„Der Gründergeist ist ein gefährliches Argument“

Start-ups. Studierende lernen Unternehmertum nicht durch Wissensvermittlung, sagt Dietmar Grichnik. Der Entrepreneurship-Professor an der Universität St. Gallen prognostiziert einen Trend zu Nebenerwerbsgründungen. Österreich habe gute Chancen als CEE-Hub.

Im abgelaufenen Jahr 2012 gab es 27.194 Unternehmensneugründungen, um 361 weniger als 2011 und sogar weniger als im Krisenjahr 2009.

War das nur eine konjunkturell bedingte Delle oder de Trend zu einem langfristigen Rückgang?

Dietmar Grichnik: Grundsätzlich gibt es bei Gründer-Statistiken immer Schwankungen. Sie sind stark an die Konjunktur gekoppelt. Meist steigen sie nach einer Krise wieder.

Sie gehen also davon aus, dass sich in Zukunft immer mehr selbstständig machen?

Ja, ich gehe davon aus, dass nach Krisen die Zahlen steigen werden. Zudem nimmt der Trend zur Wissensarbeit weiter zu. Je mehr die Wissensarbeit für eine Volkswirtschaft zunimmt, umso größer sind die unternehmerischen Opportunitäten für den Einzelnen. In einigen IT- und Softwareclustern hat sich bereits eine ganze Klasse von Freelancern und Jungunternehmern entwickelt, was das Vorbild für zahlreiche Branchen sein wird.

Warum?


Karriereentwicklungen verändern sich substanziell. Die nachwachsenden Generationen aber auch Arbeitnehmer in der Mitte ihres Arbeitslebens haben oft mehrere Jobs. Dadurch steigt auch die Zahlder Nebenerwerbsgründungen. Die Bedeutung von Portfolio-Arbeitern steigt.

Ist also eine Gründung nur eine von vielen Optionen?


Die Generation Y (Anm.: Generation der nach 1980 Geborenen) ist nicht mehr auf klassische Karriere-Pfade ausgelegt. Sie wollen sich in verschiedene Richtungen orientieren. Sie arbeiten als moderne Freelancer und sind viel offener für unternehmerische Aktivitäten.

Wie sehen Sie aus der Schweiz den Gründer-Standort Österreich?

Es kristallisieren sich verschiedene Hubs heraus. Um herausragende Hochschulen – in Wien die TU sowie die WU – bilden sich Cluster, so genannte „Eco-Systeme“. Diese werden von der Qualität des Humankapitals gesteuert. Aufgrund der Hochschulen mit ihrem Angebot an qualifiziertem Personal bleiben die Gründer auch vor Ort.

Universitäten sind also die wichtigsten Treiber für Entrepreneurship?

Ja, absolut. Wir sehen das in der Schweiz beispielsweise an der ETH Zürich. Ausreichend Geld, eine hohe Export-Orientierung sowie eine starke Wirtschaft. Die Schweiz bringt sehr viel mit, um ein guter Standort für Gründer zu sein. Man könnte fast sagen, es ist zu viel des Guten (lacht). Die Karriere-Alternativen sind sehr gut. Auch die Gründer-Mentalität ist noch nicht vollständig etabliert. Dies muss sich erst noch entwickeln.

Österreich möchte sich als Start-up-Hub für Zentral- und Osteuropa positionieren. Eine realistische Vorstellung?

Wie das Beispiel China zeigt, ist es prinzipiell gut, bei sich entwickelnden Volkswirtschaften dabei zu sein. Die Ost-Ausrichtung ist eine tradierte Position für Österreich. Die Netzwerke und Kontakte haben sich seit Dekaden etabliert. Allerdings bleibt die Unsicherheit, wie sich die einzelnen Länder der Region entwickeln.

In Österreich wird auch heftig über Crowd-Investing diskutiert. Ist Crowd-Investing Hype, Boom oder haben wir einfach nur Nachholbedarf?

In den westeuropäischen Ländern hat sich diese Frühphasenfinanzierung noch nicht durchgesetzt. Crowd-Investing benötigt besondere Erfordernisse: Erstens wird bei einer gewissen Form eine Banklizenz erforderlich. Zweitens sollte der Investor auch unternehmerisch mitsteuern. Das ist die große offene Flanke. Die passive Crowd investiert meist gut, nur wer übernimmt die Rolle des aktiven Investors, der das Venture zum Erfolg führt?

Vor kurzem wurde in Österreich auch die AAIA
(Anm.: Austrian Angel Investment Association)als laut Eigenangaben Interessensvertretung für Angel Investments und Business Angels gegründet. Sie möchte sich vor allem für wirtschaftliche und steuerliche Anreize für Angel Investments einsetzen. Wie wichtig sind solche Anreize für den Standort?

Grundsätzlich erachte ich das nicht als notwendige Bedingung. Kapital sucht sich attraktive Investitionsziele unabhängig von steuerlichen Anreizen. Das ist ein guter Schmierstoff, bringt aber den Investment-Motor nicht grundsätzlich zum Laufen.

Sie unterrichten „Entrepreneurship“. Kann man es lernen, unternehmerisch zu agieren?

Entrepreneurship ist erlernbar. Es ist eine Karriere-Episode wie jede andere auch. Daher kann man es auch wie jeder andere Managament-Disziplin erlernen.

Was macht guten „Entrepreneurship-Unterricht“ aus?

Das „Wie“ ist das Entscheidende. Entrepreneurship lernt man am besten durch Erfahrung, nicht durch reine Wissensvermittlung. Entrepreneurship ist Handeln. Ich als Hochschullehrer muss daher dafür sorgen, dass Studierende ins unternehmerische Tun kommen.

Den Gründergeist, dessen Abwesenheit wir in Österreich so oft beklagen, können Sie Studierenden beibringen?

Unternehmertum ist Verhalten und Tun. Der Gründergeist ist ein gefährliches Argument. Keiner weiß, was das wirklich ist. Er ist keine Einstellung. Diese werden anders geformt. Zum Beispiel durch das Elternhaus. Ich kann ihn nicht institutionell fördern. Ich kann Programme anbieten, die das unternehmerische Potenzial der Studierenden wecken.

Sie postulieren die „unternehmerische Methode“ bei Gründungen. Was genau meinen Sie damit?

Wir haben sehr erfolgreiche Mehrfachgründer beobachtet und gewisse Muster ermittelt. Es gibt viele Mythen wie zu wenig Geld oder keine Kontakte oder fehlende Unterstützung. Die von uns untersuchten „Super-Entrepreneure“ wie Virgin-Gründer Richard Branson gehen immer vom selben, von ihrem Mittel-Inventar aus. Sie fragen sich, wer sie sind, was sie können und wen sie kennen. Die Mittelausstattung definiert ihren Startpunkt für unternehmerisches Experimentieren am Markt.

Aber eine Geschäftsidee benötige ich schon?

Kein Gründer startet mit nur einer konkreten Idee. Meist hat man ein Zielportfolio auf Basis der gegebenen Mittel. Daraus wird sich das eine oder andere realisieren. Wenn Partner dazu kommen, wird sich noch die eine oder andere Idee dazu gesellen.

Also ohne Ziel gründen?

Das heißt nicht, dass Gründer ziellos sein sollen. Sie müssen eine Hauptidee haben und sollen nicht darauf warten, dass sie klarer wird. Sie gibt nur die Richtung vor. Die tatsächliche Idee entsteht im Tun.

Das klingt nach viel Unsicherheit. Wie hält das der Gründer, die Partner, die Investoren aus?

Gute Frage. Durchhaltevermögen ist eine wichtige Gründer-Eigenschaft, sie oder er muss durchhalten. Die ersten Misserfolge sind sicher, das ist vorherbestimmt. Die Frage ist, ob ich dort abbreche oder weiter mache?

Wie oft sollte man denn scheitern?


Scheitern sollen ist die falsche Message. Wer scheitert denn? Das Venture, die Unternehmung, nicht der Unternehmer. Aus Misserfolgen lernt man mehr als aus Erfolgen. Mehrfachgründer sind in der Regel mehrfach mit Vorhaben gescheitert, bevor sie einen herausragenden Erfolg für sich verbuchen konnten. Das Geheimnis des Erfolges liegt darin, durch das frühe Tun auch früh und billig zu scheitern und es dann auf anderem Wege wieder zu versuchen.

Sie sagen auch, dass das unternehmerische Potenzial der Zukunft weiblich ist. Im techlastigen Start-up-Bereich dominieren aber nach wie vor Männer.

Der High-Tech-Bereich ist durch die Studiensituation so geprägt. Da es so viel mehr männliche Technologiestudenten gibt, ist klar, dass es viel mehr Männer in diesem Bereich gründen. Die Schwäche vieler Tech-Start-ups ist aber das Management. Und in diesen Studien sind wesentlich mehr Studentinnen inskribiert. Wir matchen bereits interdisziplinäre Teams, organisieren gemeinsame Kurse von der ETH Zürich und der HSG St. Gallen. Im Internet-Bereich wird das auch schon gelebt und öffnet attraktive Einsatzgebiete für Gründerinnen zum Beispiel mit einem Marketing-Background.

Zur Person

Dietmar Grichnik ist Ordinarius für Entrepreneurship und Direktor des Instituts für Technologiemanagement an der Universität St. Gallen (HSG). In der Forschung widmet er sich unternehmerischem Entscheiden und Handeln unter Ungewissheit. Er ist Autor mehrerer Bücher zum Entrepreneurship und zur Gründungs- und Wachstumsfinanzierung. Unter seiner Leitung fördert der HSG Entrepreneurship Campus Gründungsinitiativen aus dem Hochschulkontext. Als Mitgründer der Scienovation unterstützt er Gründerteams bei der Finanzierung und beim Start-up-Management. Universität St. Gallen

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.2.2013 (Kurzversion))

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