Occupy Wallnerstraße: Die Trittbrett-Revolte

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Ein ehemaliger Grüner, eine Kommunistin und ein Wiener Wirtschaftsprofessor, der das Geld abschaffen und durch Gutscheine für Waren und Dienstleistungen ersetzen will: Wer hinter "Occupy Austria" steckt.

Wie kommt eine Protestbewegung wie „Occupy Wall Street“ nach Österreich? Erfasst sie das Land über Nacht? Schwappt sie gar über? Die Wahrheit ist banaler: Ermutigt durch die Gründung der Deutschland-Filiale riefen Peter Wurm, ein ehemaliger Grüner aus Wien, und Edith Friedl, mehrmals schon Kandidatin der Linzer KPÖ, Anfang Oktober die Facebook-Seite „Occupy Austria“ ins Leben. Und damit auch eine Bewegung, irgendwie.

Friedl sagte zu Wurm: „Mach's du, weil die Y-Taste auf meiner Tastatur klemmt.“ Und er tat es. Seither wächst „Occupy Austria“ langsam, aber doch; befördert wohl durch die weltweiten Proteste. Am Samstag hatte die „unabhängige Plattform“ mehr als 6100 Fans und immerhin drei föderale Ableger: in Wien, Salzburg und Innsbruck.

Dabei sind die Ziele der Österreich-Besetzer ähnlich vage formuliert wie jene ihrer New Yorker Vorbilder. Sie haben keinen Anführer, keinen Forderungskatalog und keine eng gefassten Wertvorstellungen. Man distanziere sich von Faschismus, Rassismus und jeglichem Fanatismus steht im Infoportal der Facebook-Seite. Ein Gegengift gegen die Eurokrise rund um Griechenland und die Parteienverdrossenheit in der Heimat ist das noch nicht.

Was die Revoluzzer eint, ist ein Faible für den Arabischen Frühling, ein nicht näher definiertes Unbehagen gegenüber dem Kapitalismus und ein Vertrauensverlust in die Regierungen: „Wir sind keine Güter in den Händen von Politikern und Bankern“, hieß es in einem weltweiten Demonstrationsaufruf am 15. Oktober, den auch in Österreich viele erhörten. Am Samstag wurde in Wien erneut protestiert. Der Tross zog vom Heldenplatz zum Westbahnhof und wieder retour. In der Wallnerstraße machte er nicht Station: Die Börse ist am Wochenende geschlossen.


Das Ende des Geldes. Der Wunsch nach Transformation, sagt Initiator Wurm, sei die Schnittstelle. Und doch sind die Weltverbesserungsvorschläge der einzelnen „Occupy“-Mitglieder (Aktivisten?) so heterogen wie sie selbst. Franz Hörmann etwa, Professor für Unternehmensrecht an der Wiener Wirtschaftsuniversität, beschwört eine ökonomische Apokalypse herauf. Das internationale Geld- und Finanzsystem, meint er, beruhe auf einem „reinen Betrug“. Die Banken würden Geld im Computer erfinden und weiter verleihen. Daraus entstünde eine doppelte Schuld: in den Bilanzen der Institute und bei den Kreditnehmern.

Noch heuer, glaubt Hörmann, werde dieses Geldsystem das Zeitliche segnen. Es sollte dann durch eines ersetzt werden, das auf Gutscheinen für Waren und Dienstleistungen basiert. Denn die Ressourcen seien im Überfluss vorhanden. Als Beispiel nennt er einen Bäcker, der 100 Brote bäckt, aber nur 50 verkauft, weil die Menschen nicht mehr Geld haben: Besser wäre es, würde der Bäcker den Restbestand verschenken, meint der Professor. Dafür bekäme er dann zum Beispiel einen Neuwagen geschenkt.

Peter Wurm hingegen, hauptberuflich Sozialpädagoge, hat eine Gesellschaft im Sinn, die basisdemokratischer funktioniert als derzeit. Seine Ziele meinte er einst mit den Grünen verwirklichen zu können. 2008 bewarb er sich parteiintern für einen Sitz im Nationalrat, zwei Jahre später für den Wiener Gemeinderat. Überliefert ist eine Wahlkampfrede, in der er die „Selbstgefälligkeit“ der Grünen anprangerte: „Wir verachten alle, die uns nicht verstehen [...]. Es genügt nicht, die eigene Onanie zu bestaunen.“

Mit einem Mandat wurde es beide Male nichts, und heute ist Wurm nicht einmal mehr Mitglied der Grünen. An seinen Vorstellungen ändert das nichts: Er wünscht sich eine Demokratiereform in Österreich hin zu einem personalisierten Wahlrecht, Volksabstimmungen über jede EU-Vertragsänderung und einen (einzigen) Unionspräsidenten, der vom Bürger gewählt wird. Den reformatorischen Ansätzen sind bei „Occupy Austria“ nämlich kaum Grenzen gesetzt. Sie reichen bis zu einem sechsmonatigen Sozialdienst für alle Politiker.

Versprengte Naivlinge. Doch mancherorts hat sich schon Ernüchterung breitgemacht. Bernhard Jenny etwa, Kommunikationsberater aus Salzburg und anfangs einer der Österreich-Administratoren, kehrte der Bewegung am Tag nach den Protesten vom 15. Oktober schon wieder den Rücken. Weil er dort, auf den Straßen von Salzburg, Bekanntschaft mit „versprengten Naivlingen“ machte, die „unklare Positionen zum Thema Holocaust vertreten“.

Er fühle sich dem Grundgedanken von „Occupy“ zwar nach wie vor verbunden, sagt Jenny. Aber nur, weil einige „Ultrarechte“ auch gegen eine „schrankenlose Spekulation“ seien, könne er nicht gemeinsam mit ihnen für eine gerechtere Welt kämpfen. Irgendwo müsse es Grenzen geben.

Ausgrenzung und Hierarchie stehen allerdings nicht im Revolutionsdrehbuch der Besetzer, weder an der Wall Street noch bei den österreichischen Trittbrett-Revoluzzern. Nur eine hierarchisch aufgebaute Gruppe könne gespalten oder gestürzt werden, „nicht diese weltweite, solidarische Bewegung“, heißt es auf Facebook. „Diese Struktur verhindert es, dass ,Occupy‘ von einzelnen vereinnahmt wird.“ Weshalb sich mittlerweile auch Peter Wurm aus der Führungsriege der Österreich-Besetzer verabschiedet hat: „Sonst endet es wie bei Stalin“, meint er.

Dabei spießt es sich genau dort: an der Frage nämlich, wie es enden, wohin die Reise gehen soll? Wird der ausgerufene Klassenkampf einen gesellschaftlichen Umbruch einleiten? Oder ist „Occupy“ nicht mehr als eine Donquichotterie, betrieben von linken Romantikern, wie Kritiker meinen? Dass die Bewegung jemals realpolitisches Gewicht entfalten wird (können), wagen jedenfalls noch nicht einmal die Initiatoren zu behaupten. Fürs Erste wird weiter demonstriert, werden Netzwerke gesponnen und Informationen ausgetauscht. Und dann? „Es ist eine völlig neue Bewegung“, sagt Wurm. „Wir müssen uns erst daran gewöhnen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.11.2011)

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