Primadonna assoluta in Kreiskys Team

HERTHA FIRNBERG. Zum 100. Geburtstag der Frauenrechtlerin und Schöpferin des Wissenschaftsministeriums.

Erst als sie ging, erkannten die Österreicher, was sie an ihr hatten: So viel der Lobreden angesichts ihres Todes 1994 wären selbst ihr zu viel gewesen, obwohl Hertha Firnberg Eitelkeit nicht fremd war. Am 18. September wäre die ehemalige SPÖ-Frauenvorsitzende und Schöpferin des Wissenschaftsministeriums hundert Jahre alt.

Sie war eine Dame, auch wenn die Marxistinnen auf dieses Attribut überhaupt keinen Wert legten; sie wusste sich zu kleiden und pflegte ihren weiblichen Tick, allmorgendlich die Friseuse zu bemühen; sie war blitzgescheit und in der Analyse schneller als viele ihrer Genossen auf der Ministerbank; und sie war gefürchtet wie ihr geliebter Mops „Andi“. Natürlich kein x-beliebiger, sondern ein preisgekrönter.

Bruno Kreisky, dieser erfolgsverwöhnte Star einer ganzen Ära, respektierte sie und hütete sich, sie zu reizen. Einmal tat er es doch – und Firnberg hat es ihm lange nicht verziehen. Als Vizekanzler Hannes Androsch Ende 1980 verstoßen wurde, rechnete die Ministerin insgeheim mit der Rangerhöhung. Doch der um eineinhalb Jahre jüngere Kreisky brummte lediglich: „Alt bin i selber.“ Und Fred Sinowatz sprang aus der Wundertüte.

Dass Kreiskys böse Bemerkung publik wurde, hat Hertha Firnberg nicht nur geärgert. Sie war empört. Nur in ihren feinen Nuancen konnte das der aufmerksame Interviewer bemerken: „Ich war sehr lange sehr gut mit Kreisky.“ Das saß. Und man verstand. Wie eine ältere Schwester fühlte sie sich bis dahin, aber dass Kreisky seinen früheren Lieblingssohn „mit einem Fußtritt“ fortjagte – da rebellierte ihr Gerechtigkeitssinn. „Für sie war das eine politische Tötung“, meinte einmal Otto Schulmeister.

Ihr Charme hatte Krallen

Aus der Ära Kreisky ragt ihr Name herüber in unsere Zeit. Außer Androsch und Broda sind die Namen des Regierungsteams verweht. Unter Umständen erinnert man sich auch noch an Lütgendorf, aber das hat eine andere Qualität. Der wütende Polemiker Thomas Bernhard mag sie nicht gekannt haben, sonst hätte er nicht in „Meine Preise“ über sie so geurteilt: „. . . die Ministerin schnarchte, wenn auch sehr leise [. . .] die Ministerin . . . fragte mit unnachahmlicher Arroganz und Dummheit in der Stimme: ja, wo ist denn der Dichterling?“



„Alt bin i selber . . .“

Bruno Kreisky

„Ich war sehr lange sehr gut mit Kreisky. . .“

Hertha Firnberg

Freilich: Die erste Frau an der Spitze eines Ministeriums war sie nicht. Das war die VP-Sozialministerin Grete Rehor. Aber das Aufsprengen des Rollenklischees gelang erst Hertha Firnberg. Sie schuf aus einer Sektion des Unterrichts- und Kulturressorts das heutige Wissenschaftsministerium. Und sie verstörte mit ihrer Universitätsreform die akademische Lehrerschaft zutiefst. Professoren, Mittelbau und Studenten in Drittelparität – ein Sturm der Entrüstung brandete über die toupierte Haarpracht –, Firnberg hielt eisern Kurs. Sie förderte die Künste und den Denkmalschutz, für Norbert Leser, den verkannten Parteiphilosophen, schuf sie den ersten Politologie-Lehrstuhl in Österreich. Der revanchierte sich in einer Geburtstagseloge, den die „Arbeiter-Zeitung“ abdruckte: „Erst seit dem Wirken Hertha Firnbergs kann man in Österreich eigentlich von einer zielvollen und modernen Forschungspolitik sprechen . . .“

Und da sie Gunst und Pfründe, Ehren und Honorare zu verteilen hatte, arrangierte sich die akademische Welt bald mit der Lady. Die Frauenrechtlerinnen Cheryl Benard und Edit Schlaffer schilderten auf amüsante Weise die servilen Professoren: „Magnethaft werden sie angezogen, bilden einen Kreis und verneigen sich japanisch tief vor ihrer 1,60 Meter großen Kontrahentin . . .“ Die Grazer Uni machte sie zur Ehrensenatorin – gegen die Stimmen der Professoren; die Hochschule für angewandte Kunst (Oswald Oberhuber) gar zum Ehrenmitglied. Diese Würde war bis dahin nur Künstlern vorbehalten. Und die Klagenfurter machte sie gleich zum Ehrendoktor.

Sie alterte zwar in Würde, aber was zu viel war, war zu viel: Der „Presse“-Karikaturist „Ironimus“ zeichnete sie stets mit stark faltigem Gesicht. Bei einem Empfang im Kanzleramt stürzte sich die Dame empört auf Gustav Peichl: „Sie sind schuld! Gestern haben in Graz die Studenten gerufen: ,Das Faltengebirge kommt!'“

Aus „gutem Hause“

Hertha Firnberg war die Tochter eines Wiener sozialdemokratischen Ehepaares, der Vater hatte als Arzt im niederösterreichischen Niederrußbach seine Ordination. Sie war die Älteste mit drei Geschwistern. Schon vor der Inskription in Wien war Hertha bei den Sozialistischen Studenten. Sie absolvierte Wirtschafts- und Sozialgeschichte, weil ihr der Professor in Jus keine Chance ließ: Frauen fielen bei ihm durch. Prinzipiell.

Sie promovierte 1936 mit einer Arbeit über „Lohnarbeit und freie Lohnarbeiter im Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit“, hielt während des NS-Regimes still und brachte sich mit Nachhilfestunden und als freie Wirtschaftsjournalistin über die Runden. Von 1941 bis 1945 arbeitete sie für „Chic Parisienne“, einen führenden Modeverlag. Ihre spätere Vorliebe für elegante Kleidung und stilsicheres Ambiente rührte aus dieser Zeit. Nie wäre sie auf die Idee gekommen, die barocke Einrichtung des Unterrichtsministeriums durch alberne „heutige“ Möblierung zu verhöhnen.

Als Expertin half Hertha Firnberg nach dem Krieg, die niederösterreichische Arbeiterkammer wiederaufzubauen. Sie war bald leitende Sekretärin und publizierte gern und ausgiebig wissenschaftlich. Die SPÖ Favoriten wurde ihre politische Heimat, 1963 zog sie in den Nationalrat ein. Bildung, Wissenschaft, Forschung galt ihr Hauptaugenmerk.

Die „Fristenlösung“

Dazu kam 1967 die Frauenpolitik. Sie beerbte Rosa Jochmann als SPÖ-Frauenvorsitzende – und sah sich damit im Schussfeld widerstreitender Ideologien. Denn die sozialistischen Frauen drängten schon lange auf die Abschaffung des § 144 im Strafgesetzbuch, der Abtreibungen unter Freiheitsstrafe stellte. Firnberg sah im Kampf gegen Unterdrückung und Diskriminierung der Geschlechtsgenossinnen nie eine Frontstellung gegen die Männer, auch wenn manche ihrer Weggefährtinnen davon beseelt waren. „Der Standpunkt der sozialistischen Frauen war immer, dass Mutterschaft eine soziale Leistung ist“, sagte sie im April 1972 dem Parteiorgan „Arbeiter-Zeitung“. Und dabei soll man bleiben. Ich würde daher die Formulierung ,Recht auf den eigenen Körper', ,Mein Bauch gehört mir' in dieser Form ablehnen.“



„Heinz Fischer ist hervorragend.
Er war ja auch mein Wunschkandidat als Nachfolger.“

Hertha Firnberg

Dennoch: Eine vernünftige Lösung des Problems, das ja nicht zu leugnen war, musste gefunden werden. Das forderten die SPÖ-Frauen gebieterisch, nachdem nun die Partei mit absoluter Mehrheit an der Macht war. Am Vorabend des Bundesparteitags in Villach überrumpelten die weiblichen Delegierten gemeinsam mit Justizminister Broda den zögernden SPÖ-Chef Kreisky mit der „Fristenlösung“. „Flankierende Maßnahmen“ sollten dafür sorgen, dass es gar nicht erst zu einer (nun bis zum dritten Schwangerschaftsmonat straffreien) Abtreibung komme. Darauf bestand Kreisky. Der zweite Teil dieser Abmachung ist bis heute nur unzureichend erfüllt.

Kreisky wusste, dass er damit den fragilen Frieden mit den christlichen Kirchen aufs Spiel setzte. Die engagierte Parlamentsdiskussion zwischen dem VP-Justizsprecher Walter Hauser und Christian Broda zählt heute noch zu den Sternstunden des heimischen Parlamentarismus. Die Amtskirche selbst und das katholische Aktivelement hingegen waren bereits so geschwächt, dass die Fristenlösung geltendes Gesetz – und von keiner Partei mehr infrage gestellt wurde.

Im Savoyschen Damenstift

Als Bruno Kreisky 1983 nach dem Verlust der absoluten Mehrheit vom Amt zurücktrat, schied auch seine „ältere Schwester“ aus allen Ämtern. Sie zog sich nicht nach Favoriten zurück, sondern bezog eine kleine gediegene Wohnung in der Johannesgasse, im Innenhof eines Palais, das einst das Savoysche Damenstift beherbergte. Die Schwester führte ihr den Haushalt. Und sie pflegte ihre Passionen, das Reisen und die Archäologie. Zu Ephesos hatte sie schon als Ressortchefin eine enge Beziehung, die sie nun ausbauen konnte. Sie freute sich, auf den Straßen der Innenstadt erkannt und gegrüßt zu werden. Doch ganz ohne Ironie ging es bei ihr nicht ab: „Die meinen wohl eher meinen Mops.“ Am 14. Februar 1994 ist Hertha Firnberg gestorben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.09.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.