Sozialgeld: "Wien müsste der Bundesregierung dankbar sein"

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MINISTERRAT: WOeGINGER/STRACHE/KURZ/HARTINGER-KLEINAPA/GEORG HOCHMUTH
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Der Ministerrat hat die Reform der Mindestsicherung abgesegnet, womit das Match zwischen Türkis-Blau und der Stadt Wien in eine nächste Runde geht. "Was uns in Wien sauer aufstößt, ist, wie mit den Ländern umgegangen wird", kritisiert Landeshauptmann Michael Ludwig.

Die Koalition aus ÖVP und FPÖ hat sich im Ministerrat auf den Umbau der bedarfsorientierten Mindestsicherung zur Sozialhilfe verständigt und die Regierungsvorlage Richtung Parlament geschickt. Nach dem Beschluss des Grundsatzgesetzes, dem die Länder mit ihren Ausführungsgesetzen folgen müssen, gilt bis 1. Juni 2021 eine Übergangsfrist. "Ich glaube, wir haben ein System geschaffen, das deutlich besser und gerechter ist", betonte Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) im anschließenden Pressefoyer. Die bisherige Mindestsicherung sei "viel zu attraktiv für Migranten, für Zuwanderer ins Sozialsystem" gewesen.

Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) ortete "insgesamt eine Lösung, die Integration und Arbeitsbereitschaft fördert". Angesichts dessen, dass 62 Prozent der Mindestsicherungsbezieher, die beim AMS gemeldet seien, Migrationshintergrund hätten, habe man im Sinne der sozialen Fairness Maßnahmen ergreifen müssen. Die freiheitliche Sozialministerin Beate Hartinger-Klein ergänzte, es handele sich um eine "harmonisierte, faire und effiziente Lösung". Dass der Weg eines Grundsatzgesetzes anstatt einer Bund-Länder-Vereinbarung eingeschlagen wurde, liege an der höheren Verbindlichkeit für die Länder und zugleich an den größeren Spielräumen für diese, argumentierte sie.

Kurz mahnt Wien: Ablehnung "wäre nicht zu tolerieren"

ÖVP-Klubobmann August Wöginger konzentriere sich in seiner Stellungnahme auf die Stadt Wien, die im Vorfeld heftige Kritik an den türkis-blauen Reformplänen geübt hatte: "Die Bundeshauptstadt Wien müsste dieser Bundesregierung eigentlich dankbar sein für dieses Sozialhilfegrundsatzgesetz", meinte er. Sollte dies anders kommen, "wäre das nicht zu tolerieren", ergänzte Kurz: "Wir leben in einem Rechtsstaat, die Verfassung ist da sehr klar. Ich gehe nicht davon aus, dass ein Bundesland vorhat, gegen die Verfassung zu verstoßen."

Von Dankbarkeit war bei der rot-grünen Stadtregierung wie auch bei den Landeshauptleuten der SPÖ-geführten Bundesländer am Mittwoch allerdings nichts zu bemerken: "Was uns in Wien sauer aufstößt, ist, wie mit den Bundesländern umgegangen wird", sagte Wiens Landeshauptmann Michael Ludwig. In die selbe Kerbe schlug sein burgenländischer Amtskollege Hans Peter Doskozil: Es sei "nicht okay", im Ministerrat eine Änderung zu beschließen und erst Wochen später (am 8. April) mit den Soziallandesräten zu diskutieren. 

Der Wiener Sozialstadtrat Peter Hacker (SPÖ), der gemeinsam mit der grünen Sozialsprecherin Birgit Hebein schon Anfang Jänner gegen die Reformpläne Sturm gelaufen war, ortete nun abermals eine "Destruktion des Sozialsystems", Hebein ein "Armutsförderungsgesetz", gegen das sie die Wiener "verteidigen" möchte.

Hebein: "Kurz hat vom normalen Leben keine Ahnung"

Sozialministerin Hartinger-Klein habe ihr Versprechen, die Standards der österreichweiten Mindestsicherung gemeinsam mit den Ländern zu entwickeln, gebrochen, beanstandete Hacker. Damit sei der "absolute Tiefpunkt" in der Zusammenarbeit erreicht. Man werde den Gesetzestext, der ihm noch nicht vorliege, nun genau durcharbeiten und dann über die weitere Vorgangsweise entscheiden.

Hebein betonte indes: "Mit uns wird es kein Armutsförderungsgesetz geben. Wien wird gegebenenfalls alle Möglichkeiten ausschöpfen, dieses Gesetz zu verhindern." Das Vorhaben des Bundes zeuge "von demokratiepolitischer Unterentwicklung und sozialpolitischer Ahnungslosigkeit", betonte sie in einer Aussendung: "Das Sozialministerium könnte man gleich umbenennen in Sozialabbau-Ministerium." Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) unterstellte Hebein, "offensichtlich vom normalen Leben keine Ahnung" zu haben.

Auch Neos-Sozialsprecher Gerald Loacker reagierte empört auf das Gesetz, "für das es neun Landesgesetze braucht und das am Ende von den Ländern vollzogen werden muss". "Es wurde ohne Einbeziehung der Länder erstellt", so Loacker. "Was damit einzementiert wird, ist ein Fleckerlteppich bei der Mindestsicherung, eine bundesweit einheitliche Lösung gibt es nicht", monierte er. Ähnlich die Parteiobfrau der Liste Jetzt, Maria Stern: Österreich sei das viertreichste Land in der EU, im Ranking der Kinderarmut liege es auf Platz 17. "Dieser ungeheuerlichen Diskrepanz wird mit der neuen Sozialhilfe nichts entgegengesetzt", meinte Stern, "das ist unverschämt, ignorant und kurzsichtig".

Die Volkshilfe Österreich meldete sich ebenfalls zu Wort. Die neue Sozialhilfe zeige vor allem, dass der Regierung Kinder egal sind, sagte Erich Fenninger: "Das ist eine Abkehr der in Österreich gelebten Zielsetzung, Armut zu bekämpfen." Noch schärfer kommentierte der Arbeiter-Samariter-Bund: "Die Brutalität, mit der sie sich auf die Schwächsten in unserer Gesellschaft eingeschossen hat, ist einfach unfassbar", meinte Bundesgeschäftsführer Reinhard Hundsmüller.

Rückendeckung für Türkis-Blaus aus ÖV-Ländern

Die erwartete Rückendeckung gab es indes seitens mehrerer ÖVP-Länderchefs. Auf die Frage, ob es in Ordnung sei, wie mit den Ländern umgesprungen werde, meinte der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (ÖVP): "Umgesprungen wird überhaupt nicht mit uns. Wir haben ein gutes Einvernehmen." Seine Amtskollegin Johanna Mikl-Leitner betonte: "Uns in Niederösterreich war es immer wichtig, dass es eine österreichweite Lösung gibt", man diskutiere das Thema Mindestsicherung "schon seit Monaten und Jahren", sagte sie. Es habe sehr wohl die Möglichkeit gegeben, Stellungnahmen abzugeben, richtete sie den SPÖ-Landeshauptleuten aus.

Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) wollte zu den Reforminhalten noch kein Urteil abgeben: "Wir müssen uns sehr genau anschauen, was im Gesetz drinsteht."

(hell/APA)

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