Bosnien: Das größte Kriegsopfer wird als letztes EU-Mitglied

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Die Bosnier behindern sich selbst und haben keine mächtigen Fürsprecher. Die Volksgruppen kochen weiterhin ihre eigenen nationalistischen Süppchen. Ein EU-Beitritt wird durch so gut wie nichts untermauert.

Brüssel. Die Bosnier waren die größten Opfer des jugoslawischen Bruderkrieges – und sie dürften die letzten Ex-Jugoslawen sein, die der EU beitreten. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die bosnisch-herzegowinische Regierung Ende Juni den Beitrittsantrag nach Brüssel schicken will. „Das ist unsere Absicht, und wir tun das Beste, um das zu erreichen“, sagte Bakir Izetbegović, das bosniakische Mitglied des Staatspräsidiums, vor zwei Wochen in Brüssel.

Unfähige politische Klasse

Doch realpolitisch ist diese Hoffnung durch so gut wie nichts untermauert. Das liegt erstens an der Unfähigkeit der politischen Klasse der drei Volksgruppen, im Interesse einer europäischen Zukunft ihrer Bürger gemeinsame Sache zu machen. Im Gegenteil: Serben, Kroaten und Bosniaken kochen weiterhin ihre eigenen nationalistischen Süppchen. Zum Beispiel dauerte es 15 Monate, bis sich zwei Tage vor dem Jahreswechsel und dem damit drohenden Staatsbankrott Bosnien und Herzegowinas und seiner Teilrepubliken doch noch eine Regierung zusammenraufte. Liebeshochzeit war das keine, vermutlich nicht einmal eine Vernunftehe.

Drei Monate später eröffnete Milorad Dodik in Wien ein Vertretungsbüro der Republika Srpska und zeigte sich so eigenbrötlerisch wie eh und je. Das bosnische Außenministerium habe „das serbische Volk marginalisiert“, erklärte Dodik der „Presse“ im Interview. Gleichzeitig dürfe die Zentralregierung nur in der Außenpolitik Vollmachten haben. Ein EU-Staat, dessen Regierung nur außenpolitische Kompetenzen hat? Das ist so abwegig, dass man es nicht einmal mehr als illusorisch bezeichnen kann. So betonte auch das Europäische Parlament am 14.März, dass Bosnien und Herzegowina nur dann Chancen auf einen Beitritt habe, wenn es „als ein einziges Land antritt“. Mindestens so schwer wie das selbst verschuldete politische Versagen von Bosnien und Herzegowina wiegt zweitens der Umstand, dass es derzeit keinen mächtigen Fürsprecher innerhalb der EU gibt, der sein diplomatisches und wirtschaftliches Gewicht voll und ganz für den Beitritt einsetzt.

Ohne Kosovo kein Serbien in EU

Besonders deutlich wird das, wenn man den Vergleich mit dem Kosovo zieht. Die frühere serbische Provinz, die sich im Februar 2008 für unabhängig erklärte, wird von den EU-Staaten Griechenland, Rumänien, Slowakei, Spanien und Zypern völkerrechtlich nicht als Staat anerkannt.

Wobei die kosovarischen Beitrittswünsche wiederum mit den serbischen verknüpft sind: In unterschiedlichen Graden fordern einige EU-Staaten von Serbien Zugeständnisse gegenüber dem Kosovo, bevor Belgrad beitreten kann. Sowohl Serbien als auch der Kosovo haben in der Europäischen Union mächtige Unterstützer: Frankreich und Polen stärken Belgrad den Rücken, Prishtina bekommt aus Berlin Rückenwind, wie Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel 2011 klarmachte.

„So tun, als wäre die Tür offen“

Jeder Schritt, der Serbien näher an die EU bringt, muss von einem Schritt begleitet werden, der selbiges für Prishtina tut: ein Axiom, das Wunder zu wirken scheint. Und auch für die Statusfrage des Kosovo findet sich eine Lösung, hielt der frühere Generalsekretär im Wiener Außenministerium, Stefan Lehne, neulich in einem Papier für die Ideenschmiede Carnegie Europe fest. Der deutsch-deutsche Vertrag von 1972 zwischen BRD und DDR ermöglichte den beiden Staaten eine konstruktives Verhältnis, ohne die Frage der deutschen Einheit zu beantworten.

Lehne warnt vor einer Situation, in der „die EU nur so tut, als hielte sie ihre Türe offen, und die Westbalkanstaaten nur so tun, als würden sie reformieren“. Nirgendwo zwischen Zagreb und Skopje ist diese Beobachtung so zutreffend wie in Bosnien undHerzegowina.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.04.2012)

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