Wie Eichmann vom Österreicher zum Deutschen wurde

Adolf Eichmann wuchs in Linz auf. Viele seiner wichtigsten Helfer bei der Judenvernichtung waren ebenfalls Österreicher. Kurz vor Prozessbeginn war das Innenministerium in Wien deshalb eifrig bemüht, Eichmann die Staatsbürgerschaft gleichsam noch nachträglich abzuerkennen.

Die österreichische Politik war nicht gerade erfreut, als Eichmann 1960 in Buenos Aires gefasst und nach Jerusalem geflogen wurde. Der damalige Innenminister Josef Afritsch rief Leo Maier (später Leo Frank), einen Beamten der Kriminalpolizei, in sein Ministerium. Afritsch hatte ein besonderes Anliegen: „Ich brauch von Ihnen einen Bericht, dass der Eichmann deutscher Staatsbürger ist“, soll der Sozialdemokrat verlangt haben. „Weil wenn der als Österreicher verurteilt wird, dann zahlen wir uns mit den Wiedergutmachungen deppert. Bei dem Prozess hängen sich eine Menge Opferverbände mit Forderungen an, verstehn S'?“

Maier verstand. Er machte sich auf den Weg nach Linz, Eichmanns Heimatstadt, um dort nach Dokumenten zu suchen. Sie sollten die deutsche Nationalität des ehemaligen SS-Obersturmbannführers beweisen. Aber da war nichts, Eichmann schien in allen Dokumenten als Österreicher auf.

Er war zwar in Deutschland geboren, seine Familie übersiedelte aber nach Linz, als Eichmann im Volksschulalter war. „Laut dem Staatsbürgerschaftsgesetz von 1918 reichte ein ordentlicher Wohnsitz innerhalb der Landesgrenzen aus, um die österreichische Staatsbürgerschaft zu erhalten“, erklärt der Dozent am Institut für Zeitgeschichte und Eichmann-Experte Hans Safrian. Und wenn Eichmanns Vater Österreicher war, dann war es auch sein minderjähriger Sohn.

Schließlich hatte Maier doch noch eine Idee, wie man Eichmann endgültig aus der Republik entfernen könnte. Eichmann war 1933 zur „Österreichischen Legion“ in Bayern gegangen. Dem Gesetz nach wurde Österreichern, die einem militärischen Verband im Ausland beitraten, die Staatsbürgerschaft entzogen. Maiers Vorschlag, diese Regelung rückwirkend anzuwenden, nahm Innenminister Afritsch dankbar an.

„Wiener Modell“ als Vorbild. Wie Eichmann selbst war auch ein Großteil seiner Mitarbeiter Österreicher. Der SS-Mann gründete 1938 die „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ in Wien, wo er auch seine Mitarbeiter rekrutierte. Das „Wiener Modell“ gefiel den Nationalsozialisten so gut, dass es bald als Vorbild galt. „Die ,erfolgreichsten Judenjäger‘ waren die Männer um Alois Brunner“, sagt Safrian. „Überall, wo die Deportation gestockt hat, wurden Brunner und seine Leute hingeschickt, um zu machen, was sie in Wien schon gemacht hatten: Juden deportieren.“

Nach Kriegsende floh Brunner nach Syrien, aber der Kontakt nach Österreich riss nie ganz ab. Brunner stand bis in die 1990er-Jahre mit Firmen in Österreich und Deutschland in Verbindung. 1999 verbreitete sich das Gerücht, er sei bereits 1996 in Damaskus verstorben. Österreich setzte erst 2007 eine Belohnung auf Hinweise zu Brunner aus. 50.000 Euro war dem Justizministerium die Ausforschung wert.

Für den Auftrag, den der Kriminalpolizist Maier Anfang der 1960er übernommen hatte, war offiziell keine Belohnung ausgesetzt. Zum Dank bekam er Geld vom Ministerium. Außerdem durfte er als österreichischer Prozessbeobachter nach Jerusalem fahren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2011)

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