Serie „Verhandeln wie ein Profi“ (2/7). Bevor Sie in eine Verhandlung gehen, brauchen Sie Klarheit zu sechs Fragen.
Ihr Gegenüber und seine Abhängigkeiten
Niemand entscheidet frei. Hinter einem Firmeneinkäufer stehen seine Einsparungsziele, hinter einem Hauskäufer die Wünsche seiner Familie, hinter einem Betriebsrat die Forderungen seiner Wähler. Oft kann man danach ganz einfach fragen: „Gibt es noch andere Interessen, die wir berücksichtigen sollten?“ Was sind „Pain“ und „Gain“, also Schmerz und Nutzen Ihres Partners?
Eine frei sprudelnde Auskunftsquelle sind auch die sozialen Netzwerke. Sie verraten viel über eine Person, z.B. ihre Hobbys und Vorlieben, die ein wunderbares Einstiegsthema für freunbdlichen Smalltalk bieten.
Verhandlungsumfeld
Wer ist auf Ihrer Seite und auf der Ihres Gegenübers noch am Verhandlungsergebnis interessiert? Legen Sie ein Profil der wichtigsten Personen an. Welchen Einfluss haben sie? Wie stehen sie zu Ihnen (Sympathie/Antipathie)? Was bedeutet ihnen ein Verhandlungserfolg, eine Niederlage? Wer könnte Sie unterstützen?
Ihr Ziel
Die wenigsten Menschen formulieren konkrete Ziele. Sie sagen „ich will mehr verdienen“ statt „x Euro mehr“. Gute Ziele sind spezifisch, messbar, realistisch und terminisiert. Man kann einen Zielpunkt anstreben („ich will 2000 Euro ausgeben“) oder einen Zielkorridor (von-bis). Das sind Sachziele. Daneben gibt es noch Beziehungs- und Prozessziele. Bedenken Sie auch den Faktor Zeit. Beim FBI gab schon so mancher Geiselnehmer auf, weil er müde war oder hungrig – oder weil er keine Zigaretten mehr hatte.
Tipp: Versuchen Sie immer, die Agenda vorzugeben. Dann bestimmen Sie, welche Themen besprochen werden und welche nicht. Lässt sich Ihr Gegenüber das nicht aus der Hand nehmen, lassen Sie sich die Agenda schicken und retournieren sie überarbeitet und mit Ihren Prioritäten.
Ausstiegsszenario
Was tun Sie, wenn Sie Ihr Ziel nicht erreichen können? Oft ist es besser, eine Verhandlung abzubrechen als einer schlechten Lösung zuzustimmen. In der Fachsprache heißt das BATNA, Best Alternative to a Negotiated Agreement. Bereiten Sie eine oder mehrere BATNAS vor.
Forderungen
Was zu leicht erreicht wird, fühlt sich nicht an wie ein Sieg. Deshalb bereiten Profis 15 verschiedene Forderungen vor, die sie nach Bedarf einsetzen. Es gibt harte, weiche und Dummy-Forderungen. Die harten sind die wichtigen. Bei den weichen sind sie konzessionsbereit. Die Dummys sind nur Nebelkerzen, mit denen sie ihre wahren Ziele verschleiern.
Team
Ein Verhandlungsteam besteht aus drei Rollen.
- Der Verhandlungssteuernde führt die Verhandlung, begrüßt, gibt die Agenda vor und erteilt seinem Verhandlungsführer das Wort.
- Der Verhandlungsführer redet zwar am meisten, ist aber nicht der Boss. Er kann sogar ausgetauscht werden.
- Der wahre Entscheider sitzt gar nicht am Tisch. Seine Aufgabe ist, mit seinem Pendant auf der gegnerischen Seite eine Beziehung aufzubauen, über die schlimmstenfalls deeskaliert werden kann.
- Ein Verhandlungsteam kann außerdem Experten, Beobachter und Protokollanten umfassen. Doch Vorsicht: Jede zusätzliche Person ist eine zusätzliche Fehlerquelle.
Mentale Vorbereitung
Schirennläufer fahren vor dem Start noch einmal in Gedanken die Piste ab, stellen sich vor, wie sie die Hindernisse nehmen und am Ende am Siegerstockerl jubeln. Genauso gehen Profi-Verhandler vor. Mental vorbereitet zu sein gibt Sicherheit und verhindert Stressmechanismen wie Fluchtreflexe. Stellen Sie sich genau vor, wie Sie auftreten werden, wie Sie die Verhandlung gestalten, wie Sie sich dabei fühlen, wie Sie Beziehung aufbauen, Einwände bearbeiten, durch Fragen führen, Forderungen durchbringen – und am Ende das beste Ergebnis heimfahren.
Psychologie
Laut FBI macht der „Psy-Faktor“ 70 bis 75 Prozent des Erfolges aus. Ein Mitarbeiter fürchtet sich, seinen Chef um mehr Geld zu bitten. Ein Start-up zittert vor dem Pitch bei einem Investor. Warum eigentlich? Chefs und Investorgen halten sich meist nicht für übermächtig. Die einen brauchen gute Mitarbeiter, die anderen frische Innovationen. Das Zauberwort lautet: Augenhöhe.
Morgen: Profiling für Beginner
Die Anregungen zu dieser Serie stammen aus dem Buch von Thorsten Hofmann, „Das FBI Prinzip“.