Snapchat: Blödelapp und Marketinghype

Die Generation unter 25 hat ein neues Lieblingsspielzeug. Mit der App Snapchat verschickt sie verunstaltete Selbstporträts an Freunde.

Der Übergang zwischen den Generationen Y und Z ist fließend. Während sich die erste noch mit Whatsapp und Facebook zufrieden gibt, hat die zweite längst ein neues Lieblingsspielzeug: Snapchat.

Snapchat ist ein Whatsapp nicht unähnlicher Sofortnachrichtendienst, mit dem Fotos und Videos verschickt werden. Der Clou? Maximal zehn Sekunden nach dem Öffnen zerstören sie sich selbst. Auch öffentlich geteilte Beiträge bleiben nur 24 Stunden sichtbar, dann werden sie automatisch gelöscht.

"Wozu braucht es das?", ist man als Über-25-Jähriger versucht zu fragen. "Du kannst die verrücktesten Dinge in deinen Snaps - also Fotos und Videos - machen und keinen interessiert es", sagt Joshua Arntzen. Arntzen, 14 Jahre alt, Schüler, hielt vergangene Woche auf der Internetkonferenz re:publica in Berlin den Vortrag "Snapchat für Erwachsene". Das Interesse war groß: 500 Erwachsene saßen im Publikum, auf Youtube hat der Mitschnitt des Vortrags inzwischen knapp 6500 Aufrufe.

Facebook und Instagram schaffen im Kampf um "Likes" eine makellose Scheinwelt, erklärt Arntzen. Auf Snapchat hingegen werde geblödelt. Sprach es und zeigte eine Auswahl lustiger Fotos, die er mit Gesichtsfilter und Faceswap-Funktion bearbeitet hatte. Die Faceswap-Funktion vertauscht Gesichter, was meist zu skurrilen Ergebnissen führt (vgl. Artikelbild). Mut zur Hässlichkeit - weil's eh wurscht ist.

Ab ins Business

Ganz und gar nicht egal ist die Spaßapp hingegen vielen Wirtschaftstreibenden. Große Unternehmen sehen in Snapchat Potenzial eine werberelevante junge Zielgruppe zu erreichen. Facebook war gestern, Snapchat ist heute. Inzwischen gibt es eigene Seminare zum Thema "Snapchat für Influencer Marketing".

Zalando und Starbucks aber auch CNN oder der FC Bayern München sind auf Snapchat vertreten. Das Wahlkampfteam von Hillary Clinton punktete kürzlich mit einer Snapchat-Story über Donald Trump. Und erste Analyse-Tools wie Snaplytics helfen beim Optimieren von Marketing-Aktivitäten. Für Snapchat bedeutet das Umsatz. Gründer Evan Spiegel freut's. Er plant den Börsegang.

The next big thing?

Und dennoch: Kritiker prophezeien Snapchat ein ähnliches Schicksal wie Facebook. Vor fünf bis zehn Jahren wurden dort noch Essensfotos und persönliche Geschichten geteilt. Heute sind es überwiegend anonyme Links zu Zeitungsartikeln, Gewinnspielen oder Tiervideos. Niemand möchte das Risiko eingehen, vom zukünftigen Arbeitgeber mit den eigenen Partyfotos konfrontiert zu werden (noch schlimmer: von der neuen Partnerin mit Fotos der Ex-Freundin).

Auch Joshua Arntzen glaubt, dass der Hype um Snapchat eine jähes Ende finden wird. Er sieht die Sache gelassen. "In den nächsten ein bis zwei Jahren wird es die nächste App geben und die Leute werden anfangen, umzusteigen." Wenn dann "die ganzen Omas und Opas auf Snapchat sind", würden sich die Jungen längst die nächste coole App gesucht haben. Der ganz normale Innovationszyklus also.

Übrigens: Eine nicht-repräsentative Umfrage einer Klasse der First Vienna Bilingual Middle School hat im Herbst ergeben, dass die noch eher unbekannte Selfie-App Retrica bei zwölf- bis 14-Jährigen hohe Beliebtheit genießt.

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