Vier Szenarien für den Arbeitsmarkt

Es ist eine wirklich dicke Studie des Prüfungs- und Beratungsunternehmens EY, die dieser Tage auf dem Schreibtisch landete. “What if employment as we know today disappears tomorrow?” ist ihr Titel.

Sukkus der Studie: Fixe Zukunftsprognosen für die deutschsprachigen Arbeitsmärkte (die Studie behandelt Deutschland, Österreich und die Schweiz) wären unseriös. Schon angesichts von zehn großen Unsicherheiten, die einander wechselseitig beeinflussen.

Daher untersucht die Studie vier Szenarien, jedes für sich realistisch. Keines ist wirklich lustig.

  • Basisszenario 1: Beschäftigungsrückgang in Industrie führt zu Zuzug in Städte – bis 2030 fällt ein Viertel der Stellen in klassischen Fertigungsbetrieben weg.
  • Szenario 2 „Regional Technology Hubs“: Unternehmen organisieren sich in Clustern – Anstieg digitaler Kompetenzen schafft Jobs in Finanz- und IT-Sektor.
  • Szenario 3 „Hyper Productivity“: Ebbe an digitalen Kompetenzen forciert Produktivität – wenig Verschiebungen am Arbeitsmarkt.
  • Szenario 4 „Dispersed Talent“: Stärkste Erschütterung des Arbeitsmarkts durch Anstieg an digitalen Kompetenzen – starkes Beschäftigungswachstum.

Allen Szenarien gemeinsam ist die Erkenntnis fundamentaler Verschiebungen auf dem Arbeitsmarkt, auf die die Beschäftigten vorbereitet werden müssen. Großer Gewinner ist immer die IT.

Dabei ist Österreich im EU-Vergleich gar nicht so schlecht unterwegs. Im aktuellen Digital Economy and Society Index (DESI) der Europäischen Kommission belegt es mit einem Score von 0,57 den zehnten Platz knapp vor Deutschland. Bei den E-Government-Vorreitern findet es sich gar unter den Top 5. Und Österreich bringt EU-weit jährlich die viertmeisten Absolventen in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) hervor.

Aufholbedarf hingegen herrscht bei der Nutzung digitaler Angebote sowie beim Zugang zu IT-Technologien. Der Zugang zu Breitband-Internet ist nach wie vor unter dem EU- und OECD-Schnitt. Die Investitionen in Technologien liegen in Österreich laut einer WIFO-Studie aus dem Jahr 2016 bei rund 100 Euro pro Kopf. In der Schweiz wird rund das Fünffache investiert.

Zwischenbilanz: Der Arbeitsmarkt in Österreich ist im Wandel. Doch wie wirkt sich dieser Wandel konkret aus? Welche Branchen profitieren und wo ist mit Stellenabbau zu rechnen? Und wie ändert sich der Wirtschaftsstandort dadurch?

Diesen Fragen ging EY in den vier Szenarien bis 2030 nach. Berücksichtigt wurden Faktoren wie der Anteil am Bruttoinlandsprodukt, das Pro-Kopf-Einkommen, Export sowie die Verfügbarkeit natürlicher Ressourcen.

Basisszenario 1: Beschäftigungsrückgang in Industrie führt zu Zuzug in Städte

Das Basisszenario geht von einer Fortführung des Status Quo ohne große Sprünge aus. Der technologische Fortschritt wird im gleichen Tempo wie in den vergangenen 20 Jahren umgesetzt, das Wirtschaftswachstum bis 2030 beträgt durchschnittlich zwei Prozent.

In diesem Szenario gibt es die geringsten Verschiebungen auf dem Arbeitsmarkt. Zu den Verlierern gehören klassische Fertigungsbereiche wie die Industrie, wo bis 2030 rund ein Viertel der Stellen und somit in Österreich 155.000 Arbeitsplätze wegfallen würden.

Ein Beschäftigungswachstum gibt es in Branchen, in denen es viele Mitarbeiter mit hohen digitalen Kompetenzen braucht, allen voran IT und Finance. Die Zahl der Arbeitsplätze im IT-Bereich steigt deutlich um 38.000 auf insgesamt 106.000 an, im Finanzbereich wird von Zuwächsen um 18.000 auf 148.000 Stellen ausgegangen. Diese Verschiebung führt dazu, dass Arbeitsplätze in traditionellen ländlichen Produktionsbetrieben verloren gehen und sich immer mehr Beschäftigte in Städten wie Wien, Salzburg und Graz ansiedeln. Die Folge ist ein wachsendes Stadt-Land-Gefälle. Der Arbeitsmarkt schrumpft bis 2030 um 2,8 Prozent.

Szenario 2 „Regional Technology Hubs“: Unternehmen organisieren sich in Clustern

Im Szenario „Regional Technology Hubs“ siedeln sich heimische Unternehmen in Clustern an, nutzen gemeinsam Synergien und bündeln ihre Talente-Pools. Der gleichzeitige Ausbau von digitalen Kompetenzen bei Arbeitnehmern sorgt dafür, dass es ausreichend ausgebildete Fachkräfte für viele hochqualifizierte Stellen gibt.

In diesem Szenario sind die Verschiebungen noch größer. Das führt zu einem erheblichen Zuwachs an Jobs in Branchen, in denen digitale Kompetenzen gefragt sind, allen voran die Finanzbranche – plus 94.000 Stellen bis 2030 –, der IT-Sektor – plus 48.000 – und die chemische Industrie inklusive Life Sciences – plus 29.000 Stellen. Großer Verlierer ist auch bei diesem Szenario die Industrie, insbesondere der Automobilsektor mit einem Minus von 20.000 Arbeitsplätzen.

Die zentralen Voraussetzungen für das Eintreten dieses Szenarios sind digitale Bildung und Arbeitskosten. Da die Produktivität steigt, steigen auch die Löhne. Das führt zu einem Spiraleffekt. Produktive Unternehmen haben zunehmend einfacheren Zugang zu qualifizierten Fachkräften, für Betriebe mit weniger Produktivität wird das immer schwieriger. Diese Betriebe sind daher gezwungen, die Automatisierung noch stärker voranzutreiben.

Daraus resultiert eine noch stärkere Urbanisierung der Arbeit: In Wien und Umgebung, wo stark wachsende Bereiche wie IT, Finanz oder Medien und Unterhaltung hauptsächlich beheimatet sind, entsteht ein Großteil der neuen Jobs. So sind bereits jetzt mehr als 8.000 heimische oder internationale IT-Unternehmen (75 Prozent) im Großraum Wien angesiedelt. Auch Tirol, Oberösterreich und Niederösterreich profitieren von Clustern. Verluste an Arbeitsplatzen sind hingegen vor allem in Oberösterreich und der Steiermark zu erwarten, da dort fast drei Viertel der Jobs der schrumpfenden Automobilindustrie angesiedelt sind.

Szenario 3 „Hyper Productivity“: Ebbe an digitalen Kompetenzen forciert Produktivität

Ein anderes Bild zeichnet das Szenario „Hyper Productivity“. Es geht von einer sehr ähnlichen Entwicklung wie Szenario 2 aus – mit einem großen Unterschied: Hier steigen die digitalen Kompetenzen in Österreich schwächer. Das führt zu einem verschärften Kampf um qualifizierte Mitarbeiter und resultiert in einem Lohnanstieg bei gleichzeitig geringem Beschäftigungswachstum.

Jene Unternehmen, die im „War for Talent“ unterlegen sind, müssen stärker automatisieren. Die Verschiebung der Beschäftigung von Sektoren wie der Industrie in Richtung IT fällt hier deutlich schwächer aus als im Szenario 2. Die Anzahl der Stellen in diesem Bereich steigt bis 2030 nur um 29.000 auf 97.000. Auch in anderen Boombranchen wie der chemischen Industrie (plus 21.000) oder der Finanzwirtschaft (plus 18.000) fällt der Stellenzuwachs deutlich geringer aus als bei anderen Szenarien. In der Industrie fallen zwar immer noch die meisten Jobs weg, vergleichsweise aber signifikant weniger. Daher fällt der Zuzug in die Städte deutlich schwächer aus, stark industrie-lastige Bundesländer wie Oberösterreich und die Steiermark verlieren weniger Jobs.

Szenario 4 „Dispersed Talent“: Stärkste Erschütterung des Arbeitsmarkts durch digitale Kompetenzen

Die stärksten Verschiebungen auf dem Arbeitsmarkt werden im Szenario „Dispersed Talent“ angenommen. Hier siedeln sich Unternehmen nicht wie in den beiden vorangegangenen Szenarien in Clustern an. Die digitalen Kompetenzen und damit die Anzahl der gut ausgebildeten Mitarbeiter steigen erheblich. Aufgrund des großen Pools an Fachkräften sind weniger Produktivitätssteigerungen durch Automatisierung notwendig. Voraussetzung ist eine starke Weiterentwicklung des österreichischen Bildungssystems.

In diesem Szenario gibt es das stärkste Beschäftigungswachstum im Finanz- und IT-Bereich mit einem Zuwachs von 94.000 Stellen auf 224.000 bzw. 60.000 Stellen auf 128.000. Die Automobilindustrie verzeichnet in diesem Szenario den größten Rückgang um 22.000 (56 Prozent) auf 17.000 Stellen.

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