Rechnungshof rügt Regierung: "Spiel mit Zahlen beenden"

Rechnungshof-Präsidentin Margit Kraker
Rechnungshof-Präsidentin Margit Kraker (c) APA (HERBERT PFARRHOFER)
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Rechnungshof-Präsidentin Kraker kritisiert die von Türkis-Blau geplante Reform der Sozialversicherungen. Ihr fehlt der Nachweis zum Einsparen der behaupteten Milliarde. Die Arbeiterkammer verlangt gar die Rücknahme des Entwurfs.

Heftige Kritik an der von der Regierung geplanten Reform der Sozialversicherungen kommt vom Rechnungshof und seitens der Arbeiterkammer. Während AK-Präsidentin Renate Anderl Türkis-Blau auffordert, ihren Entwurf "zurückzunehmen und auf den sozialpartnerschaftlichen Weg des Interessensausgleichs zurückzukehren", stoßen sich die Prüfer des Rechnungshofes insbesondere die Darstellung der Kosten. "Es fehlen transparente und nachvollziehbare Berechnungsgrundlagen", heißt es in der Stellungnahme, zu der Präsidentin Margit Kraker am Donnerstag ergänzte: "Man muss das Spiel mit Zahlen beenden."

Außerdem beanstandete Kraker, dass der Nachweis zum Einsparen der von der Regierung behaupteten Milliarde fehle. Und bei den in den Erläuterungen angeführten 33 Millionen Euro bis 2023 sei nicht klar, wie man dazu komme: "Die Grundlage ist nicht nachvollziehbar." Außerdem würden die zu erwartenden Mehrkosten verschwiegen, kritisierte die Rechnungshof-Präsidentin. Sie urgierte ein "transparente Darstellung" und eine seriöse Planung und meinte, dass eine unklare Darstellung zu Verunsicherungen führen könnte, die die Reform gefährden könnten.

"Unvollständig, nicht nachvollziehbare Grundlagen"

In seiner Stellungnahme kritisiert der Rechnungshof außerdem, dass die Darstellung der Kosten nicht den gesetzlichen Anforderungen entspreche: Sie "ist unvollständig, basiert auf nicht nachvollziehbaren Grundlagen. Damit ist sie nicht geeignet, dem Gesetzgeber eine aussagekräftige Entscheidungsgrundlage zu bieten." Für die Annahme einer Reduktion der Verwaltungskosten um zehn Prozent gebe es keine inhaltliche Begründung. Weiters wird moniert, dass die Fusionskosten (Neuanmietung von Büros, EDV-Umstellungen, Beratungskosten etc.) nicht bewertet sind.

Zwar befürworten die Prüfer die Ziele einer Effizienzsteigerung und Vereinheitlichung von Leistungen, sehen deren Realisierung aber teilweise nicht erreicht. So werde die Zahl der Sozialversicherungsträger nur "nominell" auf fünf reduziert, faktisch bestünden weiterhin zehn Träger. Von den derzeit fünf Betriebskrankenkassen sollen vier als betriebliche Wohlfahrtseinrichtungen weiter bestehen (nur die Kasse der Wiener Verkehrsbetriebe wird aufgelöst), ebenso die Notariatsversicherung. Nicht erfasst vom Entwurf sind auch die 15 Krankenfürsorgeanstalten.

Die Versicherungsträger der Bauern und der gewerblichen Wirtschaft werden zusammengelegt, ihr jeweiliges Beitrags- und Leistungsrecht bleibt jedoch unverändert, stellte der Rechnungshof fest. Er verweist dabei "auf das Risiko, dass durch die Zusammenlegung - ohne klare Regelung des Leistungsrechts - die Tarife für den fusionierten Träger steigen könnten, was mit deutlichen Mehrkosten verbunden wäre". Ähnliches gelte auch für die unterschiedlichen Vorgaben für Beamte, Vertragsbedienstete neu, Eisenbahner und die Knappen im Sinne des Bergbaus. Auch bei der ÖGK erfolgt keine "unmittelbare materielle Vereinheitlichung des Leistungsrechts", weil regionale Differenzierungen zu den Gesamtverträgen verhandelt werden sollen.

"Nicht sichergestellt" sehen die Prüfer eine "verwaltungseffiziente Beitragsprüfung", die von den Kassen zur Finanz verlegt werden soll. Die Rechnungshof befürchtet hier "eine weitere Komplexitätserhöhung in der Verwaltungsorganisation" und erkennt das Risiko, dass die spezifischen Interessen der Sozialversicherung nicht ausreichend berücksichtigt sind. "Problematisch" ist für den Rechnungshof zudem die geplante Abschaffung der Kontrollversammlung in den Trägern. Angesichts des hohen Gebarungsvolumens (63,9 Mrd. Euro 2018) "ist ein Kontrollgremium aus der Sicht des Rechnungshof unbedingt erforderlich".

AK fordert Rücknahme von Reformentwurf

Arbeiterkammer-Präsidentin Anderl übte am Donnerstag ebenfalls harsche Kritik am türkis-blauen Vorhaben. Mit den Gesetzesentwürfen würden Struktur und Selbstverwaltung des gut funktionierenden Gesundheitssystems zerschlagen, ohne dass gesichert erscheine, dass die neuen Strukturen die gleiche Versorgungsqualität ohne Mehrkosten bieten, beanstandete sie. Zudem würden verfassungsrechtliche Gebote der Organisation der Selbstverwaltung missachtet. "Damit gefährdet die Bundesregierung die Versorgungssicherheit der ÖsterreicherInnen im Bereich Gesundheit und Soziales", meinte Anderl in einer Aussendung.

Die Entwürfe der Regierung entsprechen nach Ansicht der AK-Präsidentin nur den langjährigen Wünschen der Wirtschaftskammer und der Industriellenvereinigung, die Sozialpartner der Arbeitnehmerseite seien hingegen nicht in der Rolle von Gesprächspartnern auf Augenhöhe eingebunden gewesen. AK und ÖGB seien vor vollendete Tatsachen gestellt worden. "Es ist nicht akzeptabel, dass die Vertreter der Wirtschaft über die Gesundheitsversorgung der ArbeitnehmerInnen entscheiden."

(APA/Red.)

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