Türkiser Triumph und Kurz' Demut

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NR-WAHL: WAHLZENTRALE OeVPAPA/ROBERT JÄGER
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Wahlsieger. Sebastian Kurz wurde die klare Nummer eins und steht mit 31 Jahren vor der Kanzlerschaft. Eine Koalition der ÖVP mit der FPÖ ist die wahrscheinlichste Regierungsform.

Wien. 

„Es ist nicht der Tag des Triumphs über andere“, mahnt Sebastian Kurz seine frenetisch applaudierenden Anhänger. Gerade ist der Parteichef über eine extra dort platzierte türkise Tür auf die Bühne geschritten. Er strahlt über das ganze Gesicht, Sebastian Kurz ist am Ziel. Er ist mit seiner ÖVP die klare Nummer eins an diesem Wahlabend.

„Ich nehme diese Verantwortung mit großer Demut an“, sagt Kurz im Kursalon Hübner im Wiener Stadtpark, den die ÖVP für die Wahlfeier am Sonntag angemietet hat. Nun gehe es darum, den Ruf nach Veränderung umzusetzen. Mit dem Wahlergebnis ist Kurz zufrieden, auch wenn man etwas unter den Umfragewerten blieb. „Wir haben ein Ziel verfolgt und wir haben das Unmögliche möglich gemacht“, spricht Kurz.

Zum ersten Mal seit 15 Jahren ist die ÖVP wieder auf Platz eins bei einer Nationalratswahl. Kurz hat nun beste Chancen, Kanzler zu werden. Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat angekündigt, Kurz mit der Bildung einer Regierung zu beauftragen, wenn dieser auch nach Wahlkarten-Auszählung Erster bleibt. Letzteres ist sicher. Es ist der Höhepunkt einer Karriere, die mit 16 Jahren bei der Jungen ÖVP begann. Und die den Wiener steil nach oben führte.

Erfolg durch Migrationsthema

Mit dem Versprechen nach Veränderung und dem für einen erst 31-Jährigen bemerkenswerten Plakatspruch „Jetzt oder nie“ war Kurz in den Wahlkampf gezogen. Kurz hat einen soliden Wahlkampf hinter sich. Kritiker bemängelten am ÖVP-Chef aber, dass er abseits des Themas Zuwanderung kaum Themen habe.

Tatsächlich nutzte Kurz jede Möglichkeit, um das Thema „politischer Islam“ anzusprechen. Der Außenminister wusste, dass das Migrationsthema jener Punkt ist, mit dem man Wahlen gewinnen kann. Dafür nahm er auch in Kauf, dass ihm die FPÖ vorwarf, das Wahlprogramm bei ihr abgekupfert zu haben.

Doch auch abseits des Asylthemas legte Kurz, wenn auch vergleichsweise spät, ein umfassendes Wahlprogramm vor. Die direkte Demokratie solle ausgebaut, die Staatsausgaben gesenkt werden.
Kurz gelang es im Wahlkampf, sich als Teil einer neuen Volkspartei zu präsentieren. Den Vizekanzlerposten wollte Kurz nicht übernehmen. So war es für ihn einfacher, sich im Wahlkampf von der Regierung Kern zu distanzieren, während die SPÖ in der Affäre Silberstein versank. Dass einem Mitarbeiter von Kurz vorgeworfen wurde, einem Silberstein-Mitarbeiter Geld für einen Wechsel der politischen Seite angeboten zu haben, brachte aber auch den ÖVP-Wahlkampf öffentlich in Misskredit. Rot und Schwarz machten sich gegenseitig Vorwürfe, das könnte auch der ÖVP ein paar Stimmen im Finish gekostet haben.

Kurz versuchte, im Wahlkampf einen Spagat zu schaffen. Er sollte innovativ wirken, während man die alten, konservativen, aber wahlkampferprobten Kräfte in der ÖVP nicht vor den Kopf stoßen wollte. Von einer Anhebung des Frauenpensionsalters wollte Kurz im Wahlkampf daher ebenso wenig wissen, wie von der Abschaffung der Kammernpflichtmitgliedschaft oder der Einführung der Homosexuellenehe.

Jubel auch über die Blauen

Koalitionspräferenzen will Kurz weiterhin keine nennen. Schwarz-Blau gilt aber als die wahrscheinlichste Variante. Die Basis würde mitziehen: Auch über das Plus der FPÖ in der Hochrechnung wird auf der ÖVP-Wahlfeier am Sonntag gejubelt. Ebenso wie man sich auf der Party über das bescheidene Ergebnis der SPÖ freut. Und nicht wenige jubeln auch, als über die TV-Schirme die Prognose verbreitet wird, dass die Grünen aus dem Nationalrat fliegen dürften.

Zumindest für die Parteibasis ist es wohl doch der Tag des Triumphs der ÖVP über die anderen.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.10.2017)

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