Die Regierung will das Pflegesystem reformieren. Wer jetzt und in Zukunft gepflegt werden soll, was das kostet, wie gespart werden kann – und woher man das Personal nehmen will.
Wien. Dank gutem Gesundheitssystem bleibt die Gesellschaft gesünder und die Menschen werden älter. Das bedeutet aber auch, dass mehr Menschen Pflegebetreuung im Alter brauchen, die Kosten steigen kontinuierlich. Die Bundesregierung will bis Ende 2019 eine nachhaltige Sicherung der Pflege zustande bringen. Wie sie das machen will, wurde am Mittwoch im Ministerrat angerissen.
1Wie will die Regierung das angehen? Was wurde präsentiert?
Nicht viel. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) kündigten erst einmal den Startschuss einer Reform an: Man will das Thema Pflege „gesamtheitlich“ lösen und dafür das Gespräch mit allen Stakeholdern – Ländern, Gemeinden und Anbietern von Pflegeleistungen – suchen. Zudem soll eine Studie in Auftrag gegeben werden, die die Finanzierung im internationalen Vergleich untersucht. Das Konzept soll dann Ende 2019 vorliegen. Inhaltlich gibt es zwei Festlegungen: Die Pflege daheim soll forciert und der Pflegeberuf aufgewertet werden. Sozialministerin Beate Hartinger-Klein versprach eine Reform nach dem Motto „Daheim statt Heim“.
2Was sagt die Opposition zu den Vorschlägen?
Die Opposition reagierte auf die Ankündigungen der Regierung eher zurückhaltend. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda kritisierte in einer Aussendung das aus seiner Sicht „höchst unseriöse und unprofessionelle Vorgehen“ der Regierung. Es handle sich um reine Ankündigungspolitik. Am positivsten äußerten sich die Neos, warnten aber auch vor „gewohnter Show-Politik“. Die Volksanwaltschaft verlangte mehr Pflegegeld für alle. Seitens der Hilfsorganisationen wurde auf konkrete Lösungsschritte gedrängt.
3Wie viele Personen brauchen derzeit Pflege? Was kostet das?
Das Thema Pflege gewinnt an Bedeutung – denn die Gesellschaft wird wegen guter medizinischer Versorgung älter. Die Zahl der über 80-Jährigen soll bis zum Jahr 2050 von aktuell 437.000 auf 1,2 Millionen steigen. Die Zahl der Pflegegeldbezieher soll von 460.000 auf 750.000 anwachsen. Schon derzeit gibt die öffentliche Hand jährlich rund vier Milliarden Euro für die Pflege aus. 1,3 Milliarden Euro zahlen die Österreicher direkt aus eigener Tasche. Die Mittel fließen über verschiedene Kanäle. Den größten Brocken macht aber das Bundespflegegeld mit 2,61 Milliarden Euro aus.
4Wie können die Kosten gesenkt werden?
Die Regierung hat noch kein Konzept vorgelegt, klar ist aber: Künftig sollen Angehörige wieder vermehrt zu Hause mit Unterstützung von mobilen Diensten gepflegt werden. Der Grund ist durchaus auch ein finanzieller: Mobile Dienste sind deutlich billiger als stationäre Betreuung. Der Stundensatz für Erstere beträgt je nach Bundesland zwischen 25 und 30 Euro Nettoaufwand. Für die stationären Dienste liegt er zwischen 33 und 137 Euro.
Ein erster Schritt in Richtung mehr Pflege zu Hause wurde schon gesetzt. Der Zugang zu Pflegeheimen ist jetzt erst ab Pflegestufe vier möglich. Pflegestufe drei ist aber zum Beispiel Alzheimer – Patienten mit einer derartigen Erkrankung brauchen häufig rund um die Uhr Betreuung. Das wird künftig wohl wieder vermehrt die Familie ausgleichen müssen – sofern es eine gibt. Das wiederum könnte sich negativ auf die Frauenbeschäftigungsquote auswirken, die in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen ist. Nach wie vor übernehmen Frauen zu einem Großteil die Pflege von Angehörigen.
5Woher will man das nötige Personal nehmen?
Abgesehen davon, dass die Finanzierung der Pflege derzeit nicht gesichert ist, fehlt es auch immer mehr an qualifiziertem Personal – und das nicht nur in der Altenpflege, sondern in allen Bereichen. So werden etwa gut ausgebildete Kinder- und Jugendlichenpfleger dringend gesucht. Viele Pflegekräfte in Österreich kommen aus den europäischen Ostländern – aber auch in Drittstaaten wird gesucht.
Die Regierung hat am Mittwoch angekündigt, eine Studie zum Thema Pflegepersonalmangel erstellen zu wollen. Auch eine Imagekampagne für den Beruf soll Abhilfe schaffen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2018)