ELGA: Aufträge, am freien Markt vorbei

(c) FABRY Clemens
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Oberösterreich soll die zentrale Software für die Online-Krankenakte organisieren. Die Privatwirtschaft übt scharfe Kritik: Die Politik würde mit Steuergeld ein Monopol schaffen.

Wien. Das Kürzel ÖMS steht für den Verband Medizinischer Softwarehersteller in Österreich. Er wurde vor sechs Jahren gegründet, um die Interessen der Branche zu vertreten und nötigenfalls Missstände aufzuzeigen. Und dazu, meint der Präsident des Verbandes, gibt es dieser Tage allen Grund.

Es sind schwere Vorwürfe, die Klaus Propst gegen die gesundheitspolitischen Entscheidungsträger des Landes erhebt: Bei der Errichtung der Elektronischen Gesundheitsakte (ELGA) werde versucht, den freien Wettbewerb auszuschalten. Ein Monopol würde geschaffen – und Steuergeld in Millionenhöhe vernichtet.

Anlass für diese Kritik war ein Gastvortrag am 15.November im Wirtschaftskammer-Gremium der E-Health-Experten: Hubert Eisl, technischer Geschäftsführer der ELGA-Errichtungsgesellschaft, informierte Berater und IT-Unternehmer aus dem Gesundheitsbereich über den Fortschritt eines Projekts, das ab Mitte 2013 die Krankenakten aller Patienten über ein Netzwerk zugänglich machen soll.

Die Botschaft in Kurzfassung: Die Gesellschafter, also Bund, Länder und Sozialversicherung, hätten das Land Oberösterreich beauftragt, das technische Herzstück für ELGA zu erstellen: eine Software, die alle Stellen im System miteinander verbindet; eine Art elektronische Bibliothek, die Patientenbefunde bei allen Anbietern von Gesundheitsdiensten aufspürt – im Fachjargon „Affinity Domain“ genannt. Oberösterreich wiederum hätte den Auftrag an die Gespag weitergereicht, die landeseigene Gesundheits- und Spitals AG.

„Verdeckte Auftragsvergabe“

Der ÖMS wehrt sich „entschieden“ gegen diese Entscheidung, die erstens ohne Ausschreibung zustande gekommen sei – und für die es, zweitens, noch nicht einmal eine gesetzliche Grundlage gebe. Denn der Entwurf für ELGA wird seit Monaten überarbeitet und schaffte es bislang nicht in den Ministerrat. Es handle sich um eine „verdeckte Auftragsvergabe“, die gegen EU-Recht verstoße, kritisiert ÖMS-Präsident Klaus Probst.

Die medizinische IT-Branche fühlt sich von der Politik hintergangen. Man hätte ihr einen freien Wettbewerb versprochen: Jedes Unternehmen, das Software für einen elektronischen Gesundheitsakt herstellt, könne seine Produkte feilbieten, wenn internationale Normen erfüllt werden. Ärzte, Spitäler und Pflegeeinrichtungen, die an ELGA teilnehmen, sollten dann eigenmächtig entscheiden, welches Produkt sie erwerben.

Propst vergleicht es mit der Winterreifenpflicht: Profil und Reifentiefe seien gesetzlich vorgeschrieben – „aber jeder Konsument kann beim Hersteller seiner Wahl einkaufen“. Beim Online-Krankenakt werde dies unterbunden. „Man schafft ein Monopol, weil die Gespag dann den Preis diktieren kann. Den Steuerzahler wird das teuer zu stehen kommen.“

Oberösterreich ist vorbereitet

Das Gesundheitsministerium und die Errichtungsgesellschaft hielten sich auf Anfrage bedeckt: Mit der Aufgabe, den Grundversorgungsbereich im System zu erstellen, seien die Bundesländer betraut worden. Entschieden sei noch nichts. Aber Oberösterreich sei natürlich eine Option, sagt ELGA-Geschäftsführerin Susanne Herbek.

Dort ist man offenbar besser informiert: Bis März solle in einer Sitzung der Gesundheitsreferenten entschieden werden, welches Land im Auftrag der anderen acht diese Leistung erbringen solle, erklärt Robert Schütz, Geschäftsführer des hiesigen Gesundheitsfonds. Oberösterreich hätte sich angeboten – alles weitere werde sich zeigen.

Jedenfalls könnte man einen gewissen Erfahrungswert einbringen: Die Gespag habe bereits alle Landeskrankenhäuser und Pflegeeinrichtungen miteinander vernetzt. Die oberösterreichische ELGA-Version nennt sich „Elektronischer Patientenakt“ und soll im nächsten Ausbauschritt auch den niedergelassenen Bereich erfassen.

Rechtlich, meint Schütz, wäre ein Zuschlag für Oberösterreich einwandfrei: „Das wäre kein Akt der Ausschreibungspflicht, sondern ein öffentlicher Auftrag, ELGA technisch bereitzustellen.“ Jene Software, die noch benötigt würde, um das gesamte Bundesgebiet zu bedienen, müsse ohnehin auf dem freien Markt besorgt und daher ausgeschrieben werden. Wie hoch die Errichtungskosten wären? Maximal 1,5Millionen Euro. Und ja, dabei handle es sich um Steuergeld.

„Private kommen nicht zum Zug“

Der Gesetzgeber scheint für dieses Prozedere schon vorgesorgt zu haben. Im Entwurf für die Online-Krankenakte (er liegt der „Presse“ vor) heißt es unter dem Titel „Nutzungsrechte“: Den ELGA-Systempartnern stehe „im Rahmen ihrer Zusammenarbeit für die Errichtung und den Betrieb von ELGA ein wechselseitiges, unentgeltliches und zeitlich unbeschränktes Nutzungsrecht an den von ihnen errichteten und betriebenen Komponenten zu.“

Das bedeutet im Klartext: „Private Unternehmen kommen nicht zum Zug“, sagt Klaus Probst. Denn niemand könne gegen ein „unentgeltliches, rein aus Steuergeldern finanziertes System antreten.“

Auf einen Blick

In der Elektronischen Gesundheitsakte (ELGA) sollen ab 2013 alle Patientendaten – von den Befunden bis zur Medikation – gesammelt werden. Ärzte, Spitäler, Pflegeeinrichtungen und die Patienten selbst bekommen Einsicht in die Daten. Der Gesetzesentwurf von Minister Alois Stöger (SPÖ) wird seit Monaten überarbeitet, weil es heftige Kritik von Ärzten und Datenschützern gibt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2011)

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