Ein Jahr Regierung und der Austrofaschismus

Die parteilose Abgeordnete Martha Bißmann kleidete ihre Kritik an der Regierung in den Lebenslauf der Puppe Ali.
Die parteilose Abgeordnete Martha Bißmann kleidete ihre Kritik an der Regierung in den Lebenslauf der Puppe Ali. (c) APA/ROBERT JAEGER (ROBERT JAEGER)
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Ist Österreich „unsozialer, unmoralischer“ geworden oder gibt es eine „neue Qualität“ der Regierungsarbeit? Das Hohe Haus debattierte über zwölf Monate ÖVP und FPÖ. Eine teils emotionale Diskussion mit unschönen Vergleichen.

Wien. Man ist im Nationalrat offenbar abgebrühter geworden. Früher einmal genügte ein Zwischenruf mit Hinweis auf das Bürgerkriegsjahr 1934 für wilde Schreiduelle zwischen ÖVP und SPÖ bis hin zur Sitzungsunterbrechung. Heute ist die Reaktion auf den Vorwurf des sonst so gemäßigten Bruno Rossmann (Jetzt), die Regierung agiere schlimmer als im Austrofaschismus, ein empörtes Gemurmel und nicht einmal ein Ordnungsruf. Den rauen Umgangston ist man im Hohen Haus anscheinend gewohnt.

Grund für die gestrige, streckenweise emotionale Debatte mit der einmaligen Kritik war eine „Aktuelle Stunde“ der Liste Jetzt (früher Liste Pilz) zu ein Jahr Regierung – „Rechtsruck und soziale Kälte“, wie der Zusatz lautete, der für die Oppositionsparteien Auftrag war. Rossmann ortet beides nach einem Jahr ÖVP-FPÖ-Koalition. Es gebe Frontalangriffe auf Arme und Migranten, die Regierung mache eine Sündenbockpolitik, sie habe mit ihrer Arbeit „den Rechtsextremismus in Europa salonfähig gemacht“.

„Unmoralisch, ungesund“

Gleich zu Beginn aber kam von Rossmann mit Hinweis auf die „brutale Umfärbung“ im Zuge der Reform der Sozialversicherungen und der damit verbundenen Entmachtung der Arbeitnehmervertreter der Vorwurf, dass es so eine Vorgangsweise „nicht einmal im Austrofaschismus“ gegeben habe. Der eigentlich zu erwartende Eklat blieb aus, Redner von ÖVP und FPÖ wiesen den Vorwurf später in ihren Reden „entschieden zurück“.

Im Vergleich zu Rossmann führte Jörg Leichtfried (SPÖ) keinen Bihänder, sondern ein Florett, während Parteichefin Pamela Rendi-Wagner die Chance zum Frontalangriff auf die Regierung ungenutzt verstreichen ließ und ihrem Stellvertreter aus den Abgeordnetenreihen zuhört. Ein Jahr Regierung sei kein Grund zum Feiern, sondern einer zum Trauern, meinte Leichtfried. Österreich sei „unsozialer, undemokratischer, ungesünder und unmoralischer“ geworden. 2017 seien 1029 Menschen an den Folgen des Passivrauchens gestorben, doch die Regierung unternehme nichts dagegen. Diese Kritik Leichtfrieds interpretierte FPÖ-Klubchef Walter Rosenkranz als Vorwurf an die Regierung, Mörder zu sein. Das sei „schandhaft“.

Die subtilste Kritik an der Regierung kam von Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger, die von einem „rasenden Stillstand“ sprach, davon, dass „Umfärben keine Reform ist“ und meinte, die Regierung schmücke sich mit fremden Federn. Die sinkende Arbeitslosigkeit sei nicht der Arbeit von ÖVP und FPÖ zu verdanken, sondern dem Wirtschaftsaufschwung. Da sei ein Nulldefizit oder gar ein Überschuss keine große Leistung. „Auch ein Hydrant hätte dieses Budget machen können“, meinte Meinl-Reisinger.

Die Regierungsvertreter beurteilten ihr erstes Jahr naturgemäß anders, allen voran Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), der die Debatte auf der Regierungsbank verfolgte und sich bei der Liste Jetzt artig dafür bedankte, „dass sie uns Gelegenheit geben, Bilanz zu ziehen“. Und die fiel gut aus: Die Menschen hätten am 15. Oktober Veränderung und eine neue Art der Politik gewählt und diese auch bekommen. Man habe die Schuldenpolitik beendet und mit der Reform der Mindestsicherung erreicht, dass „die Kinder nicht die Einzigen sind, die in der Früh aufstehen“.

Die Puppe Ali

Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) meinte zur Kritik der Opposition, dass man „keine Politik für Linksideologen“ mache. Die Zusammenarbeit in der Regierung habe eine „neue Qualität“, die Politik sei „fair und gerecht“. Ähnlich ÖVP-Klubchef August Wöginger, der ein Jahr ÖVP/FPÖ so zusammenfasste: „Wir sind eine soziale Bundesregierung.“

Die kurzweiligste Kritik an der Regierung kam von einer Puppe, anhand derer die parteilose Abgeordnete Martha Bißmann den Lebensweg von Ali nacherzählte, der als Gastarbeiter nach Österreich kam und jetzt als Sozialschmarotzer dargestellt werde. Für einen Moment war das Parlament tatsächlich ein Kasperltheater.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.12.2018)

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