"Profit machen, aber nicht nur für mich"

Nicole Brandes
Nicole Brandes(c) Guenther Peroutka
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Businesscoach Nicole Brandes riet beim Karriere-Event Hofer4Excellence künftigen Führungskräften, trotz aller Digitalisierung die menschlichen Beziehungen nicht aus den Augen zu verlieren.

Die Erwartungen an Führungskräfte sind hoch. Das weiß Nicole Brandes aus eigener Erfahrung. 15 Jahre lang war sie in den Chefetagen von Konzernen wie Bank Leu, UBS und Swissair. Heute ist die Schweizerin als Businesscoach tätig und geht der Frage nach, was Manager wie Leader zukunftsstark macht und wie sie magnetische Anziehungskraft entwickeln können, damit Menschen ihnen folgen, weil sie wollen und nicht, weil sie müssen. „Wir können Hightech nur mit Hightouch begegnen“, sagt sie. Beim Karriere-Event Hofer4Excellence hielt sie die Keynote zu Thema „Leadership 4.0 – Helden im digitalen Tornado“. Eine Bildergalerie zum Event finden Sie hier.

„Die Presse“: Nicole Brandes, eine Ihrer zentralen Aussagen lautet: „Im Zeitalter des Digitalen wird das Analoge zum Treibstoff der Zukunft.“ Wie ist das zu verstehen?

Zur Person

Nicole Brandes: Wir können alles digitalisieren. Roboter können sogar alte Menschen pflegen. Wir haben Roboter, die Leute verheiraten, Roboter für einsame Herzen. Und die künstliche Intelligenz wird immer empathischer – das ist faszinierend. Aber: Der Mensch ist ein soziales Wesen, ein Herdentier. Es gibt eine Langzeitstudie der Harvard University, in der danach geforscht wurde: Was braucht der Mensch zum Glücklichsein? Was dabei herausgekommen ist: Beziehungen. Wir können alles digitalisieren, nur nicht Beziehungen.Nicole Brandes. Die Schweizerin ist international gefragter Managementcoach, Buchautorin und gilt als wichtige Vordenkerin Europas. Mehr als 15 Jahre arbeitete sie in den Führungsetagen von Konzernen wie Swissair, UBS und Bank Leu. Als sie 1998 beim Flugzeugunglück in Halifax, bei dem 229 Menschen ums Leben kamen, vor Ort Hilfe leistete, wurde ihr klar, dass der Mensch die oberste Priorität für erfolgreiche Führung hat. Seither vertritt sie den menschlichen Aspekt, erst recht im digitalen Zeitalter.

Digitalisiert werden vor allem Tätigkeiten, die wir heute in unserer Arbeitszeit erledigen. Wenn alles, was Arbeit ist, digitalisiert ist, werden wir dann mehr Freizeit haben?

Es ist Realität, dass wir sehr Vieles automatisieren. Im Unterschied zu Maschinen haben die Menschen einen common sense, also gesunden Menschenverstand. Roboter wissen nicht, dass Wasser nass ist. Roboter können nicht unterscheiden, was für mich als Person bedeutungsvoll ist: Wenn mein Haus niederbrennt , kann der Roboter nicht sagen, welche Fotos, welche Gegenstände für mich wertvoll sind. Trotzdem stellt sich die Frage: Was machen wir in der Zeit, in der wir nicht arbeiten. Der Mensch muss etwas schaffen, das für ihn einen Sinn hat. Ich studiere derzeit Viktor Frankl, der gezeigt hat, dass Menschen auch unter krassesten Bedingungen wie Gefangenschaft etwas Kreatives schaffen wollen. Der Mensch kann nicht sein ohne Tun, ohne etwas zu schaffen.

Nicole Brandes im Gespräch mit "Presse"-Redakteur Michael Köttritsch.
Nicole Brandes im Gespräch mit "Presse"-Redakteur Michael Köttritsch.(c) Guenther Peroutka

Der Sinn des Lebens, sagen Sie, bestehe aber nicht darin, die Effizienz immer weiter zu steigern, sondern darin, zu wachsen und zu einem größeren Ganz beizutragen. Wie sagen wir das dem Mitbewerb, der uns zu immer höherer Effizienz zwingt, um konkurrenzfähig zu bleiben?

Da muss man sein eigenes Ding durchziehen. Niemand ist für seine Konkurrenten verantwortlich. Und es gelingt vielen Unternehmen ja, sehr profitabel zu sein und eine Mission zu verfolgen, um der Menschheit etwas Gutes zu tun. Immer mehr junge Leute sind auf dieser Schiene und nehmen Vorbildfunktion ein. Das muss nicht notwendigerweise Social Entrepreneurship sein. Sondern diese jungen Leute sagen: Ich setze mich für das große Ganze ein. Ich mache Profit, aber nicht nur für mich.

Was brauchen junge Menschen, um im „digitalen Tornado“, wie Sie ihn nennen, bestehen zu können?

Viele der Jungen werden zu Jobhoppern werden und sich aussuchen können, wo sie mitarbeiten wollen, welche Projekte sie interessieren – sie werden zu Business Surfern werden. Sie werden weniger Chefs und mehr Kunden haben. Das braucht eine hohe Fachexpertise. Auf der anderen Seite müssen sie immer flexibler werden, weil sie nicht wissen, wo die Reise hingeht. Es tun sich unglaublich viele Möglichkeiten auf, weil wir all diese Technologien haben. Umgekehrt sind sie überschwemmt mit Daten: Wir brauchen Menschen, die Kontext daraus schaffen können. Durch diese unendlichen Weiten an Möglichkeiten brauchen Junge Orientierung und Zugehörigkeit und einen Sinn mit dem sie sich identifizieren können. Früher wurden wir in Gemeinschaften geboren und mussten unser Individualität suchen. Heute werden wir als Individuum geboren und müssen unsere Gemeinschaft suchen.

Müssen also alle programmieren können oder braucht es doch mehr humanistische, interkulturelle Bildung?

Es braucht eine stärkere humanistische Ausbildung. Nicht nur, dass wir die Menschen besser verstehen, sondern dass wir mehr spielen, schauspielen, musizieren und mehr experimentieren. Unser Hirn ist so verdrahtet, dass wir tendenziell keine Risiken eingehen und nicht experimentieren. Aber wir brauchen den Mut zum Experimentieren. Daneben ist auch das Coding wichtig. Nicht um zu programmieren, sondern um eine andere Perspektive einzunehmen und anders zu denken.

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