Auf das Unvorhersehbare vorbereitet sein

Management. Neben der Digitalisierung ist die Agilität von Unternehmen eine wichtige Herausforderung, sagen Manager. Um agil zu werden, heißt es, Szenarien durchspielen und potenzielle Handlungsmöglichkeiten erarbeiten.

Der vergangene Mittwoch war so ein Tag. Ein Warnstreik des Bodenpersonals einiger deutscher Flughäfen hatte den Flugverkehr deutlich eingeschränkt: In Berlin fielen 137 Flüge aus, auch in Stuttgart und Hamburg konnten Passagiere nicht wie geplant reisen. Gut, so ein Streik ist keine unvorhersehbare Naturkatastrophe und Fluglinien können sich für den Streikfall rüsten. Doch auch an diesem Beispiel zeigt sich, ob ein Unternehmen agil agiert.
In den vergangenen beiden Jahren, sagt Jörg Hennemann, Senior Vice President für Commercial Fleet Management bei der Lufthansa, habe man trainiert, wie man eine Flotte von rund 700 Flugzeugen im Streikfall herunterfahren und eineinhalb Tage später wieder hochfahren kann. Das brauche viel operationale Routine.

Unternehmen zu wenig agil

Aber nicht nur für die Luftfahrt ist Agilität ein Thema. Neun von zehn Unternehmen verstehen extrem volatile Märkte und unvorhersehbare Entwicklungen als Risiko für den wirtschaftlichen Erfolg. Neun von zehn Managern sehen daher die Agilität ihres Unternehmens als kritischen Faktor für Erfolg. Acht von zehn Unternehmen wollen agiler werden. Das hat das Institut für Innovation und Industrie-Management an der Technischen Universität Graz im Zuge einer Forschungsarbeit zum Thema Agilität festgestellt. Präsentiert wurden diese Zahlen vor wenigen Tagen bei der industrieübergreifenden Tagung „Erfolgsfaktor Agilität“ vor rund 150 Topmanagern. Die waren sich einig: Neben der Digitalisierung ist die Agilität von Unternehmen, also das Vorbereiten auf Unvorhersehbares, die wahrscheinlich wichtigste Herausforderung der Dekade.

Tagung TU Graz: Acht von zehn Unternehmen wollen agiler werden
Tagung TU Graz: Acht von zehn Unternehmen wollen agiler werden


Was sich hinter dem Schlagwort verbirgt, fasst Christian Ramsauer, Professor für Innovation und Industrie-Management an der Grazer TU, zusammen: Agile Unternehmen zeichneten sich dadurch aus, dass sie sich auf Unsicherheiten vorbereiteten, Szenarien durchspielten und potenzielle Handlungsmöglichkeiten erarbeiteten. Dadurch, sagt Ramsauer, können sie sehr schnell auf Veränderungen reagieren und mit allen Elementen der Wertschöpfungskette ihre wirtschaftliche Situation verbessern.
Ramsauer nennt ein Beispiel: Früher gab es in der Bekleidungsbranche eine Sommer- und eine Winterkollektion. Das reiche heute bei Weitem nicht mehr. Modeketten würden ihr Sortiment mittlerweile alle paar Wochen umstellen – und damit auch auf Kundenwünsche und -nachfrage reagieren. Es werde kurzfristig produziert und kaum etwas auf Lager gelegt. Das zwinge Händler und Hersteller geradezu, agil zu handeln.
Mit Detlef Kayser (Lufthansa) und Christoph Schmitz (McKinsey) hat Ramsauer seine Erkenntnisse im Buch „Erfolgsfaktor Agilität“ gesammelt. Im Zuge der Forschungen stellten die Autoren fest, dass acht von zehn Vorständen die Anpassungsfähigkeit ihrer Unternehmen an schnell wechselnde Kundenforderungen deutlich erhöhen wollen.

Flexibilität reicht nicht aus

Nur zum Verständnis: Auch Flexibilität ist weiterhin gefragt, etwa was Arbeitszeit betrifft, aber auch wenn es darum geht, mit einer Mannschaft oder an einer Maschine unterschiedliche Produkte zu fertigen. Agilität geht darüber hinaus. Sie bedeutet, sich im Fall des Falles von der bekannten Organisation zu verabschieden und (zumindest temporär) auf andere Strukturen umzusteigen. Als Richtwert gilt: Wird eine Organisation mit mehr als 15 Prozent geringerer oder höherer Auslastung als im Regelfall konfrontiert, haben agile Organisationen, die derartige Szenarien mit allen Stakeholdern vorab durchgespielt haben, einen entscheidenden Vorteil.

Fettpolster an richtiger Stelle

Deshalb rät Ramsauer auch in Zeiten des Verschlankens und Sparens, an den richtigen Stellen im Unternehmen kleine Fettpölster anzulegen, von denen man in der Ausnahmesituation zehren kann.
Und: Unternehmen sind gefordert, die Welt noch besser zu beobachten und zu verstehen. Das gilt für Terror, Kriege, Krisen, Handelskonflikte. Manche Unternehmen haben deshalb so etwas wie „war rooms“ eingeführt. Einige dieser Unternehmen waren sogar in der Lage, den Tsunami, der Fukushima zerstörte, zu erkennen, bevor die Nachrichtendienste die Meldungen brachten. Dieser Zeitvorsprung kann ausreichen, um schneller als die Konkurrenz Lager aufzufüllen und Frachtflugzeuge zu chartern. „Early detect, fast react“, nennt Ramsauer die Formel, in der Zeit eine große Rolle spielt.
Eine Branche, die von der Volatilität besonders betroffen ist und aktuell große Umbrüche erlebt, ist die Autoindustrie. Die Digitalisierung treibt Themen wie Elektromobilität und Autonomes Fahren voran. Noch nie war die Variantenvielfalt in der Autoindustrie so groß wie heute. Gleichzeitig steigt der Kostendruck, vor allem seit Zulieferer aus Schwellenländern technologisch aufgeholt haben.

Rasch 3000 Mitarbeiter finden

Der Automobilzulieferer Magna Steyr in Graz etwa steht als markenunabhängiger Engineering- und Fertigungspartner für Automobilhersteller in einem volatilen Umfeld. Wenn bestehende Aufträge auslaufen und sich gleichzeitig neue geplante Projekte verzögern, ist das eine große Herausforderung. Ebenso, wenn in kurzer Zeit viele neue Aufträge hereinkommen: Nachdem das Unternehmen kürzlich mehrere Fahrzeugprojekte gewonnen hat, muss es in kurzer Zeit die Produktionskapazitäten aufbauen und über 3000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter finden.
„Die Märkte sind volatiler und unsicherer als bisher, und darauf müssen wir reagieren“, sagt Karl-Friedrich Stracke, President Fahrzeugtechnik und Engineering bei Magna Steyr. Agilität helfe, sich auf mögliche Herausforderungen vorzubereiten und im Ausnahmefall deutlich rascher zu reagieren. „Ein Beispiel sind Agreements mit der Belegschaft, die wir für einzelne Szenarien bereits getroffen haben. Dabei wird vorab ohne Zeitdruck vereinbart, wie wir auf gewisse Situationen reagieren können. Davon profitiert sowohl das Unternehmen als auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Agilität bringt also einen Benefit für alle Beteiligten“, sagt Stracke.

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