicht glücklich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.10.2018)

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