LGBTI: Sprich es bloß nicht an

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Deutlich mehr Menschen outen heute ihre sexuelle Identität am Arbeitsplatz als noch vor ein paar Jahren. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte: Am Horizont ziehen dunkle Wolken auf.

Kürzlich flatterte eine Meldung auf den Tisch. Die Agpro, die Vereinigung der Austrian Gay Professionals, feierte 20-jähriges Jubiläum. Im Anhang: eine Bildergalerie mit Dutzenden Feiergästen, die damit öffentlich geoutet waren. Ein paar Jahre zuvor, anlässlich eines ähnlichen Artikels, war das noch nicht möglich. Fotos? Man bat um Verständnis. Man wollte den Mitgliedern keine Schwierigkeiten bereiten.

Es hat sich etwas bewegt. Bei sechs bis acht Prozent LGBTI in der Gesamtbevölkerung – der alten Abkürzung für lesbisch, schwul, bisexuell und Transgender wurde nun intersexuell hinzugefügt – wagte sich vor zehn Jahren die Hälfte zu outen, rekapituliert Manfred Wondrak, Kogründer der Agpro. Heute sind es 70 Prozent.

Das bedeutet auch: 30 Prozent können sich nicht so geben, wie sie sind. Müssen Tarnexistenzen aufrechthalten, Scheinwirklichkeiten konstruieren, mit wem sie das Wochenende, den Urlaub verbracht haben. „Das kostet Energie“, sagt Wondrak. Energie, die man lieber produktiv nützen würde.

Die Zielrichtung der Agpro lautet daher, die Sache zu thematisieren, damit sie irgendwann, weil „normal“ geworden, kein Thema mehr ist. Konzerne griffen das als Erste auf, freiwillig im Rahmen ihrer Diversity-Strategie, unfreiwillig, wenn es ihnen die Konzernmutter vorschrieb. Und auch, weil ihnen die Fachkräfte ausgingen. LGBTI waren ein interessantes Arbeitskräfte- und Konsumentenreservoir.

Banken, die ihr Konservativismus viele Sympathien kostete, taten sich plötzlich besonders hervor. Fast alle betreiben heute aktive Regenbogengruppen. Je größer das Unternehmen, je städtischer und je mehr White-Collar-Mitarbeiter, desto leichter fällt das Outing – je kleiner, je ländlicher, je mehr Blue-Collar-Mitarbeiter und je männerlastiger, desto schwieriger ist es. Im Bau- und Transportgewerbe outet sich kaum jemand.

Frauen wiederum bleiben eher im Verborgenen. Sie fallen weniger auf, auch, weil viele in ihrer Vorgeschichte eine Heteroehe haben.

Das Problem, sagt Wondrak, sei die allgegenwärtige Heteronormativität: Heteros verstünden ihre Lebensweise als Norm und könnten nicht nachvollziehen, warum die Themen jeder Art von „anderen“ Menschen überhaupt adressiert werden sollten. „Sprich es bloß nicht an“ laute die Devise: „Genau das ist aber notwendig, damit es eines Tages selbstverständlich und ,kein Thema mehr‘ ist.“

Frag doch den Betriebsrat

Outen oder nicht outen hat auch arbeitsrechtliche Aspekte. Wer es nicht wagt, muss auch auf Verpartnerung oder – ab Jänner auch in Österreich – gleichgeschlechtliche Ehe verzichten, im Unternehmen auf dienstfreie Tage, freiwillige Familienzuschüsse oder Pflegefreistellung. „Viele wissen gar nicht, welche Rechte sie hätten“, sagt Wondrak. Wen im Unternehmen sollen sie auch fragen?

Vielleicht den Betriebsrat. In einer AK/ÖGB-Befragung 2017 kannten von 463 Betriebsräten 62 Prozent schwule und 48 Prozent lesbische Kollegen, 20 Prozent kannten bisexuelle, zehn Prozent transidente und immerhin drei Prozent intersexuelle Kollegen. Doch nur jeder zehnte Betriebsrat wusste von Benachteiligungen, meist im Zusammenhang mit Beförderung oder Arbeitszuteilung.

Ein schmaler Ausschnitt der Wirklichkeit, widerspricht eine deutsche Studie: Tatsächlich erlebe jeder zweite LGBTI Diskriminierung am Arbeitsplatz. Laut Wondrak lässt sich das eins zu eins auf Österreich umlegen.

Es ist nicht das Einzige, das ihm Sorgen macht. Der erstarkende rechte Rand der Gesellschaft und der Islamismus könnten einen Rückschlag herbeiführen. Man müsse das beobachten, sagt er. „Sehr aufmerksam.“

ZUR PERSON

Manfred Wondrak ist Geschäftsführer von Factor-D Diversity Consulting und Mitgründer der Agpro, der Austrian Gay Professionals. Ziel ist es, die Anliegen der Community zu thematisieren, bis sie „normal“ und „kein Thema mehr“ sind. War vor zehn Jahren etwa die Hälfte geoutet, sind es heute 70 Prozent. [ Daniel Auer ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2018)

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