Sozialministerin Zarfl: „Man zieht mich in den Wahlkampf hinein“

Sozialministerin Brigitte Zarfl will ihrem Nachfolger einen Ordner voll mit umsetzbaren Inhalten hinterlassen.
Sozialministerin Brigitte Zarfl will ihrem Nachfolger einen Ordner voll mit umsetzbaren Inhalten hinterlassen.(c) APA/ROLAND SCHLAGER (ROLAND SCHLAGER)
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Die Ministerin verteidigt ihre Anfragebeantwortung zur Kassenfusion. Politikerin will sie nicht bleiben, sie versteht sich weiterhin als Beamtin.

Wien. Wie legen die Minister der Übergangsregierung ihre Rolle an? Ziemlich unterschiedlich, wie die letzten Wochen gezeigt haben. Da gibt es welche, die sich überhaupt noch nicht zu Wort gemeldet haben. Andere haben starke Auftritte hingelegt, wie der Verteidigungsminister, der vor dem Sterben des Bundesheeres gewarnt hat. Oder der Justizminister, der erkennen lässt, dass ihm diese Rolle auch in einer politisch agierenden Regierung gefallen würde.

Sozialministerin Brigitte Zarfl ist in den vergangenen Tagen politisch unter Beschuss geraten, die ÖVP hat ihr vorgeworfen, sich ebenfalls auf das politische Parkett begeben zu haben und gegen die Vorgängerregierung agiert zu haben. In der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage der Liste Jetzt hat sie die Kosten der Fusion der Krankenkassen mit 300 bis 400 Millionen Euro beziffert und sich dabei auf eine Studie berufen – ohne aber die in der Studie ebenfalls enthaltenen Synergieeffekte in der Höhe von bis zu 300 Millionen Euro jährlich zu erwähnen.

Keine Schelte von der Kanzlerin

Am Freitag trat Zarfl erstmals vor einem Kreis ausgewählter Medienvertreter auf und bekannte: „Ich bin mit dem Umgang mit Medien nicht vertraut.“ Die frühere Sektionschefin sieht sich weiterhin als Beamtin, nicht als Politikern. Ihre Aufgabe sei das Verwalten, ihr Stil die Sachlichkeit. Und die Aufregung um die Anfragebeantwortung? „Das hat mich sehr befremdet.“ Sie sieht sich in den Wahlkampf hineingezogen. Sie habe die Anfrage so beantwortet, wie dies seit jeher die Konvention ihres Ministeriums sei: Das zu beantworten, was gefragt wird. Und das waren eben dezidiert die Kosten der Fusion und nicht etwaige Synergieeffekte.

Inhaltlich will die Sozialministerin das Gutachten nicht bewerten. Es sei von zwei Wirtschaftswissenschaftlern verfasst worden. „Warum soll ich als Naturwissenschaftlerin meine Meinung dazu abgeben?“ Auch ein eigenes Gutachten zu dem Thema will sie nicht in Auftrag geben. Die Causa sei jetzt beim Verfassungsgerichtshof anhängig. „Ich will die Beratungen des Höchstgerichts nicht beeinflussen.“ Dass es, wie medial kolportiert, eine Schelte von Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein wegen des mit der Anfragebeantwortung ausgelösten Trubels gegeben haben soll, dementiert sie aber: „Ich weiß von diesem Termin nichts.“

Entscheidung über Pflegeregress

Thematisch wird sich die Ministerin, die bis zur Angelobung einer neuen Regierung, also doch einige Monate, im Amt bleiben wird, schwerpunktmäßig mit den Themen Pflege, Elektronische Gesundheitsakte und Pensionen beschäftigen. Bei der Pflege steht bald eine Entscheidung an: Wie viel bekommen die Bundesländer in diesem und in den folgenden Jahren vom Bund als Ersatz für den Entfall des Pflegeregresses?

Gesetzlich festgelegt sind 100 Millionen Euro, im Vorjahr haben sich Bund und Länder auf 340 Millionen Euro geeinigt – und auf eine Evaluierung, ob diese Summe auf Dauer gerechtfertigt ist. Diese Evaluierung steht nun vor dem Abschluss, ein konkretes Ergebnis gibt es noch nicht, aber die Tendenz ist klar: Es wird wohl bei Zahlungen in dieser Größenordnung bleiben. Was bedeutet: Es wird nicht weniger, es wird aber auch keinen dramatischen Anstieg geben. Der befürchtete Run auf die Pflegeheime dürfte nicht stattgefunden haben. Am Anfang habe es einen Anstieg gegeben, der dann aber wieder abgeflacht sei.

Auch bei den Pensionen wird Zarfl wie gesetzlich vorgesehen tätig werden und per Verordnung die Pensionserhöhung festlegen. Diese wird sich, je nach Entwicklung der Inflation, in der Größenordnung von 1,9 bis zwei Prozent bewegen. Insgesamt sieht sie das Pensionssystem auf einem guten Weg und verweist auf den Anstieg des durchschnittlichen Antrittsalters seit dem Jahr 2000 von 57,7 auf 60,4 Jahre. Das Pensionssystem sei „wie ein Hochseedampfer. Man setzt eine Maßnahme, und es dauert einen halben Tag, bis das Schiff sich bewegt.“

Ob die Ministerin nicht doch noch Lust auf die Politik bekommt? „Ich bin in meiner Kreativität im Verwalten durchaus gefordert“, sagt sie. „Ich will definitiv nicht Ministerin bleiben.“ Hätte sie das gewollt, hätte sie sich schon längst um politische Ämter bemüht. Ihr Ziel: am Ende ihrer Amtszeit einen Ordner mit Inhalten zusammengestellt zu haben, den sie ihrem Nachfolger oder ihrer Nachfolgerin überreichen kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2019)

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