Bierlein hat ihren Cicero gelesen

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner betonte ihre Freude darüber, dass es mit Bierlein erstmals eine Kanzlerin gebe.
SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner betonte ihre Freude darüber, dass es mit Bierlein erstmals eine Kanzlerin gebe.(c) APA/HANS PUNZ
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Die neue Regierung stellte sich dem Parlament vor. Kanzlerin Bierlein versprach Stabilität. Und Feindbilder dürfe man gar nicht erst entstehen lassen.

Irmgard Griss hält an diesem Morgen vor Sitzungsbeginn noch schnell einen Plausch mit Clemens Jabloner, dann begrüßt sie Brigitte Bierlein. Es kommt ja nicht oft vor, dass die früheren Präsidenten aller drei Höchstgerichte aufeinander treffen. Obwohl, in den nächsten Monaten wohl schon.

Schauplatz dieses und künftiger Treffen der drei ist der Nationalratssaal in der Hofburg. In ebendiesem sitzt die frühere Präsidentin des Obersten Gerichtshofs als Neos-Abgeordnete. Und in diesem stellen sich die früheren Präsidenten Bierlein (Verfassungs-) und Jabloner (Verwaltungsgerichtshof) an diesem Mittwoch als Spitzen der neuen Regierung vor. Ihre Mission: Sie wollen vermitteln, dass ihre Übergangsregierung für stabile Verhältnisse sorgt.

Bierlein nimmt dafür Anleihe bei Cicero, dem altrömischen Politiker, der als Anwalt auch einen juristischen Hintergrund hatte. „Nichts hält das Gemeinwesen besser zusammen als die Verlässlichkeit“, zitiert Bierlein den Staatsmann. „Lassen Sie mich das Zitat um den Begriff Vertrauen ergänzen“, sagt die Kanzlerin. „Für Verlässlichkeit stehen wir, und um Vertrauen werben wir“, betont sie im Namen ihrer Regierung, die sich im Saal eingefunden hat.

Die frühere Richterin spricht mit kleineren Pausen, immer wieder blickt sie auf ihren Zettel. „In diesem Hohen Haus schlägt das Herz der österreichischen Demokratie“, sagt sie zu den Abgeordneten. „Und dieses Herz schlägt lebendig und kräftig.“ Ja, diese Regierung habe kein Wahlprogramm abzuarbeiten, sie müsse keine Wahlversprechen einlösen Doch sie wolle Stabilität gewährleisten - für alle, sagt Bierlein. Menschen seien zwar verschieden, von der Herkunft, der Religion, in ihrer sexuellen Ausrichtung. Aber als Juristin habe sie gelernt, auf das Verbindende zu schauen, und das sei die Menschlichkeit. Man solle das Gemeinsame über das Trennenden stellen und Feinbilder gar nicht erst entstehen lassen.

Jabloner: Sind legitimiert

Vizekanzler Jabloner ist es wichtig, mit der Mär aufzuräumen, dass diese Regierung nicht demokratisch legitimiert sei. Schließlich sei sie vom Bundespräsidenten ernannt worden, der wiederum direkt vom Volk gewählt wurde. Aber die Regierung müsse sich das Vertrauen des Nationalrats „täglich neu erwerben“, betont Jabloner. Der Nationalrat hätte schließlich die Möglichkeit, eine Regierung per Misstrauensvotum abzusetzen. Jabloner, in der Regierung auch für die Justiz zuständig, zeigt Respekt vor seinem Amt. Er habe dieses „mit großer Ehrfurcht“ übernommen – aber auch „mit einer gewissen Heiterkeit“.

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) pflichtet dem bei: Die Verfassung lege es nahe, das Amt mit Heiterkeit auszuüben. Eine rechtliche Begründung dafür unterlässt der studierte Musiker und Historiker Sobotka aber. Vielleicht besser, wenn man mit so vielen Juristen auf der Regierungsbank konfrontiert ist. Einer davon, Außenminister Alexander Schallenberg, gelobt in seiner Rede, die Staatsgeschäfte gewissenhaft weiterzuführen: „Die Welt bleibt nicht stehen, und sie wartet nicht bis nach den Wahlen“, sagt er.
Innenminister Wolfgang Peschorn, bisher als Leiter der Finanzprokuratur Anwalt der Republik, verspricht „eine korrekte Vollziehung der Gesetze“. „Zwischen Verwalten und Gestalten und ist kein Widerspruch“, meint er.

Finanzminister Eduard Müller darf an diesem Tag als einziger Nichtjurist (er ist Wirtschaftswissenschaftler) von der Regierungsbank aus eine Rede halten. Dafür beruft auch er sich auf Cicero: „Die beste Einnahmequelle eines Staates ist die Sparsamkeit.“ Und dann gibt er den Abgeordneten noch eine Mahnung mit: „Die Wahlgeschenke von heute sind die Steuererhöhungen von morgen.“

Wahltermin 29. September

Die Mandatare selbst betonen in ihren Reden, die Regierung zu unterstützen. Streit gibt es aber zur Frage, wer für das Aus der Vorgängerregierung verantwortlich war. Und Zank gibt es um den Wahltermin. Die ÖVP will Anfang September wählen lassen, doch SPÖ und FPÖ stellen per Abänderungsantrag die Weichen für einen Urnengang am 29. September. Die endgültige Entscheidung fällt im Juli. Und die Kanzlerin? Die würde lieber früher wählen lassen, wie sie sagt. Aber natürlich akzeptiere sie jede Entscheidung des Parlaments.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.06.2019)

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