Selbsthilfe: Mein Chef hasst mich

Bossing, das ist Mobbing von oben. Ein Coach, ein Jurist und ein Mediator sagen, wie man sich dagegen wehrt. Und wann man besser das Handtuch werfen sollte.

Sie schikanieren, drangsalieren und sticheln. Sie machen ihre Opfer vor versammelter Mannschaft lächerlich. Sie weisen ihnen zu viel oder zu wenig Arbeit zu. Sie kappen ihnen vertraute Privilegien oder enthalten ihnen wichtige Informationen vor. Sie tun vieles – nur nicht offen ansprechen, welches Problem sie mit ihrem Mitarbeiter haben.

„Bossing ist das Zeichen einer unreifen Persönlichkeit“, stellt Gabriele Riedl, Trilog-Geschäftsführerin, Beraterin und Coach, fest. „Solche Chefs haben ein Problem mit sich selbst.“ Sie kompensieren den Mangel an Selbstsicherheit oder Selbstwert mit diskriminierendem Verhalten: „Eine Psychokrücke, die vorübergehend Befriedigung verschafft.“ Jedoch: kein Täter ohne Opfer. Im gequälten Mitarbeiter findet der Boss einen adäquaten Blitzableiter, der sich selbst für machtlos hält und lieber in die Defensive flüchtet, statt offen den Kampf zu erwidern.

„Stopp!“ statt Leidensdruck

Einem Mitarbeiter drängt sich der Verdacht auf, systematisch hinausgeekelt zu werden. „Warum ist das so“?, fragt Wolf-Theiss-Arbeitsrechtsexperte Ralf Peschek: „Gibt es eine Vorgeschichte? Einen Anlass, vielleicht Rivalität oder eine menschliche Enttäuschung?“ Daraus leite sich ab, ob die Angelegenheit innerhalb der Beziehung gelöst werden könne – oder ob der Gebosste schärfere Geschütze auffahren müsse. Coach Riedl macht Hoffnung: Wer in dieser Phase ein klares „Stopp!“ schaffe, könne das Problem im Keim ersticken: „Sinngemäß: Ich habe es bemerkt. Unterlassen Sie das bitte.“ Selbstredend müsse der Betroffene dabei ruhig und sachlich bleiben und sich nicht von etwaigen Emotionen des Vorgesetzten anstecken lassen: „Keine Anschuldigungen, keine Verteidigung. Lieber fragen: Wie soll ich das verstehen?“ Solcherart den Stier bei den Hörnern zu packen hilft nur in der Erstphase – hat sich das bossige Verhalten erst einmal verfestigt, ist der Dialog wirkungslos.

„Liebes Tagebuch“

Die Schikanen hören nicht auf? Dann müssen subjektive Eindrücke objektivierbar gemacht werden. Dazu werden in akribischer Tagebuchmanier Datum, Uhrzeit, Beschreibung der Handlung und ihrer Auswirkungen auf Körper, Seele und Arbeit festgehalten. Danach wird nach Mustern gesucht. „Den Sachverhalt clustern“, nennt das Peschek. Je unklarer die Indizien, desto eher rät der Anwalt, eine oder mehrere Drittsichten einzuholen: „Ich könnte ja voreingenommen sein. Manche Leute beziehen alles auf sich.“ Spätestens an dieser Stelle sollte auch eine Rechtsschutzversicherung in Erwägung gezogen werden.

Ist „die Suppe dick“, sprich: sind die Argumente stichhaltig, rät Peschek zur taktisch wohlüberlegter Eskalation nach oben. Die eigene Macht ist dabei nicht zu unterschätzen: „Da gab es den Fall eines Country Managers, dem ungebührliches Ausnützen seiner Rolle unterstellt wurde. Sein Vice President kam sofort aus den USA angeflogen. Am nächsten Tag war der Österreicher weg.“

Wer nicht ganz so weit nach oben gehen will, findet seine erste Anlaufstelle in der Personalabteilung. „Weil sie eine moderierende Rolle einnimmt“, so Coach Riedl – und weil ab sofort Zeugen benötigt werden, die den weiteren Verlauf bestätigen. Der Chef vom Chef kann als Machtinstanz ebenfalls regulierend eingreifen, benötigt aber stichhaltige Fakten. Auch Ombudsleute und der Betriebsrat bieten sich an (politische Strömungen vorab klären!), ferner vertraute Kollegen für die moralische Unterstützung. Coaches, Psychiater und Psychotherapeuten federn seelische Belastungen ab: „Die können unglaublich groß werden“, weiß Riedel, „daraus entstehen ernste Erkrankungen, die unbedingt vermieden werden müssen.“

Vor Gericht landen meist nur Diskriminierungstatbestände. Eine Frau in einer männerdominierten Welt etwa werde vom Gesetz geschützt, meint Peschek, jedoch: „Österreich ist klein. Sie hat dann eine Nachrede.“ Klassische Mann-Mann-Machtkämpfe sind „selten arbeitsrechtlich relevierbar. Oder nur mit großen Kollateralschäden.“ Soll heißen: Wer vor Gericht geht, weil er als Einziger keinen Bonus erhält, bekommt vielleicht recht. Im Unternehmen aber wird er nicht mehr lange bleiben.

Exitmaximierung

Irgendwann lässt auch der intriganteste Vorgesetzte die Katze aus dem Sack. Dass er sein Lieblingsopfer loswerden will, gibt er oft erst gegenüber dem Mediator zu, der von Human Resources eingeschaltet wird. Wegen des Machtgefälles nehme er sich die Kontrahenten erst einmal einzeln vor, schildert Reinhard Dittrich, Obmann des österreichischen Netzwerkes Mediation. Liegen beider Motive und Interessen endlich auf dem Tisch, findet sich meist rasch eine Lösung. Die läuft zwar oft auf Exitmaximierung für den Mitarbeiter hinaus, ist aber weitreichender und „einvernehmlicher“ als sonst: „Ein Manager war von seinem Firmenwagen abhängig und wusste nicht, wie er ohne Auto auskommen soll. Ihm war gedient, dass er seines drei Monate über die Kündigungsfrist behalten konnte.“

Dennoch bedauert Dittrich jeden einzelnen Exodus: „Aus Frustration und dem Wunsch nach Rache entsteht großer Schaden.“ Der ist nur zu verhindern, wenn sich der Boss endlich zur Würdigung der Person und der Leistungen des Scheidenden durchringt: „Viele sagen, ich war 20 Jahre der Firma treu und jetzt ekeln sie mich raus. Das habe ich nicht verdient.“ Ziel ist daher immer ein Abschied in Anstand und Würde. Dittrich, nachdenklich: „Vieles wäre in der Wirtschaft billiger – mit etwas mehr Dank und Anerkennung.“

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