Kanzler Werner Faymann überrascht die Genossen mit dem Ja zur direkten Demokratie. Nun sind alle Parteien für eine Aufwertung des Volksbegehrens. Was die SPÖ genau will, ist aber auch nach dem Kanzler-Ja offen
Werner Faymann hat ein Gespür für Timing. Denn auch, wenn man in der SPÖ jegliche Absicht bestreitet, so hat der Kanzler mit seiner Ankündigung zur direkten Demokratie – passenderweise in der „Krone“ – Michael Spindelegger am Tag dessen großer Rede ein wenig Aufmerksamkeit gestohlen. Und die ÖVP kann ihm deshalb nicht einmal böse sein.
Mit der Idee, einem Volksbegehren ab 700.000 Unterschriften eine verpflichtende Volksabstimmung folgen zu lassen, kommt Faymann dem Koalitionspartner nämlich einen Schritt entgegen. Die Zahl liegt nur knapp über dem ÖVP-Vorschlag von 650.000 (zehn Prozent der Wahlbevölkerung). Dabei hatte die SPÖ-Position bis vor Kurzem noch anders ausgesehen. Das heißt: Es gab keine. Öffentlich hatte sich einerseits Nationalpräsidentin Barbara Prammer geäußert, die nach wie vor für das deutsche Drei-Stufen-Modell(siehe oben) wirbt, und andererseits SPÖ-Bundesgeschäftsführer Günther Kräuter – dieser wiederum ablehnend. Vonseiten des SPÖ-Parlamentsklubs hieß bis dato: Man könne sich nur eine Abstimmung über Gesetzesvorschläge des Nationalrats (statt wie bisher über bereits beschlossene Gesetze) vorstellen.
Was die SPÖ genau will, ist aber auch nach dem Kanzler-Ja offen: Details, heißt es aus dessen Büro, soll die Arbeitsgruppe im Parlament klären. Auch die Zahl von 700.000 will man nicht näher begründen. Dafür ist man zuversichtlich, dass sich – wie von der ÖVP gewünscht – heuer eine Grundsatzeinigung ausgeht: „Am Zeitplan soll es nicht scheitern.“
Bis dahin sieht Bundesgeschäftsführer Kräuter noch viel Diskussionsbedarf – etwa darüber, ob über Steuern und Staatsausgaben abgestimmt werden soll. „Ich bin sehr skeptisch.“ Prinzipiell sei er froh, dass mit den 700.000 eine „verantwortungsvoll hohe Zahl“ genannt wurde. Kräuter hofft auch auf eine parlamentarische Enquete. Von den anderen Parlamentsparteien, die niedrigere Hürden für eine Abstimmung fordern (Grüne: vier Prozent, also 252.000, FPÖ: ab 250.000, BZÖ: 400.000) kommt Skepsis: 700.000 seien zu viel und daher eine Provokation, heißt es etwa aus der FPÖ.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2012)