Kriegsschiff mit Vertrauenskultur

Führung. Wie die US Navy auf einem ihrer neuesten Schiffe auf das scheinbar so bewährte Konzept von „command & control“ verzichtet und ein neues System etablierte.

Es klingt nach dem Plot eines Utopiestreifens mit einem futuristisch anmutenden Schauplatz: Ein 1,2 Milliarden Euro teures Kriegsschiff, mit 148 Mann Besatzung, 182,9 Meter lang, 24,6 Meter breit und einer Verdrängung von 14.564 Tonnen wird alles andere als streng hierarchisch geführt. Mehr noch: An Bord des Tarnkappenschiffs setzt der Kapitän auf Vertrauen und selbstlernende Organisation.
Was sich unrealistisch anhört, wird tatsächlich umgesetzt. Und zwar auf der USS Michael Monsoor (DDG-1001), dem Stolz der US Navy, die 2016 vom Stapel gelaufen ist und heuer in Dienst gestellt werden wird.

Wer künftig an militärische Führung denke, werde andere Dinge assoziieren müssen als in der Vergangenheit, sagt Michael Shea, Gründer des austro-amerikanischen Beratungsunternehmens The Dingle Group, das sich intensiv mit dem Organisationsmodell auseinandersetzt. Nicht Befehl und Gehorsam und das unverrückbare Wort eines Kommandanten stehen dabei im Mittelpunkt, sondern gegenseitige Unterstützung und die persönliche Entwicklung der Crew-Mitglieder. So ähnlich wie es der Namensgeber des Schiffes, Michael Monsoor, zeigte: Der Soldat war 2006 bei einem Granatenangriff im Irak ums Leben gekommen, als er sich schützend vor seine Kameraden stellte.

Zusammenhalt, gegenseitige Unterstützung und Teamloyalität ließen sich nicht befehlen und anordnen, sagt Captain Scott Smith, der als Commanding Officer derzeit die Trainings an Bord des Schiffes leitet. All das müsse von innen heraus kommen. Die Führungsaufgabe bestehe darin, ein Klima zu schaffen, in dem das selbstverständlich ist. Und die Crew hat den strategischen Auftrag, sich selbst zu einem Vorbild zu entwickeln, das auf andere Einheiten ausstrahlt.

Der Königsweg, um besser zu werden

Drei Gründe nennt Michael Vogler, Organisationsentwickler und Gründer von Kulturdesign, warum sich die US Navy auf diese Art der Vertrauenskultur einlässt. „Erstens: Kleine Teams, sogenannte Pockets, sind extrem erfolgreich. Einmal zusammengeschweißt, bleiben sie zusammen.“ Zweitens bekomme man die besten Leute nur dann, wenn Vertrauen der wichtigste Kulturbestandteil geworden ist. „Vertrauen und gegenseitige Unterstützung bilden den Königsweg, um besser zu werden.“ Und drittens, sagt Vogler, sei in künftigen Auseinandersetzungen davon auszugehen, dass als Erstes die Kommandostruktur ge- oder zerstört werde – durch physische Zerstörung oder durch Angriffe auf die elektronischen Datennetze. Da brauche es eine Organisation, die handlungsfähig bleibe. Die Voraussetzung dafür sind selbstständig denkende Menschen.

Übrigens: Auch das Bundesheer lebt ein ähnliches Prinzip, sagt Siegward Schier von der Landesverteidigungsakademie: Auftragstaktik. Vorgesetzte geben Untergebenen Freiräume, wie sie Ziele erreichen. Im Zentrum steht nicht der Befehl, sondern dass der Vorgesetzte seine Absichten transparent macht.
Diesem vertrauensbasierten Ansatz zugrunde liegt die Deliberately Developmental Organization (DDO), die Harvard-Professor Robert Kegan und Lisa Lahey im Buch „An Everyone Culture“ beschreiben. Ausgangspunkt: Mitarbeiter übernehmen häufig einen „zweiten Job“, für den sie weder eingestellt noch bezahlt werden: ihre Schwächen zuzudecken, sich selbst vorteilhaft zu präsentieren, Spielchen zu spielen und eigene Unzulänglichkeiten zu kaschieren. Das sei eine unglaubliche Ressourcenverschwendung.

Vielmehr gehe es darum, diesen „Zweitjob“ zu kündigen, sich der eigenen Entwicklung zu widmen und das auch unternehmensintern publik zu machen. „Better Me + Better You = Better Us“ etwa lautet die Formel bei Next Jump, einem auf Kundenbindungsprogramme spezialisierten US-Unternehmen, das DDO anwendet und bei dem auch die Besatzung der Michael Monsoor Anleihe nimmt. Next Jump hat institutionalisiert, dass Mitarbeiter präsentieren, wie sie sich weitergebildet und weiterentwickelt haben – und sie werden dabei auch beurteilt.

Voraussetzung: Radikale Transparenz

Das bedeutet auch, sich der blinden Flecken bewusst zu werden, mit Fehlern umzugehen und aus ihnen zu lernen. Der Hedgefonds Bridgewater, eine weitere DDO, bringt es auf den Punkt: „Schmerz + Reflexion = Fortschritt“. Persönliches Wachsen, das automatisch das Unternehmen wachsen lasse, sei oft schmerzhaft und durchaus nicht immer harmonisch, räumt Kegan ein. Auch weil die organisatorische Position nicht die gewohnten Privilegien bedeute.

Überhaupt sei es anfangs aufwendig, eine DDO zu etablieren. Doch jeder Schritt passiere in der wachsenden Gewissheit, dem anderen vertrauen zu dürfen. Jeder kümmere sich um die Entwicklung aller, sagt Kegan. So trage jeder Lernschritt dazu bei, die Unternehmenskultur im Ganzen zu verbessern. Next Jump etablierte ein System, bei dem Mitarbeiter jährlich die Person nominieren, deren Leistung die größte Auswirkung auf die Kultur gehabt hat.
Eine geradezu „radikale Transparenz“ spielt dabei eine große Rolle. Das betrifft die Art und Weise, wie Feedback gegeben wird: nämlich sehr intensiv. Und, dass Arbeitserfahrungen, Eindrücke und auch persönliche Befindlichkeiten regelmäßig in verschiedenen Gruppen oder mit Mentoren besprochen und reflektiert werden.
Apropos darüber reden: Ein Hinter-dem-Rücken-Reden gibt es in einer DDO nicht, denn es zerstört das Vertrauen.

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