Start-ups

Scheitern als Teil der Ausbildung?

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79 von 100 Gründungen scheitern. Darf man die Förder- und Investitionssummen, die sie damit verbrennen, als Ausbildungsgeld werten? Die Diskussion ist eröffnet.

Wer vor 20 Jahren vorhatte, einmal zu gründen, ging nach Studienabschluss schnurstracks in eine der großen Beratungen, Boston Consulting etwa oder McKinsey. Dort butterte er viel Kraft und Energie hinein, opferte Privatleben und Freizeit, verdiente aber wirklich gut. Ins Unternehmertum startete er, wenn drei Bedingungen erfüllt waren. Erstens, er hatte seine Geschäftsidee gefunden und gründlich durchdacht. Zweitens, er hatte das sichere Gefühl, in der Beratung nichts mehr lernen zu können. Drittens, er hatte genug Geld auf der Seite oder galt für seine Bank als kreditwürdig. Die Finanzierung war gesichert.

Heute, 20 Jahre später, kämpfen sogar die großen Beratungen um Nachwuchs. Das hat zwei Gründe. Erstens reiben sich die Generationen Y und Z nicht gern für andere auf. Zweitens haben die, die das Gründergen in sich tragen, keine Lust zu warten. Man gründet jetzt und sofort, oft noch an der Uni. Knapp 40 Prozent der 1534 Gründer seit 2004, die allein der Austrian Start-up Monitor listet, haben, wenn überhaupt, maximal einen Bachelor als Abschluss. Die Hälfte hat einen Master, zehn Prozent einen Doktor oder PhD.

»„Förderungen und
Investorengelder
kann man
auch als
Bildungsgeld werten.“

Florian Schirg,
Accent«

Diese 1534 Start-ups sind nur die Spitze des Eisbergs, weil sie für den Monitor bestimmte Bedingungen erfüllen müssen: Die Gründung muss jünger als zehn Jahre sein, sie muss sich mit innovativen Produkten, Dienstleistungen oder Geschäftsmodellen beschäftigen und signifikantes Wachstum zeigen. Die vielen anderen Gründungen in Österreich sind per Definition keine Start-ups. Hier tut das nichts zur Sache.

Noch eine Zahl, eine Faustregel unter Investoren: Von 100 Gründungen wird eine ein Riesenhit à la Runtastic oder MySugr. 20 überleben und köcheln auf kleiner Flamme. 79 gehen zugrunde.

Fördergeld als Bildungsgeld?

Kürzlich, anlässlich der „Entrepreneurship Avenue“ am WU-Gründungszentrum: Da gerieten sich Lisa Fassl, Geschäftsführerin der Austrian Angel Investors Association (AAIA), und Florian Schirg, Projektmanager bei Accent, dem Tough-Tech-Inkubator des Landes Niederösterreich, auf offener Bühne in die Haare. Der Anlass: Schirg bezeichnete Förderungen und Investorengelder als Teil der Ausbildung des Gründers und damit als gut investiert. Auch im (sehr wahrscheinlichen) Fall des Scheiterns: „Das kann man auch als Bildungsgeld werten.“

Zig- bis Hunderttausende Euro Bildungsbudget für einen einzigen Gründer? Fassl war anderer Meinung. „Da sind auch Lebenskünstler dabei.“ Jene nämlich, die eine Gründung an die Wand fahren und sofort mit der nächsten Idee kommen: „Für manche ist das ein Geschäftsmodell.“ Wiewohl die Mechanismen, diese schwarzen Schafe herauszufiltern, immer treffsicherer werden.

»„Die Gründung an die Wand fahren und sofort mit der nächsten Idee kommen:
Für manche ist das ein
Geschäftsmodell.“

Lisa Fassl,
Austrian Angels Investors Association«

Im Interview relativiert Schirg: „Wer ein Start-up an die Wand fährt, macht zweifelsohne eine außergewöhnliche Erfahrung. Diese bringt einen besonderen Lernprozess mit sich – und dieser ist bei einer neuerlichen Gründung hilfreich.“ Im Spaß schlägt er gar ein Wirtschaftsstudium vor, das mit dem Titel „Mag. rer. enterpr. destr.“ abschließt.

Schirg hat weitere Argumente. Risikoreiche Gründungen hätten das größere Potenzial, sie stachelten die etablierten Anbieter an, zwängen sie, ihre Produktpalette anzupassen: „Selbst wenn eine Gründung scheitert, ist sie ein Signal, dass Österreich ein gutes Start-up-Land ist.“

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Die österreichische Förderlandschaft gilt als ausgezeichnet. Ohne sie und ohne die engagierten Investoren und Business Angels kämen die wenigsten Start-ups auf die Beine. Allein beim Austria Wirtschaftsservice werden Förderungen von 50.000 bis 200.000 Euro (AWS Impulse XS bzw. XL) vergeben, bis 800.000 Euro Seedfinanzierung und auch Stipendien, um die Lebenshaltungskosten der Gründer abzudecken.

AWS-Experte Matthias Reisinger spricht jedem seine Hochachtung aus, der sich an das Wagnis Entrepreneurship herantraut: „Die Kultur des Scheiterns ist bei uns nicht wahnsinnig ausgeprägt. Wer das riskiert, aufsteht, sich abputzt und von vorn anfängt, hat eine zweite Chance verdient.“

Auch er hört es nicht gern, wenn Förderungen auf Weiterbildungsgeld reduziert werden: „Aber die unternehmerische Tätigkeit birgt schon wahnsinnig viel Lernpotenzial.“ Was in Österreich weniger wertgeschätzt werde als im Silicon Valley: „Dort wird vor allem in Start-ups investiert, deren Gründer schon einmal gegen die Wand gefahren ist.“

Geknickte Seelen

Schmerzlich vermissen alle drei Insider Angebote, wie man mit dem Scheitern umgeht. Immerhin, man kennt die Gründe: 23 Prozent bekamen zu wenig Feedback vom Markt, 21 Prozent hatten die falschen (Co-)Founder, ebenfalls 21 Prozent warteten mit Kündigungen zu lang, 14 Prozent setzten auf das falsche Geschäftsmodell, zwölf Prozent brannten aus und zehn Prozent agierten schlicht im falschen Markt (Zahlen gerundet).

„Wichtiger als die Schuld- oder Geldfrage ist, was das Scheitern mit den Menschen macht“, meint Fassl. Es sei weder Aufgabe der Fördergeber noch der Business Angels, sich um die geknickten Seelen zu kümmern. Diesen helfe am besten: „Brutal ehrlich sein, reflektieren und an sich und seiner Persönlichkeit arbeiten.“ Laut Monitor entschließen sich zwei Drittel später zu einer neuerlichen Gründung.

»„Wer das (Scheitern) riskiert, aufsteht, sich abputzt
und von vorn anfängt,
hat eine zweite Chance verdient.“

Matthias Reisinger,
Austria Wirtschaftsservice«

Damit stehen sie genau dort, wo die Ex-Boston-Consulting- und McKinsey-Gründer vor 20 Jahren standen. Die erfolgreichsten Gründer heute wie damals sind Ende Dreißig. Bloß damals gründeten sie mit eigenem Geld.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.06.2019)

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