Mutter, Vater, Kind

Petra Jenner, frühere Microsoft Österreich- und jetzige Microsoft Schweiz-Chefin, vergleicht gut geführte Unternehmen mit intakten Familien. Da gibt es sorgende Mütter, fordernde Väter und Kinder jeden Alters.

Frau Jenner, Sie bezeichnen sich selbst als „Gegnerin der Kapitalvermehrung zum Selbstzweck“, sind gegen marktwirtschaftliche Dogma „höher, schneller, weiter“. Wie gelingt es Ihnen, das ausgerechnet in einem US-amerikanischen Konzern durchzusetzen?

Petra Jenner:
(lacht) Natürlich muss man seine Zahlen einfahren, Wirtschaft funktioniert nun mal so. Ich glaube dennoch, dass es möglich ist, Führungselemente aus Familienbetrieben auch auf kapitalmarktorientierte Konzerne zu übertragen. Wäre mir das nicht gelungen, hätte ich nie den Erfolg gehabt, den ich hatte.

Wie sagt man denn „Nein“ zu einem weltweiten CEO, wenn man nicht mit ihm übereinstimmt?


Sicher nicht, indem man das Wort „Nein“ gebraucht! Man muss ihm klare Fragen stellen, ihn präzisieren und Prioritäten setzen lassen. Auch einen weltweiten CEO kann man fragen, wie er konkret „Erfolg“ für ein Land definiert. Zielvereinbarungen sind immer breit gefächert - die Zentrale wird nie zugeben, dass man gar nicht alles erreichen kann. Wenn ich aber nach den fünf wichtigsten Messkriterien frage, bekomme ich Antworten, mit denen ich arbeiten kann. Mitarbeiter sollten ihren Vorgesetzten viel öfter Fragen zur Präzisierung stellen.

Wie schaut für Sie die ideale Arbeitswelt aus?


In der idealen Arbeitswelt sind männliche und weibliche Werte im Gleichgewicht. In der Wirtschaft gibt es drei Stellschrauben: die Marktsituation; Produkte, die vielleicht nicht zur Marktsituation passen und – am wichtigsten – die Menschen. Männer sind sehr gut in der Orientierung, sie haben ein besseres Verständnis von Geschwindigkeit und ihrer Umsetzung auf der Zeitachse. Man muss schnell sein, um einen Markt zu erobern. Frauen wiederum stehen für die weichen Aspekte, sie fördern die Gemeinschaft und bringen Gesprächskultur in die Teams. Diese beiden Kräfte müssen sich ausgleichen, damit wieder Balance herrscht.

Sie vergleichen ein gut geführtes Unternehmen mit einer intakten Familie.

Das ist ein schönes Bild. Eine Familie funktioniert am besten, wenn Mutter und Vater ihre Rollen gefunden haben. Meist ist ein Partner für das Familienmanagement, der andere für das Außenmanagement zuständig. Kinder können sich ihre Eltern und Geschwister genauso wenig aussuchen wie Mitarbeiter ihre Chefs und Kollegen. In Reibereien geht es da wie dort um Ressourcen: Budgets, Aufmerksamkeit und Macht. Und in beiden Systemen muss man lernen, sich unterzuordnen.

Fehlt jedoch ein Elternteil, muss das andere überkompensieren. Genau das passiert in der Wirtschaft. Es ist ja nicht so, dass die Männer alles falsch machen. Aber es ist auch für sie leichter, wenn die Frauen ihre eigenen Rollen übernehmen. Ist Unternehmen wie Familie im Gleichgewicht, spiegelt sich das auch in der Leistung wider. 

Mütter dürfen Emotionen zeigen, Managerinnen bislang besser nicht. Darf man als Chefin heute schon mal eine Träne zerdrücken?

Das Management ist voll von Emotionen, sie werden nur versteckt. Deswegen fühlen sich ja viele so unwohl, wenn sie morgens in ihre Firma gehen. Gefühle kann man nicht an der Garderobe abgeben. Ich spüre eine große Sehnsucht unter den Menschen, ihre Emotionen ausdrücken zu dürfen. Natürlich sollen Managerinnen Gefühle zeigen, solange sie niemanden damit verletzen.

Wie gehen Sie mit Wut um?

Erst gehe ich in Distanz zur Situation, um sicherzustellen, dass ich mich im Rahmen meiner Verhaltenskonventionen bewege. Dann frage ich mich: Was macht mich so wütend? Ist etwas persönlich bei mir angekommen, das gar nicht persönlich gemeint war? Wenn doch, bringe ich das Thema zur Sprache. Wut ist energetisch, wenn man sie richtig kanalisieren kann, bringt man einiges weiter.

Im Vergleich zur kämpferischen Frauengeneration der 1980er-Jahre – was raten Sie jungen Frauen, die heute nach oben kommen wollen?

Steh zu dem was du bist. Lauf nicht nur im Hosenanzug herum und versuche, dich wie ein Mann zu verhalten, sondern bleib authentisch. Ein großer Teil meines Erfolges besteht darin, dass ich immer ich geblieben bin. Man muss lernen, wie die Mechanismen ablaufen und darf sie nicht persönlich nehmen. Das sind nur gruppendynamische Prozesse. Die kann man sich wegdenken.

In Ihrem Buch (siehe Kasten) schreiben Sie, dass Sie Ihr Gehalt als eine Art „Schmerzensgeld“ betrachten. Was bereitet Ihnen die größten Schmerzen?

Dass ich auf viel verzichten musste, was andere hatten. Ich hatte eben das erste Mal seit elf Jahren drei Wochen Urlaub. Als Führungskraft fühlt man sich manchmal auch wie eine Art Mülltonne. Die Menschen kommen ja nicht, um zu sagen, was gut läuft. Sie kommen nur, wenn etwas schlecht läuft oder eskaliert. Damit muss man lernen umzugehen. Da geht es Männern nicht anders. 

In der Familie ist man nie allein, im Management schon. Gibt es ein Heilmittel gegen die Einsamkeit und  Isolation ganz oben?


Ich habe es noch nicht gefunden.

Was sind Ihre wichtigsten Werte?

Offenheit und Ehrlichkeit, eine positive Grundeinstellung und der Grundsatz, andere so zu behandeln, wie man selbst behandelt werden will.

Sie sagen ganz offen, dass Sie neben Coaches auch einen Wirtschaftsastrologen konsultieren.

Das tun viele Manager, auch Politiker. Sie würden es nur nie offen sagen. Immer wenn ich an eine Situation herangehe, frage ich mich, welche weiteren Möglichkeiten es noch gibt. Mein Bestreben ist, so viele Aspekte wie möglich zu berücksichtigen. Eine neue Perspektive kann schon Teil der Lösung sein.

Sie sprechen viel von Gleichgewicht, Balance und Ausgleich – sind Sie im Sternzeichen Waage?

(lacht) Ich bin Skorpion mit Aszendent Waage. Uns ist in vielen Lebensbereichen die Balance verloren gegangen. Ich wünsche mir, dass wir sie wieder finden.

Petra Jenner

Von 2009-2011 führte die geborene Niederrheinerin die Österreichische Microsoft-Niederlassung mit 350 Mitarbeitern. Dafür wurde sie mit der Auszeichnung „Bester Arbeitgeber“ und „Bester Arbeitgeber für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ des „Great Place to Work“-Institutes geehrt.

Zu Jahresbeginn wechselte sie als Generaldirektorin für Microsoft Schweiz nach Wallisellen nahe Zürich. Ihr Buch „Mit Verstand und Herz“ erscheint am 1. Oktober im Ariston Verlag.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.9.2012)

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