Reportage

Christian Kern – der Unbeirrte

Der Simmeringer in Kapfenberg: „Jetzt wo doch so viel passiert ist mit diesem – wie heißt er noch mal?“ Kern beruhigt seine Anhänger und prophezeit den Wahlsieg.
Der Simmeringer in Kapfenberg: „Jetzt wo doch so viel passiert ist mit diesem – wie heißt er noch mal?“ Kern beruhigt seine Anhänger und prophezeit den Wahlsieg.(c) APA/ROLAND SCHLAGER)
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Tal Silberstein – wer? Der Kanzler setzt unverdrossen seinen Wahlkampf fort, stürzt sich ins „richtige Leben“ abseits der Wiener Blase und rechnet mit dem Wahlsieg. Der Andrang ist groß. Aber geht sich das aus?

Kapfenberg. Raus aus der Wiener Blase. Rein ins richtige Leben. Da, wo die Menschen noch richtige Sorgen haben. So ähnlich sieht Christian Kern derzeit die Welt.

Nach dem örtlichen Arbeitersängerbund singt Ivana Cibulova, Teilnehmerin bei „Das Supertalent“ auf RTL und Diplompflegerin hier: „I did it my way“ und „Oh Happy Day“. Irgendwie passend. Und irgendwie auch nicht. Christian Kern sitzt in der ersten Reihe. Neben ihm klatscht Gesundheitsministerin Pamela Rendi-Wagner mit. Auch Verkehrsminister Jörg Leichtfried begleitet ihn.

Der Kanzler wohnt der Eröffnung eines renovierten Pflegeheims in Mürzzuschlag bei. Dessen Leiter bittet die Medien nach seiner Einleitung um wohlwollende Berichterstattung. Christian Kern nimmt den Ball in seiner Festrede auf: Das werde er künftig auch tun, die Medien um wohlwollende Berichterstattung bitten. Und von den steirischen könne man das sicher auch erwarten. In Wien hingegen würden sie lieber „über Facebook“ diskutieren und hielten vieles für einen Skandal. Gewiss, auch er halte manche Vorgänge für skandalös, aber die wahren Skandale seien andere: Dass die Menschen bis zur Abschaffung des Pflegeregresses enteignet worden seien, dass die Reichen immer reicher würden, die Arbeitslosigkeit, ein Pensionssystem, in dem jeder zweite Pensionist von weniger als 960 Euro leben muss.

Christian Kern sieht sich selbst als Geschädigten der Affäre Silberstein. Er vermittelt den Eindruck, als habe diese für ihn mit der Verhaftung Silbersteins und seinem Rauswurf aus dem Wahlkampf der SPÖ geendet. Die Geschehnisse danach sieht er vielmehr als Kampagne des politischen Mitbewerbers und der Medien gegen ihn. Wenn man von der Beteiligung des einen SPÖ-Mitarbeiters absieht, die er auch nicht versteht und missbilligt.

Trotz und Ironie

Christian Kern setzt seinen Wahlkampf unverdrossen fort. Unüberhörbar mit Wut im Bauch. Die Welt hat sich gegen ihn verschworen – und gleichzeitig in eine Jetzt-erst-recht-Stimmung versetzt. Den Humor hat er aber noch nicht verloren: „Seit ich bei den ÖBB weg bin, haben die keine Bahnhöfe mehr eröffnet“, sagt er bei seiner Rede im Pflegeheim selbstironisch.

Kern glaubt unbeirrt an den Wahlsieg. Wie auch seine Mitstreiter von der SPÖ im Tourbus. Nein, auf Silberstein seien sie am Vortag bei ihren Wahlkampfstationen nicht angesprochen worden. Die Leute interessiere anderes: Soziales. Pensionen. Behindertenpolitik sei ein großes Thema. Und schon auch die Migration, wirft einer ein.

Und in der Tat: In Kapfenberg, dem nächsten Halt, gibt es einen großen Bahnhof für den Simmeringer. Vor dem Einkaufszentrum wird er von Menschen umringt. Auf Silberstein spricht ihn vorerst niemand an. Nur eine Pensionistin fragt ihn später, ob er sicher sei, dass er die Wahl gewinnen werde, jetzt wo doch so viel passiert sei, „mit diesem – wie heißt er noch mal?“ Kern hilft ihr nicht auf die Sprünge, versichert lieber, dass er selbstverständlich die Wahl gewinnen werde. Doch Silberstein entkommt er nicht. Dafür sorgen die vielen Journalisten, die Kern während seines Auftritts in Kapfenberg mit Fragen eindecken.

In der roten Hochburg

Der Andrang hier ist groß. Ist das ein Indiz dafür, dass die Wahl noch nicht gelaufen ist? Ein Fotograf, der den Kanzler in diesem Wahlkampf in der Steiermark schon öfter begleitet hat, meint, es seien an diesem frühen Dienstagnachmittag viel mehr Menschen da als bei vorhergehenden Auftritten. Allerdings: Kapfenberg ist nach wie vor, trotz der starken Zugewinne der Freiheitlichen in den vergangenen Jahrzehnten, eine sozialdemokratische Hochburg.

Und die meisten Kern-Fans hier sind ausgewiesene Sozialdemokraten. Er sei das sein Leben lang, sagt ein Pensionist – und es sind auch vorwiegend Pensionisten da. An Kern gefalle ihm vor allem, sagt der Mann, dass er so ein Familienmensch sei, dass er Alleinerzieher war. Hier greift das Narrativ der SPÖ. „Die Schmutzkübel interessieren mich nicht.“ Und was hält er von Sebastian Kurz? „Er ist noch zu unreif.“

Im Kindergarten

Jüngere Menschen sieht Kern dann bei der Eröffnung des neuen Kindergartens in St. Marein im Mürztal. Vier Bobby-Cars hat er mitgebracht. Er albert mit den Kindern herum, beantwortet launig deren Fragen. Zusammengefasst: Ich bin der Christian aus Wien und sorge dafür, dass ihr so einen schönen Kindergarten habt.

Auch hier wieder: großer Andrang. Der Kanzler zieht. Die Menschen mögen ihn. Aber wählen sie ihn auch? Eine Frage, die vor Beginn der SPÖ-Kampagne auch ein gewisser Tal Silberstein aufgeworfen hat. Seine Antwort war Nein. Und eine Diskreditierungskampagne gegen den voranliegenden Hauptkontrahenten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2017)

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