Mindestsicherung für diese Woche erwartet

Künftig soll es statt neun landes- wieder eine bundesweite Regelung geben.
Künftig soll es statt neun landes- wieder eine bundesweite Regelung geben.(c) APA/ROLAND SCHLAGER
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Nachdem Höchstgerichte Sozialhilfekürzungen in Ober- und Niederösterreich gekippt haben, setzt die Regierung auf ein Bonussystem. Nur wer Deutschkenntnisse und Pflichtschulabschluss hat, soll die volle Summe beziehen können.

Wien. Wenn sich die Pressesprecher der türkis-blauen Regierung plötzlich in eisernes Schweigen hüllen, ist die Verkündung einer Reform meist nicht weit. Nicht zuletzt wegen dieser Wortkargheit wird ein Beschluss zur Neuaufstellung der Mindestsicherung im Ministerrat am Mittwoch vermutet.

Ob sich das wirklich ausgeht, ist fraglich – die Verhandlungen laufen auf Hochtouren. Das Ziel der Regierung ist jedenfalls bereits klar definiert: Künftig soll es statt neun landes- wieder eine bundesweite Regelung geben. Die Länder sollen mittels eines Rahmengesetzes gezwungen werden, die Vorgaben des Bundes weitgehend einzuhalten. Wien hat schon Proteste angekündigt und will bei Bedarf bis zum Verfassungsgerichtshof gehen. Prinzipiell soll die Mindestsicherung für Zuwanderer restriktiver gehandhabt werden – anerkannte Asylwerber auf Zeit sollen nach Möglichkeit weniger bekommen. Je mehr Personen eine Familie hat, desto weniger soll pro Person (und Kind) ausbezahlt werden. Derzeit beträgt die Mindestsicherung 863 Euro pro Monat.

Gekippte Regelungen

Es ist ein schwieriger Drahtseilakt, ein verfassungs- und EU-rechtlich konformes Modell zu finden. Bisher hatte die Regierung davon gesprochen, sich an den Modellen von Niederösterreich, Oberösterreich und dem Burgenland orientieren zu wollen.

Das schwarz regierte Niederösterreich hatte etwa einen Deckel von 1500 Euro pro Familie eingezogen. Weiters sollte es für all jene, die vor Antragsstellung fünf Jahre im Ausland gelebt hatten, eine Wartefrist geben. Der Verfassungsgerichtshof kippte das niederösterreichische Modell im Herbst – mit dem burgenländischen ist er noch befasst. Das rot-blaue Bundesland hatte ebenfalls eine Deckelung und eine Wartefrist eingeführt. SPÖ-Soziallandesrat Norbert Darabos hatte das als „sozial gerecht“ bezeichnet.

Und im schwarz-blauen Oberösterreich wurde die Mindestsicherung für Asylwerber auf Zeit vor zwei Jahren gekürzt. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hob das Gesetz vergangene Woche auf – und widersprach damit dem Verfassungsdienst des Bundes. Anerkannte Flüchtlinge müssen, unabhängig vom konkreten Schutzstatus, die gleichen Mittel erhalten wie die Staatsbürger im jeweiligen EU-Land.

Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes fußen auf Einzelbeschwerden – darum musste Niederösterreich jener Familie, die damals Beschwerde einreichte, Geld zurückzahlen. Alle anderen konnten einen neuen Antrag stellen und bekamen somit wieder die volle Summe.

„Der EuGH erklärt mit seinem Urteil allerdings ein ganzes Gesetz für nicht zulässig“, erklärt der Verfassungsexperte Bernd-Christian Funk. Seiner Meinung nach muss Oberösterreich darum all jenen, die bisher weniger Leistung bekommen haben, diese nachbezahlen.

Sozialhilfe nur gegen Leistung

Der rechtliche Spielraum für eine Reform wurde durch die letzten höchstgerichtlichen Entscheidungen darum deutlich reduziert. Wie es aussieht, will die Regierung nun auf ein Bonussystem setzen, um rechtlich besser abgesichert zu sein. Recherchen der „Presse“ zufolge soll der Grundbetrag um rund 300 Euro auf 563 Euro reduziert werden. Die volle Summe soll nur bekommen, wer gewisse Voraussetzungen erfüllt: zum Beispiel Deutsch- oder Englischkenntnisse auf einem gewissen Niveau nachweisen kann. Auch ein Pflichtschulabschluss soll für den „Bonus“ verpflichtend sein.

Schon jetzt zeigen sich Behindertenvertreter skeptisch: Denn viele Schwerstbehinderte beziehen Mindestsicherung – oft haben sie aufgrund ihrer körperlichen und geistigen Einschränkungen schlechte Deutschkenntnisse, viele freilich keinen Pflichtschulabschluss.

Davon abgesehen, dass das, worauf sich die Regierung geeinigt hat, nur mühevoll in einen rechtlichen Rahmen zu gießen ist, spießt es sich auch innerkoalitionär an einem Detail: dem Vermögenszugriff. Derzeit kann Mindestsicherung nur beziehen, wer de facto kein Vermögen hat. Wer eine Wohnung oder ein Haus besitzt, und trotzdem Mindestsicherung beziehen will, der muss Zugriffe der öffentlichen Hand auf das Grundbuch hinnehmen. Die FPÖ will die Grundbucheintragungen herausverhandeln. Das Argument: Jeder muss irgendwo wohnen, und die Hemmschwelle, Mindestsicherung zu beziehen, wäre bei Wohnungsbesitzern groß – weswegen die Menschen schnell in die Armut abgleiten würden.

2017 bezogen rund 307.853 Personen Mindestsicherung, der Großteil davon sind sogenannte Aufstocker. Das sind zum Beispiel Personen, die zwar einen Job haben, aber dort weniger als das Existenzminimum verdienen. Die Zahl der Mindestsicherungsbezieher ist rückläufig, was wohl auch der guten Konjunktur geschuldet ist. 81.334 Kinder lebten in Familien mit Mindestsicherung – das waren 35 Prozent aller Bezieher. Kritiker des neuen Mindestsicherungsmodells fürchten, dass dies vor allem noch mehr Kinder treffen werde. Die zweitgrößte Gruppe an Mindestsicherungsbeziehern sind Frauen. Etwas mehr als die Hälfte der Bezieher im Jahr 2017 sind österreichische Staatsbürger.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2018)

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