Acht Sekunden Aufmerksamkeit

Petra Winkler
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Generation Goldfisch. Im Jahr 2000 konnte sich der Durchschnittsmensch zwölf Sekunden lang konzentrieren. 2016 waren es noch acht Sekunden. Ein Goldfisch schafft neun.

Vor zwei Jahren ging ein flapsiger Vergleich durch die Medien: Goldfische haben neun Sekunden Aufmerksamkeitsspanne, Menschen nur mehr acht (im Jahr 2000 waren es noch zwölf). Dieser Tage wurde die Ehre der Goldfische wiederhergestellt. Sie können sich länger konzentrieren, wenn es ihnen wichtig ist.

Was ist mit der Ehre des Menschen? Und wenn schon unsere Aufmerksamkeitsspanne tatsächlich sinkt, was folgt daraus für Lernen und Wissenserwerb?

Wolfgang Mayrhofer, Leiter des WU-Instituts für Verhaltenswissenschaftlich Orientiertes Management, muss erst seine Spontanassoziation von Fluglotsen mit achtsekündiger Aufmerksamkeitsspanne abschütteln. Das bestärke ihn nur, insistiert er, dass die Wirtschaft von ihren Erwartungen an die menschliche Konzentrationsfähigkeit nicht abrücken dürfe. Deshalb werde er seinen Master-Kandidaten weiterhin 1000-seitige Wälzer abverlangen.

„Du bist der Hero!“

Jedoch, merkt Mayrhofer an, als „nicht intendierte Nebenwirkung“ des Goldfisch-Phänomens bereiteten Professoren den Lernstoff für ihre Studenten neu auf. Ellenlange Powerpoint-Vorträge mit ein paar illustrierenden Skizzen an der Tafel gebe es schon lange nicht mehr. Bereits die Nullerjahre gehörten dem „MTV-Teaching“, Infoclips in der Länge eines Songs, als Belohnung für braves Zuhören.

Seit den Zehnerjahren nütze auch die Universität alle Kanäle und alle Medien, abgestimmt auf die verschiedenen Lerntypen, visuell oder akustisch; motorisch ist an der WU eher selten. Gamification werde viel diskutiert, Stoffdarbietung in spielerischem Gewand, mit Emojis, „Bumm!“ und „Du bist der Hero!“. Für BWL-Theorien sei das nicht ganz so geeignet. Also doch lieber 1000 Seiten Stoff.

Astrid Kleinhans, Geschäftsführerin der Executive Academy, verwendet Techniken, die sich auch auf Wissensvermittlung im Unternehmen übertragen lassen. Kleinhans' Klienten sind Manager, die einen MBA absolvieren oder an einem Firmentraining teilnehmen. Nicht immer freiwillig, weshalb sie zuerst eine von außen aufgedrückte Zwangsmotivation in eine intrinsische umwandelt. Weiß jemand, wofür er etwas tut, konzentriert er sich mehr. Kleinhans lässt die Manager vorab Fragen beantworten wie „Wie hilft mir das Thema bei meiner Entwicklung?“ oder „Was möchte ich mitnehmen?“, handschriftlich in einem eigens bereitgestellten papierenen „Learning Journal“. Wer Ziele eigenhändig aufschreibt („Meins!“), fühlt sich daran gebunden.

Häppchenweise

Verflüchtigt sich die Aufmerksamkeit während einer Vorlesung (funktioniert auch bei Präsentationen), wecken kleine Aufgaben wieder auf. Oder zwei Sitznachbarn sollen sich austauschen – man tut etwas und ist wieder munter. Die Taktik heißt Nudging: nette kleine „Schubser“ in die erwünschte Richtung, ein spielerischer Wettbewerb hier („Komm' unter die Top Ten“), ein visualisierter Lernfortschritt da (grüner Balken wandert nach rechts).

Oft sträuben sich Mitarbeiter, lange, sperrige Infos zu lesen (siehe DSGVO). Kleinhans' Methode: Wöchentliche kurze Lernimpulse (lernen), zwei Tage später im Forum Fragen dazu beantworten (anwenden), die Antworten der Kollegen kommentieren (Interaktion) und die Kommentare der anderen verfolgen (neuerliche Beschäftigung mit der Materie). Die Lernimpulse müssen jedes Mal über einen anderen Kanal kommen, als Mail, Clip oder Anruf, über die Whats-App-Gruppe oder die Onlineplattform, sonst stumpft man ab.

Am Ende jeder Einheit kommt wieder das „Learning Journal“ an die Reihe. Dann heißt es „Was hat mich überrascht?“ (emotionale Verknüpfung) oder „Was davon kann ich im Arbeitsalltag anwenden?“ (Umsetzung in die Praxis).

In Finnland täten sich Schüler damit schon schwer. Dort lernen sie nicht mehr schreiben, nur mehr tippen. Schlecht fürs Merken: Getippte Inhalte sind flüchtig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.07.2018)

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