Sozialhilfe: Nicht nur Wien legt sich mit Kurz an

Kanzler Sebastian Kurz stößt bei der Reform der Mindestsicherung auf Widerstand der Bundesländer.
Kanzler Sebastian Kurz stößt bei der Reform der Mindestsicherung auf Widerstand der Bundesländer.APA/GEORG HOCHMUTH
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Sollten die Länder die Vorgaben nicht umsetzen, wäre das „nicht zu tolerieren“, sagt der Kanzler. Doch Wien und das Burgenland überlegen rechtliche Schritte gegen die Neuregelung.

Wien. Die Landeshauptleute-Konferenz, die sich am Mittwoch zu einer außerordentlichen Sitzung im Wiener Rathaus getroffen hatte, war in zwei Lager gespalten. Auf der einen Seite die SPÖ-geführten Länder, die sich „empört“ bis „erbost“ zeigten, weil sie in die Reform der Mindestsicherung, die künftig wieder Sozialhilfe heißen wird, nicht im gewünschten Ausmaß eingebunden waren. Auf der anderen Seiten die Länder mit ÖVP-Führung, die die Vorgangsweise der Bundesregierung verteidigten, auch wenn sie sich inhaltlich zurückhielten. Und dazwischen Salzburg, aus dem sich vorerst nur der grüne Soziallandesrat, nämlich Heinrich Schellhorn, zu Wort meldete. Und zwar ziemlich verärgert.

Die Kritiker stießen sich daran, dass der Ministerrat den Gesetzesentwurf am Mittwoch beschlossen hatte, ohne das für 8. April anberaumte Treffen mit den Ländern abzuwarten. Offensichtlich, schloss nicht nur Wiens Bürgermeister, Michael Ludwig (SPÖ), daraus, sei die Meinung der Länder für die Regierung „nicht relevant“.

Inhaltlich wollte sich Ludwig noch nicht zu den Plänen von ÖVP und FPÖ äußern, rechtliche Schritte schloss er allerdings nicht aus: „Das wird auf den Entwurf ankommen.“ Offenbar gebe es wenigstens Zugeständnisse an Menschen mit Behinderung, dafür aber auch „offene Fragen“ bei Kindern. Auch das Burgenland behält sich rechtliche Schritte vor: Es werde noch Gespräche mit dem Bund geben müssen, die Länder müssten ihre Interessen wahren, so Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ).

Kaum Spielraum für die Länder

Worum geht es inhaltlich? Die Mindestsicherung war bis Ende 2016 österreichweit einheitlich geregelt. ÖVP und SPÖ, damals in einer Koalition, konnten sich mit den Ländern aber nicht mehr auf eine gemeinsame Vereinbarung einigen. Seitdem galten in jedem Bundesland andere Richtlinien für die Sozialhilfe.

Das will die Bundesregierung nun ändern: In dem Rahmengesetz, das bis Mai im Parlament beschlossen werden soll, wird die grobe Linie für die Länder vorgegeben. Sie können noch über Details entscheiden, einen großen Spielraum gibt es aber nicht. ÖVP und FPÖ schreiben in ihrem Gesetz Maximalwerte für die Mindestsicherung fest. Sie sind aber keine fixen Beträge, sondern orientieren sich an dem Netto-Ausgleichzulagenrichtsatz – einem Wert, der Menschen ein Mindesteinkommen zusichern soll und jährlich angepasst wird. Zusätzliche Sachleistungen sind im Ausmaß von bis zu 30 Prozent möglich.

Eine alleinstehende Person soll in Zukunft jedenfalls maximal rund 100 Prozent des Netto-Ausgleichszulagenrichtsatz bekommen, das wären derzeit 885 Euro. Paare erhalten maximal 1239 Euro. Für Familien mit mehreren Kindern ist in Zukunft weniger Geld vorgesehen, eine dreiköpfige Familie erhält etwas mehr: Für das erste Kind gibt es 221 Euro, für das zweite Kind 132 Euro – und ab dem dritten Kind je 44 Euro.

Alleinerziehende können zusätzlich einen Bonus der Länder erhalten – verpflichtend ist das allerdings nicht. Menschen mit Behinderung steht ein zusätzlicher Betrag von rund 160 Euro zu. Diese Änderung hat die Regierung aber erst im neuen Entwurf übernommen.

Auch ein weiterer Punkt ist erst im neuen Gesetzestext zu finden: Der Maximalbetrag für WGs (maximal 1550 Euro) gilt nicht für therapeutische Wohngemeinschaften. Der Deckel soll in erster Linie erwachsene anerkannte Flüchtlinge treffen, die aus finanziellen Gründen zusammenwohnen.

Geld folgt Sprachkenntnissen

Asylberechtigte sollen auch durch eine weitere Maßnahme weniger Geld erhalten: Nur wer Deutsch ab Niveau B1 oder Englisch ab Niveau C1 beherrscht, erhält die volle Sozialhilfe. Menschen mit schlechten Sprachkenntnissen bekommen 300 Euro weniger. Die Länder müssen für dieses Geld Sprachkurse organisieren. Subsidiär Schutzberechtigte (Menschen ohne Asylstatus, die aber in der Heimat trotzdem gefährdet wären) bekommen künftig gar keine Mindestsicherung mehr. Sie fallen in die geringere Grundversorgung. Alle anderen Nichtösterreicher müssen sich fünf Jahre im Land aufhalten, um Sozialhilfe beziehen zu können.

Formal ist nun vorgesehen, dass die Länder Ausführungsgesetze beschließen, nachdem das Rahmengesetz das Parlament passiert hat. Danach gibt es eine Übergangsfrist bis zum 1. Juni 2021. Sollten sich die Länder weigern, die Vorgaben umzusetzen, so „wäre das nicht zu tolerieren“, stelle Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) im Pressefoyer nach der gestrigen Ministerratssitzung klar. „Wir leben in einem Rechtsstaat, die Verfassung ist da sehr klar. Ich gehe nicht davon aus, dass ein Bundesland vorhat, gegen die Verfassung zu verstoßen.“ Gemeint war in erster Linie Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2019)

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