Lieber verhandeln als feilschen

Dialog. Nur wer Position von Interesse unterscheidet, alternative Lösungen anbietet und gut argumentiert, verhandelt erfolgreich. Das gilt im Wirtschaftsleben wie in der Politik.

Das Ergebnis der Nationalratswahl ist amtlich, jetzt verhandeln die Parteien. Die Gespräche laufen kaum anders ab als im Wirtschaftsleben, denn drei Punkte stehen im Mittelpunkt.

  • Machtwille: Ich will regieren./Ich will Geschäftsführer sein.
  • Strategische Überlegungen: Was bedeutet eine Koalition mit Partei x bei der nächsten Wahl für mich?/Soll ich jetzt mehr Gehalt fordern oder später und dafür noch mehr?
  • Inhaltliche Wünsche: Ich möchte meine Ideen verwirklichen.

„Es sind nicht nur Argumente, die gute Verhandler ausmachen“, sagt Stefan Amin Talab. In seinem Buch „Der Verhandlungsmeister“ beschreibt der Direktor des Wiener Institute for Communication relevante Faktoren: Gute Verhandler kennen die Interessen des Gegenübers, haben klare Ziele und diese immer vor Augen. Sie stimmen ihre Strategie darauf ab, ob sie kurzfristig punkten oder langfristige Beziehung aufbauen wollen und halten Techniken für alle Situationen parat. Sie formulieren präzise, bringen Beispiele und hören zu. Sie hinterfragen ihre Argumente, sind in der Lage, auf das Gegenüber einzugehen und zu fragen: Wie würde ich handeln? Was würde ich sagen?

Verhandeln ist ein Handwerk

Verhandeln, sagt Talab, „ist ein Handwerk, das man lernen kann“. Erfahrung erleichtere, Position und Interesse zu unterscheiden, sagt Sonja Rauschütz, Chefin der Wiener Schule für Verhandlungsführung. Sie nennt ein Beispiel. Die Position lautet: Ich will eine Gehaltserhöhung. Das Interesse könnte sein: Ich will Wertschätzung. „Ich muss nach dem Warum fragen“, sagt Rauschütz, „um gute Lösungen zu finden.“ Im Beispiel muss das nicht zwingend mehr Gehalt heißen.

Das Interesse zu filtern ist Teil des Harvard-Konzepts. Anfang der 1980er-Jahre entwickelt, ist es immer noch aktuell. Es sieht vor, Entscheidungsoptionen zu erarbeiten und nicht auf vorgefertigten Lösungen zu bestehen. Es verlangt objektive Kriterien wie Gesetze, um die Verhandlungspositionen bewerten zu können. Und es trennt die Sachfrage strikt von der Beziehung der Verhandler zueinander.

Beziehungsebene entscheidend

In der Praxis ist die Trennung nicht einfach. Kommt die menschliche Ebene zu kurz, droht erbittertes Feilschen, also nichts anderes als ein Positionskampf. Deshalb bieten informelle Momente der Verhandlungen wichtige Foren: Dort zeigen sich Gemeinsamkeiten und Differenzen, die in der Folge die formellen Verhandlungen beeinflussen. Denn die Beziehung bestimmt die Wahrnehmung und somit Verlauf und Ergebnis.

Nicht zu übersehen sind Rahmenbedingungen, die den Beteiligten oft in die Quere kommen. Verhandlungen werden meist von symmetrischen oder asymmetrischen Kräfteverhältnissen, also schwachen und starken Parteien, beeinflusst. Asymmetrien werden aber von beiden Seiten als Druckmittel genutzt, erschweren in der Regel die Gespräche und mindern die Tragfähigkeit des Ergebnisses.

Nicht zu unterschätzen ist auch, dass die Beteiligten vielfach nicht autonom agieren: Sie sind als Vertreter einer Partei in ihren Möglichkeiten beschränkt, da sie die Interessen Dritter repräsentieren sollen.
Mitunter kämpfen Verhandler auch mit sich selbst, wenn ihnen ihre  Wahrnehmung Streiche spielt:

  • Erste und letzte Eindrücke bleiben besonders im Gedächtnis (Primacy- und Recency-Effekt). Daher sollten gute Argumente am Anfang und Ende des Gesprächs stehen.
  • Menschen schließen von bekannten auf unbekannte Eigenschaften: Wer laut spricht, erscheint durchsetzungsstark (Hofeffekt).
  • Verhandlungspartner hören, was sie aufgrund früherer Informationen erwarten. Daher empfiehlt es sich, eigene Schlussfolgerungen zu hinterfragen (Pygmalion-Effekt).
  • Um Dinge zu bewerten, sucht das Gehirn nach Vergleichswerten. Findet es keine, akzeptiert es auch eine aus der Luft gegriffene Zahl. Das ist besonders bei Preisverhandlungen gefährlich (Ankereffekt).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.10.2013)

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