1938 in Linz: Da war kein schöner Prinz

Die Hausmeisterin grüßte man mit „Heil Hitler!“.

Die Presse: Frau Richter, haben Sie als Kind (Jahrgang 1931) überhaupt etwas vom Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich mitbekommen?

Friederika Richter: Und wie! Ich wurde in Kasachstan geboren, meine Mutter war Österreicherin, und 1938 wohnten wir bei meiner Großmutter in Linz. Sie war keine Nationalsozialistin, einige andere Verwandte schon. Sie hörte im Radio die Abschiedsrede Schuschschniggs und kommentierte trocken: „Jetzt ham's uns g'schluckt, die Deutschen.“ Und meine Mutter zischte: „Sei still, Mutter!“ Sie ärgerte sich hauptsächlich, dass die Geschäfte nur noch unregelmäßig offenhielten. Na ja, die Hausfrauen hamsterten Brot, Mehl, Linsen, wie das immer ist, wenn unsichere Zeiten anbrechen.“

Dann kam der 13.März'38...

Richter: Ja. Der Führer wird – aus Braunau kommend – auf dem Linzer Hauptplatz eintreffen, hat es in der Schule geheißen. Ich besuchte die zweite Klasse und wusste nicht, was ein Führer ist. Und die Oma hat gemeint, „das verstehst du nicht. Der ist halt so was wie ein König von Deutschland“. Unsere ganze Goetheschule musste an der Ecke Mozartstraße/Landstraße aufgestellt sein, wir bekamen Fähnchen. Es nieselte, wir froren, wir warteten, laute Marschmusik, dauernd Lautsprecherdurchsagen: Der Führer hat Wels verlassen, der Führer biegt in die Landstraße ein! Eine Hysterie ohnegleichen. Zu meiner Freundin sagte ich: Das ist schöner noch als Fronleichnam. Und sie bestätigte: Schöner sogar als der Zirkus Krone.
Das heißt, Sie waren begeistert.

Richter: Na ja, da kam die Enttäuschung. Was ich mir wie einen schönen Prinzen aus dem Märchen vorgestellt habe, war ein Mann in schäbigem Regenmantel.

Was sind Ihre nächsten Erinnerungen?

Richter: Zwei Tage später war ich mit der Großmutter einkaufen. Da kommt ein SA-Trupp marschiert, voran der Fahnenträger mit einer roten Fahne und Hakenkreuz. Er schrie meine Oma an: Können Sie nicht die Fahne grüßen? Wir flüchteten in eine Seitengasse. Seitdem hasse ich Stiefel, Stiefel, nichts wie Stiefel!“

Dann kam der Alltag unter neuem Regime. Was ist Ihnen da in Erinnerung?

Richter: Ja, es kamen die ersten Reichsdeutschen. Ich weiß noch, wie sich die Hausfrauen aus Berlin oder Leipzig bei uns aufführten, nämlich fürchterlich. In den Geschäften wollten sie als erste bedient werden – was wieder meine Großmutter maßlos aufregte.

Und dann kamen wohl die Heimabende im Rahmen der Hitlerjugend...

Richter: Erst später, als wir älter waren. Aber das Grüßen – mein Gott! In der ersten Klasse sagten wir noch „Treu Österreich!“, in der zweiten schon „Heil Hitler!“. Meine Mutter gab mir dann folgende Verhaltensmaßregel: Zum Pfarrer sagst du weiter „Grüß Gott“. Die Frau Farnberger über uns grüßt du mit „Guten Tag“, denn das is' a Rote. Zur Hausmeisterin musst d' „Heil Hitler“ sagen!“ hws

Friederika Richter ist Schriftstellerin und Malerin in Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.01.2008)

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