100 oder 500 Millionen Schadenshöhe sind egal

Wirtschaftskriminalität. Die Verfahren dauern zu lange, sagen zwei WU-Professoren. Grund ist auch die unzureichende Wirtschaftsausbildung der Richter und Staatsanwälte. Daran wird gearbeitet.

Nach nur zehn Tagen Prozessdauer fiel diese Woche das Urteil gegen Ex-Innenminister Ernst Strasser. Eine Rekordzeit, selbst wenn man berücksichtigt, dass es sich nur um eine Neuaufrollung handelt. Zum Vergleich: Am Bawag-Urteil wurde dreieinhalb Jahre lang gefeilt, an  der bloßen Anklage gegen ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser seit Jahren gebastelt.

Für die Öffentlichkeit stellt sich die Frage: Warum dauert das so lange? „Weil unsere Strafprozessordnung für solche Fälle nicht gemacht war“, meint Robert Kert, Vorstand am Institut für Strafrecht und Strafprozessrecht an der WU Wien, „eher für einfache Diebstähle.“ Wegen des unbestritten wichtigen Grundsatzes der materiellen Wahrheit versuche man akribisch, die Schadenshöhe so exakt wie möglich, „bis auf den Cent genau“, zu beziffern.

Das sei jedoch nicht nur aufwendig und bei großen Causen nahezu unmöglich, es ändere letztlich auch nichts am Urteil. Ab einer Schadensgrenze von 50.000 Euro gelte eine Strafandrohung von ein bis zehn Jahre. Welches Ausmaß dann tatsächlich zum Tragen komme, würden auch andere Faktoren als die Schadenshöhe entscheiden. Kert: „Ob es 100 oder 500 Millionen Euro Schaden sind, ist nicht mehr so entscheidend.“

Am Beispiel: Ob Ex-Bawag-Chef Helmut Elsner auch noch wegen eines Bilanzdelikts zur Verantwortung zu ziehen war oder nicht, war am Ende für das Strafausmaß belanglos. Laut Kert eher ein praktisches denn ein juristisches Problem: „Für die Ermittlungen hätte man sich besser darauf konzentriert, was die anderen gewusst haben. Bei gleichwertigem Ergebnis.“

Gutachtenschwemme

Auch ausufernde Gutachtenhandhabung würden die Wirtschaftsstrafprozesse verzögern, meint sein Kollege Michael Lang, WU-Professor für Finanzrecht. Verfahren würden verschleppt, wenn die Beschuldigten die gerichtlich bestellten Gutachter ablehnten – wie etwa bei der Causa Meinl. Umgekehrt hätten betuchte Beschuldigte die Mittel, sich neben den besten Anwälten auch die besten Gutachter leisten zu können – und das in großer Zahl. Richter und Staatsanwälte könnten dem geballten Expertentum wenig entgegensetzen. Je länger ihr eigenes Studium zurückliege, desto schwächer wäre ihre wirtschaftliche Vorbildung, was sich wiederum verzögernd auf das Urteil auswirke. Sie müssten mehr eigene Gutachten in Auftrag geben und bräuchten länger, um sie zu verstehen. Lang: „Ein Kampf mit ungleichen Waffen. Für Juristen früherer Jahrgänge war BWL noch kein Muss.“

Dieses Manko werde besonders bei den aktuellen Bankenprozessen deutlich. Stichwort Hypo: „Man muss eine Bankenbilanz lesen können. Und man muss die Entscheidungsprozesse und die Corporate Governance einer Bank verstehen.“

Auch ihre Produkte: Oft stelle sich der Judikatur im Zusammenhang mit Anlagebetrugs- und Untreuefällen die Frage, wie Tatbestände auszulegen sind. Ein Geschäftsführer erwirbt ein hochriskantes Wertpapier, ohne die Zustimmung seines Vorstands einzuholen. Ist er im Schadensfall schon strafbar, weil er gegen interne Regeln verstieß? Und wie sieht die Sache im Fall eines Kursgewinns aus? Lang: „Es lähmt die unternehmerische Entscheidungsfreude, wenn man jede wirtschaftlich notwendigen Entscheidung vorab mit den Mitteln des Strafrechts hinterfragen werden muss.“

Richter zurück an die Uni

Umgekehrt wäre so manchem konservativen Juristen jedes komplexere Firmengeflecht mangels wirtschaftlicher Vorbildung von Vornherein suspekt: „Sobald es Tochter- und Schwesterkonstellationen gibt, ist das verdächtig. Auch wenn der Hintergrund nur Haftungsbeschränkungen oder ein Profit-Center-Denken sind.“

Eine Problematik, die auch das Justizministerium erkannt habe. Es trage ihr auf dreierlei Arten Rechnung. Erstens mit einer Personalaufstockung in der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, die nun auch für den einen oder anderen Betriebswirt offen stehe. Zweitens durch den Lehrgang „Wirtschaftskriminalität und Recht“, den die WU gemeinsam mit dem Ministerium entwickelte. Derzeit läuft der zweite Durchgang für 25 vom Ministerium entsandte Staatsanwälte und Richter. Lehrgangsleiter Lang schwärmt von seinen hochmotivierten Teilnehmern: „Die meisten machen das in ihrer Freizeit.“

Drittens schenkt das Ministerium den ersten großen Causen extra viel Aufmerksamkeit, um sie später als Musterfälle verwenden zu können. Lang: „Das wird jetzt bis zur letzten Instanz ausjudiziert. Wenn wir erst Präzedenzfälle haben, pendelt sich das ein.“

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