Strache: Gescheitert an der eigenen Hybris

Strache wollte es besser machen als seine Vorgänger in den Nullerjahren.
Strache wollte es besser machen als seine Vorgänger in den Nullerjahren.
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In seinen 14 Jahren als FPÖ-Chef hat Heinz-Christian Strache eine erstaunliche Wandlung vollzogen. Niemand hat damit gerechnet, dass er am Ende über sich selbst stolpern wird.

Zuletzt sind die Einschläge immer näher gekommen. Die Verbindungen der FPÖ zu den Identitären, das „Rattengedicht“ in Braunau, die freiheitlichen Thesen vom „Bevölkerungsaustausch“ in Europa. Dass die türkis-blaue Regierung über den sich häufenden Einzelfällen in der FPÖ zerbricht und eine Neuwahl die Folge ist, erschien nicht mehr unplausibel. Aber dass Heinz-Christian Strache am Ende über Heinz-Christian Strache stolpert – damit ist eigentlich nicht (mehr) zu rechnen gewesen.

Denn der FPÖ-Chef, aktuell der mit Abstand längstdienende Parteiobmann in Österreich, im Amt seit 2005, hatte eine erstaunliche Wandlung hinter sich. Vom leichtsinnigen Jugendlichen, der mit der Neonazi-Szene sympathisierte, in dunklen Wäldern an Wehrsportübungen teilnahm, zweifelhafte Grußvarianten als Bierbestellungen zu verkaufen versuchte, entwickelte sich Heinz-Christian Strache zunächst zu einem ernst zu nehmenden Oppositionsführer, der die FPÖ wieder geeint hat, und schließlich zum gemäßigten Staatsmann. Größtenteils war diese Verwandlung natürlich taktisch motiviert, aber Strache wirkte dabei auch nicht unglaubwürdig.

Während der Koalitionsverhandlungen im Herbst 2017 berichteten ÖVP-Politiker immer wieder, wie sehr der FPÖ-Obmann auf korrekte Abläufe und Vereinbarungen bedacht war. Strache wollte es besser machen als seine Vorgänger in den schwarz-blauen Nullerjahren; er wollte beweisen, dass die FPÖ regierungsfähig ist. Und dann erreichte er sein Ziel: Am 18. Dezember 2017 wurde Heinz-Christian Strache als Vizekanzler angelobt, einige Wochen später auch als Minister für Sport und den öffentlichen Dienst.

Liederbuch-Stress und Harmonie. Ende Jänner 2018, im Vorfeld der niederösterreichischen Landtagswahl, wurde Strache und mit ihm die Regierung auf eine erste Probe gestellt. In der Burschenschaft von FPÖ-Spitzenkandidat Udo Landbauer wurden Liederbücher mit antisemitischen und den Nationalsozialismus verherrlichenden Texten sichergestellt. Strache reagierte schnell – Landbauer musste gehen – und erstaunlich klar: Antisemitismus, Rassismus und totalitäres Denken hätten keinen Platz in der FPÖ, sagte er ausgerechnet auf dem Burschenschafterball. Danach wurde eine Historikerkommission eingesetzt, um die Geschichte des Dritten Lagers aufzuarbeiten. Bis dato sind jedoch keine nennenswerten Ergebnisse überliefert.

Der Rest des Jahres, eines ohne Wahlen, lief wie am Schnürchen. ÖVP und FPÖ zelebrierten ihren neuen Regierungsstil. Konstruktive – und mitunter demonstrative – Harmonie sollte die chronische Zerstrittenheit der Großen Koalitionen vergessen machen. Die gemeinsame Agenda mit einem Schwerpunkt auf Verschärfungen in der Migrations- und Sozialpolitik wurde vorangetrieben. Zum einjährigen Regierungsjubiläum im Dezember übertraf man sich mit wechselseitigen Lobliedern und Treuebekundungen. Die Message Control wirkte, die Umfragen stimmten, man war guter Dinge.

Bis Mitte März. Dann wurde bekannt, dass der rechtsextreme Attentäter von Christchurch Verbindungen zum Chef der Identitären Bewegung in Österreich unterhalten hatte, die wiederum Verbindungen zur FPÖ unterhält. Sebastian Kurz rief den Koalitionspartner erstmals öffentlich zur Vernunft auf, nachdem auch sein internationales Image Schaden zu nehmen drohte. Die FPÖ-Spitze nahm das zähneknirschend zur Kenntnis.

Kurz distanziert sich. Die Geschichte wiederholte sich nach dem „Rattengedicht“ von Braunau, in dem der freiheitliche Vizebürgermeister Vergleiche zwischen Flüchtlingen und Ratten angestellt hatte. Strache legte ihm erfolgreich den Rücktritt nahe, ärgerte sich aber erneut über die öffentlichen Zurechtweisungen durch den Kanzler.
Als dann der EU-Wahlkampf in Bewegung kam, wurde die Entfremdung zwischen den Regierungsspitzen immer offensichtlicher. Kurz widersprach Straches Befürchtungen, wonach es durch die Migration zu einem „Bevölkerungsaustausch“ in Europa komme. Der Vizekanzler konterte, dass er sich den Mund auch vom Kanzler nicht verbieten lasse.
In der Folge schaltete sich Kurz immer stärker in den Wahlkampf ein, was zunächst den Verdacht erhärtete, dass die beiden ÖVP-Spitzenkandidaten, Othmar Karas und Karoline Edtstadler, nicht die gewünschte Anziehungskraft entfalteten. Im Nachhinein muss man sich die Frage stellen, ob Sebastian Kurz nicht schon gewusst hat, dass da noch etwas kommen werde – und sich bewusst von Strache abgesetzt hat.

Küssels Pech. Fast vergessen ist mittlerweile, dass vor einigen Tagen auch der im Jänner aus der Haft entlassene Gottfried Küssel aus dem Nähkästchen geplaudert hat. In einem Interview mit einem rechtsextremen deutschen Magazin deutete der Neonazi an, belastende Informationen über den österreichischen Vizekanzler gesammelt zu haben. Strache habe „nie unsere Blutgruppe gehabt“, so Küssel. „Aber im stillen Kämmerlein hat er den großen Nationalsozialisten gespielt. Da gab es einige lustige Auftritte, über die will ich jetzt aber nicht reden, vielleicht brauchen wir das nochmal . . .“

Das kann man nun eher ausschließen. Seit Samstag ist Heinz-Christian Strache politisch Geschichte, gescheitert an Größenfantasien und Übermut, wenn auch nicht an jugendlichem.

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