Übergangsregierung stellt sich vor: "Ja, wir sind alle verschieden"

Kanzlerin Bierlein und die Regierungsbank.
Kanzlerin Bierlein und die Regierungsbank.(c) APA (Hans Punz)
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Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein wirbt bei der Vorstellung ihres Kabinetts für ein Miteinander der Parteien im Nationalrat. Ebenfalls auf der Tagesordnung steht die Abstimmung über den Neuwahlbeschluss.

Der erste Tag des „freien Spiels der Kräfte“ ist gekommen: Heute, Mittwoch, ist das Parlament erstmals nach dem Misstrauensvotum und damit der Absetzung der Bundesregierung von Sebastian Kurz zusammengekommen. Der Anlass: Das Übergangskabinett unter der Führung von Kanzlerin Brigitte Bierlein stellte sich den Abgeordneten vor – und: Das Plenum stimmte über den Neuwahlbeschluss ab. 

Bevor der Regierungschefin das Wort erteilt wurde, ergriff es allerdings Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, der die 80. Sitzung des Nationalrates durchaus ungewöhnlich eröffnete: „Wir sind Europameister“, gratulierte er der Fußballmannschaft des Parlaments. Denn diese habe das Finale der Parlaments-EM gegen Deutschland mit 4:0 gewonnen „Eine Revanche für Cordoba und das in der neutralen Schweiz, das heißt was“, meinte Sobotka, um dann „zum Ernst zurück“ zu kommen: Die Ex-Minister Juliane Bogner-Strauß, Elisabeth Köstinger und Josef Moser wurden als Abgeordnete angelobt.

Der nächste Punkt auf der Tagesordnung: Der Nationalratspräsident verlas die Namen und Zuständigkeiten der zwölf Mitglieder der neuen Regierung: Brigitte Bierlein (Kanzlerin), Brigitte Zarfl (Soziales), Maria Patek (Landwirtschaft), Elisabeth Udolf-Strobl (Wirtschaft), Iris Eliisa Rauskala (Bildung), Ines Stilling (Frauen), Clemens Jabloner (Vizekanzler; Minister für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz), Alexander Schallenberg (Äußeres, EU, Kunst, Kultur, Medien), Wolfgang Peschorn (Inneres), Eduard Müller (Finanzen, Öffentlicher Dienst, Sport), Andreas Reichhardt (Infrastruktur) und Thomas Starlinger (Verteidigung).

„Erste Kanzlerin stand nicht in meiner Lebensplanung"

Nach rund 15 Minuten der Formalia trat schließlich Bierlein an das Rednerpult: „Nichts hält das Gemeinwesen besser Zusammen als die Verlässlichkeit“, begann sie mit einem Zitat von Cicero. „Lassen Sie mich das Zitat um den Begriff Vertrauen ergänzen“, fügte sie an. „Für Verlässlichkeit stehen wir und um Vertrauen werben wir“, betonte sie die Einmaligkeit der Situation in der Zweiten Republik: „Erstmals haben wir eine vom Bundespräsidenten eingesetzte Übergangsregierung“. Und sie räumte ein: „In diesem Hohen Haus als erste Bundeskanzlerin zu sprechen, stand nicht in meiner Lebensplanung“, dieser Umstand habe sie überrascht. Doch sie nehme die Aufgabe mit „sehr großer Demut“ an.

Da Bierlein wie ihre Regierungsmannschaft nie gewählt wurden, sei es logisch, dass sich ihre Worte von jenen anderer Kanzler unterscheiden werden, betonte sie. Man werde auf parteipolitisches Kalkül verzichten und auf das Gemeinsame setzen, appellierte sie an die Abgeordneten, nun rasch einen Wahltermin zu finden – allerdings nicht, ohne anzumerken, dass sie sich „einen früheren Termin gewünscht hätte“; ein konkretes Datum nannte sie nicht (siehe Infobox unten). Wohl aber räumt sie ein: „Diese Regierung verfügt über keine Mehrheit – es gibt daher keine Unterschiede zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien.“ Daher liege das Finden von Mehrheiten im Interesse aller. „Ja, wir sind verschieden“, verwies sie darauf, dass alle Versammelten unterschiedliche Meinungen, Ziele, Geschlechter, religiöse Verankerungen hätten. Aber: „Das Miteinander ist gute österreichische Tradition“, warb sie dafür, in den kommenden Monaten Vorbild für die Bürger und allen voran für die Jugend zu sein.

„Wir alle durchlaufen derzeit eine ungewöhnliche und heikle Zeit“, meinte auch Vizekanzler Jabloner. Daher sei ihm der rege Austausch mit den Parlamentariern ein besonderes Anliegen. Wenn das Recht der Politik folge, dann müssten Verfassung und internationales Recht eingehalten werden, betonte der ehemalige Präsident des Verwaltungsgerichtshofs – womöglich eine Replik auf eine umstrittene Aussage von Ex-Innenminister Herbert Kickl (FPÖ). Zum Abschluss seiner „Vorstellung“ lobte Jabloner noch die „Eleganz der Bundesverfassung“, die es nahelege, das nun von ihm bekleidete Amt auch „mit Heiterkeit“ zu übernehmen.

Hofer: Nie zuvor kompetentere Persönlichkeit an Regierungsspitze

ÖVP-Klubchef August Wöginger nutzte die erste Nationalratssitzung nach dem Aus der türkis-blauen Koalition anschließend für eine Spitze in Richtung FPÖ. Er sei verwundert darüber, dass sich so schnell nach dem Zerbrechen von Türkis-Blau ein „rot-blauer Pakt“ im Bund entwickelt habe. Er und auch die Mehrheit der Bevölkerung verstünden bis heute nicht, weshalb eine Regierung abgewählt wurde, die zuvor vom Bundespräsidenten eingesetzt worden war, spielte er auf das Misstrauensvotum an. Und bekam sogleich einen Konter von FPÖ-Obmann Norbert Hofer. Wenn er so nachdenke, meinte der Ex-Infrastrukturminister, dann stehe mit Bierlein aktuell wohl die „kompetenteste Persönlichkeit an der Spitze einer Bundesregierung“.

Auch hielt Hofer fest: Es gebe keine rot-blaue Koalition im Bund, sondern ein „freies Spiel der Kräfte“ – um dies zu verdeutlichen, warf er der SPÖ umgehend Inkonsequenz vor: Gefordert werde ein Rauchverbot, obwohl in einem roten Schreiben zum Wiener Donauinselfest festgehalten sei, dass dort befindliche Gastronomen Zigaretten verkaufen müssten.

SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner betonte, es freue sie, aktuell eine Frau an der Spitze der Regierung zu sehen. Und sie appellierte an die Abgeordneten, die kommenden Monate nicht mit einem „kleinkarierten Interessensabtausch“ zu vergeuden („Lassen Sie uns beweisen, dass Politik anders ist, als wir es in Ibiza gesehen haben“). Ähnlich Neos-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger: „Ibiza darf nie wieder passieren“, pochte sei einmal mehr auf strengere Regeln für die Parteienfinanzierung.

Der Klubobmann der Liste Jetzt, Wolfgang Zinggl, ortete seinerseits ein Zeitfenster, etwa für Gesetze zum Tier- und Klimaschutz, die nicht unbedingt viel kosten würden, aber nun bis zur Neuwahl machbar seien.

Auf dem Weg zu Neuwahlen

Gestern, Dienstag, wurde der Neuwahlantrag, den alle Fraktionen außer der Liste Jetzt mitgetragen haben, im Verfassungsausschuss beschlossen. Damit wurde formal festgelegt, dass die Legislaturperiode frühzeitig endet und der Neuwahltermin „im September“ liegen wird. Ein Abänderungsantrag, der den Neuwahlbeschluss am 3. Juli in Kraft treten lässt, wurde mit einer Mehrheit von SPÖ und FPÖ abgesegnet, sodass sich kein Urnengang vor dem 29. September ausgeht. Heute, Mittwoch, liegt der abgeänderte Neuwahlantrag im Plenum des Nationalrates zur Abstimmung vor. Im Anschluss daran ist die Übergangsregierung am Zug: Sie muss in einer Ministerratsverordnung den Neuwahltermin festlegen. Anzunehmen ist, dass sie sich bei der Wahl eines Tages an den Mehrheiten im Nationalrat orientieren wird. Denn: Die Verordnung braucht im Anschluss noch im Hauptausschuss des Nationalrates eine Mehrheit – eine solche haben Sozialdemokraten und Freiheitliche, die vorab bereits betont haben, den Urnengang am 29. September abhalten zu wollen. Anders die ÖVP, die für einen früheren Wahltermin plädiert.

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