Guttenberg: Die Affäre der fehlenden Fußnoten

Er galt als Zukunftshoffnung der deutschen Politik. Doch die "Copygate-Affäre" lässt Karl-Theodor zu Guttenberg nicht nur auf Normalmaß schrumpfen, sie könnte ihn das Amt kosten.

So schnell kann es gehen: Eben noch wurde Karl-Theodor zu Guttenberg als Himmelsstürmer und größte Zukunftshoffnung der deutschen Politik gefeiert – und plötzlich wankt nicht nur sein Image bedenklich. Viele in der Union reiben sich verwundert die Augen. Ausgerechnet über fehlende Fußnoten in seiner Doktorarbeit musste der schwarze Hoffnungsträger straucheln; jener Arbeit also, die das perfekte Bild vom eloquenten Super-Performer wissenschaftlich abrunden sollte.

Das Phänomen Guttenberg schrumpft auf Normalmaß. Für „ZuGu“-Skeptiker, die es auch gibt, ist das weniger erstaunlich. Wer den kometenhaften Aufstieg des CSU-Politikers begreifen will, muss sich mit der Methode Guttenberg befassen: Die ist breit dokumentiert, aber eben nicht ohne Risken. Erstens ist da die gewaltige Strahlkraft des politischen Glamour-Boys aus Bayern. Bereitwillig machten sich die Massenmedien zu Transporteuren des Glanzes, die der Minister und seine attraktive Gattin in den faden deutschen Politikbetrieb brachten. Guttenberg wurde vor allem von der konservativen Presse schnell als charismatisches Gegenbild zur pragmatisch-spröden Kanzlerin aufgebaut, und er spielte nur zu gerne mit. Der Multimillionen-Erbe wurde als Politiker neuen Typs stilisiert – geistig und finanziell unabhängig, ein Tabubrecher. Diesen Mythos begründete er als Wirtschaftsminister, der in der Opel-Krise als Einziger die Möglichkeit einer Insolvenz vertrat und nach einer Krisen-Nacht im Kanzleramt kolportierte, mit Rücktritt gedroht zu haben. Zur Erleichterung seiner Anhänger realisierte er ihn nicht.


Der Glamour-Boy aus Bayern. Und er konnte punkten, weil er als erster deutscher Politiker von „kriegsähnlichen Zuständen“ in Afghanistan sprach. Sorgsam kultivierte Guttenberg das Bild des Gegenpolitikers, als Vitaminspritze gegen Politikmüdigkeit im Land. Bei Wahlkampfveranstaltungen in der bayrischen Provinz verkniff sich Guttenberg selten Seitenhiebe auf den Berliner Betrieb und „die Politiker“.

Glanzvolle Bilder, wirkungsvolle Selbstinszenierung – das sind zentrale Module der Methode G. Zum ersten Mal wurde das deutlich, als er als blutjunger Wirtschaftsminister mit weit ausgebreiteten Armen auf dem New Yorker Times Square posierte. Ein politischer Popstar war geboren. Als Guttenberg sich als erster deutscher Verteidigungsminister mit Stahlhelm und Sonnenbrille in Top-Gun-Pose ablichten ließ, war manch Kollege zwar entsetzt, der Boulevard aber verzückt.

Der Bildbeweis, dass Krieg auch sexy sein kann, trug ihm nur von links beißende Kritik ein. Guttenbergs Popularitätswerte schwollen weiter an. Immer wieder setzt er gezielt seine Medienwirkung ein. „Operation Stephanie“, der Truppenbesuch am Hindukusch mit Gattin und TV-Moderator Johannes B. Kerner, bescherte ihm zwar den Hohn der Opposition, aber auch Sympathien in der Öffentlichkeit. Niemand wird leugnen, dass Guttenberg über einen treffsicheren Instinkt verfügt, dass er mit dem notwendigen Maß an Fortune auch richtige Entscheidungen durchsetzte. Schnell stieg er in der Presse zur Kanzlerreserve auf, zum logischen Nachfolger von CSU-Chef Horst Seehofer. Dass aber die Hochglanz-Bildstrecke nicht die ganze Wirklichkeit wiedergibt, zeigt sich nicht erst seit der jüngsten Affäre. Viel Glanz, wenig Substanz, unken Kritiker.


Forsche Entscheidungen. Schon kurz nach der Amtsübernahme im Herbst 2010 brachte die Bombennacht von Kundus den unerfahrenen Verteidigungsminister in höchste Bedrängnis. Erst verteidigte er den fatalen Luftangriff auf die Tanklaster schneidig als „militärisch notwendig“, musste dann aber schnell zurückrudern. Die Schuldigen waren rasch gefunden: Generalinspekteur und Staatssekretär mussten gehen, weil sie dem Minister angeblich Informationen „vorenthalten“ hatten. An Guttenberg selbst blieb nichts kleben.

Zur Methode G. gehören auch forsche Entscheidungen: Nach den Skandal-Berichten über das Segelschulschiff „Gorch Fock“ setze Guttenberg überraschenderweise den Kapitän ab, ohne zuvor eine Aufklärung abzuwarten. Wieder ein Bauernopfer, zürnte die Opposition. Symptomatisch auch Guttenbergs Weg zur Bundeswehrreform. Noch im März 2010 hatte er in einem Interview felsenfest versichert, dass es mit ihm als Verteidigungsminister kein Ende der Wehrpflicht gebe – ein halbes Jahr später war sie faktisch abgeschafft.

In der Öffentlichkeit haben ihm solche politischen Hakenschläge bisher nie geschadet. Im Gegenteil, er galt als Mann, der unbequeme Entscheidungen durchsetzt. Die Methode G. birgt indessen auch erhebliche Risken– und die werden mehr und mehr offenbar: Da ist erstens die Gefahr, abzuheben. Das macht unvorsichtig. Da ist zweitens die Gefahr, dass der kometenhafte Aufstieg des Stauffenberg-Nachfahren Neider schafft, nicht nur in der Opposition. In der Fraktion spotten sie schon über ihren „Messias“. Zudem gilt die Faustregel, dass die Medien auf Dauer keine Lieblinge dulden.

Der Ernstfall ist bereits eingetreten. Stil, Aufrichtigkeit, Haltung – das sind die Eigenschaften, die für den Adeligen Guttenberg stehen. Jetzt muss er den Totalschaden fürchten: Auf der Internetseite „Guttenplag Wiki“ wollen Internetnutzer mittlerweile Plagiate auf 247 Seiten der Dissertation gefunden haben. Weil das Inhaltsverzeichnis und die Anhänge nicht mitgerechnet werden, sind 62,8 Prozent aller Seiten betroffen. Ein Abschlussbericht der Aktivisten soll bis Montagabend fertiggestellt werden.

Noch aber genießt Guttenberg das Vertrauen der Bevölkerung: 68 Prozent sprechen sich nach der Plagiatsaffäre in einer Umfrage für das Magazin „Focus“ gegen einen Rücktritt des Ministers aus, nur 27 Prozent sind dafür.

Rücktritt nicht mehr ausgeschlossen. Dennoch schrumpfen den einstigen Superstar die Ereignisse der letzten Tage auf Normalmaß – wenn sie ihn nicht am Ende sogar den Kopf kosten. Guttenberg selbst weist Fragen nach einem möglichen Rücktritt zwar als „Unsinn“ von sich, in Koalitionskreisen gilt dies aber längst nicht mehr als ausgeschlossen. Auch das Verhältnis zu Angela Merkel sei strapaziert, ist zu hören. Das Lächeln des Ministers, es wirkt angespannt – auch wenn er sich natürlich nichts anmerken lassen will. Hochnervös, fast panisch, unter Druck– so erleben manche Parteifreunde den sonst so souveränen Baron. Die Methode Guttenberg gelangt an ihre Grenzen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2011)

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