Prammer zu Wahlrecht: „Darf ich frech sein?“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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SP-Nationalratspräsidentin Prammer spricht sich für eine Volksabstimmung über eine Aufwertung des Volksbegehrens bei der Nationalratswahl im nächsten Jahr aus.

Die Presse: Bisher waren Sie in der SPÖ die Einzige, die sich für ein neues Modell zur Volksabstimmung ausgesprochen hat. Nun will der Bundeskanzler ab 700.000 Unterschriften für ein Volksbegehren auch abstimmen lassen. Fühlen Sie sich von dem Vorschlag überrumpelt oder bestätigt?

Barbara Prammer: Weder noch. Die 700.000 gehen in die Richtung, die auch ich mir vorstelle. Nämlich dass man die Zahl an den Gesetzgebungsprozess anlehnt. Wenn ich umrechne, wie viele Mandate ich für ein Gesetz brauche und wie viele Stimmen die wert sind, bin ich etwa bei 700.000.

Sie selbst schlagen einen Dreistufenweg zur Volksabstimmung vor. Ist das auch Faymanns Modell?

Nein. Ich glaube aber nach wie vor, dass der dreistufige Volksentscheid, den es in deutschen Bundesländern gibt, die beste Idee ist. Es gibt zwischen den einzelnen Phasen – Initiative, Volksbegehren, Abstimmung – immer Gespräche der Politik mit den Initiatoren, Begutachtungen und Verfassungsprüfungen. Oft kommt es schon in der ersten Phase zu Ergebnissen. Es ist auch wichtig, jetzt die Zivilgesellschaft an Bord zu holen. Dort sitzt nämlich das Know-how, nicht bei den Parteien.

Können Sie Ihr Modell noch durchsetzen? Oder ist der Zug abgefahren?

Überhaupt nicht. Da gibt es noch sehr viel Gesprächsbedarf.

Eigentlich macht Faymann, was Sie bisher den anderen Parteien vorgeworfen haben. Er nennt eine Zahl, also ein Quorum, aber kein Modell.

Das wird auch so nicht funktionieren. Auch nicht beim Herrn Bundeskanzler. Aber das hat er ja nicht behauptet, sondern er hat auf die Frage nach einem Quorum geantwortet.

Sehen wir uns Ihr Modell im Detail an: Sollte man online abstimmen können?

Bei Volksbegehren ja, aber bei Volksabstimmungen traue ich mir kein abschließendes Urteil zu. Ich denke, es muss mir wert sein, dass ich zu einer solchen Abstimmung hingehe. Es sollte – wie bei Wahlen – auch hundertprozentig gesichert sein, dass ich abstimme und nicht meine Tochter. Aber das ist sicher keine Fahnenfrage.

Würde auch über Verfassungsgesetze abgestimmt?

Ja, aber da bräuchte man schärfere Regeln. Ich bin schon froh, wenn man es mit einfachen Gesetzen macht. Klar ist, dass man eine Volksabstimmung für so ein Modell bräuchte.

Weil es eine Gesamtänderung der Bundesverfassung ist.

Ja.

Worüber kann inhaltlich abgestimmt werden?

Über Menschen- und Grundrechte sicher nicht. Auch nicht über EU-Recht – außer es kommt was Neues dazu. Eine wichtige Frage betrifft aber nicht den Inhalt, sondern: Wie kommuniziert man ein Volksbegehren, eine Abstimmung nach außen? Brauche ich als Bürgerinitiative ein großes Medium hinter mir? Oder eine Partei? Wer zahlt das alles?

Soll die öffentliche Hand zahlen?

Ja, es könnte einen Topf geben, oder man regelt, wie das veröffentlicht wird. Sonst wird es eine Augenauswischerei.

Sie haben EU-Recht erwähnt: Könnte man denn über den Fiskalpakt abstimmen?

Natürlich.

Ist das Zustandekommen des Fiskalpakts bis jetzt demokratisch?

Die Debatte wird zu führen sein. Klar ist: Allein ist der Pakt sicher zu mager. Es ist kein Wunder, dass in den europäischen Räten derzeit Wachstums- und Beschäftigungsinitiativen verhandelt werden. Über all das muss tabulos diskutiert werden. Ich glaube aber auch, es gibt keine Alternative zur Solidargemeinschaft des ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus). Zu sagen, wir schauen nur auf uns und die anderen sind uns egal: Das wird nicht gehen.

Wenn Sie das Volk dazu fragen, sagt es eventuell etwas anderes.

Nur wenn man mit dem „Volk“ nicht diskutiert. Das ist übrigens ein populistischer Begriff.

Sie haben sich für ein stärkeres Persönlichkeitswahlrecht ausgesprochen. Was wäre das genau?

Am einfachsten wäre, die Prozentsätze bei den Vorzugsstimmen zu senken. Ich würde mir wünschen, dass es auch auf Bundeslisten ein Vorzugsstimmensystem gibt.

Was halten Sie von der ÖVP-Idee, 100 Abgeordnete direkt wählen zu lassen?

Ich glaube, dass sich das rechnerisch gar nicht ausgeht. Es gibt bereits Regionalwahlkreise, wo gar kein eigenes Mandat mehr liegt. Ich kenne das Modell ja nicht im Detail, aber ich sehe die Gefahr, dass der starke Personenbezug einer Auflösung des Parteiensystems gleichkommt. Das wäre demokratiepolitisch katastrophal.

Und was ist mit dem ÖVP-Vorschlag, den Bürger bestimmen zu lassen, wofür ein Zehntel seines Steuergeldes verwendet wird?

Das lehne ich ab.

Warum?

Man muss das Ganze im Auge haben. Wenn ich mir eine Initiative vorstelle, die sich dafür einsetzt, dass zehn Prozent aus dem Sozialbereich abgezogen und in die Wirtschaftsförderung verschoben werden, gefällt mir das nicht. Die Freiheit in einer demokratischen Gesellschaft ist eine gewisse Unfreiheit. Diese gilt für das Individuum, um die Freiheit im Kollektiv zu ermöglichen.

Das ist eine typisch linke Position.

Ja.

Sie wollen Leute über Gesetze abstimmen lassen, aber trauen ihnen keine Entscheidung über Steuergeld zu. Ist das kein Widerspruch?

Ich glaube, dass das Steuerrecht ganz bewusst beim Parlament zu bleiben hat.

Wie geht es denn jetzt mit der Demokratiereform weiter?

Ich habe von der Präsidialkonferenz einen klaren Auftrag für eine Arbeitsgruppe. Wir haben einen Fahrplan bis Sommer festgelegt. Wissen Sie, wie lange die Debatte für die Wahlrechtsreform im Jahr 1992 gedauert hat?

Nein.

Vier Jahre. Weil es nicht so einfach ist. Wer etwas anderes behauptet, handelt grob fahrlässig.

ÖVP-Innenministerin Johanna Mikl-Leitner will noch heuer ein Ergebnis.

Darf ich frech sein?

Bitte.

Dann wird es ein Pfusch. Wir greifen in unsere Verfassung ein. Die kann ich nicht drehen und wenden, wie ich es brauche.

Wie lange wird es dauern, bis die Reform fertig ist?

Wir müssen froh sein, wenn wir sie vor der Nationalratswahl 2013 zusammenbringen. Dann könnten wir die dafür nötige Volksabstimmung mit der Wahl durchführen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2012)

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